Zum Jahresende steht der Starnberger Landrat Stefan Frey (CSU) wohl vor einem Problem. Dann nämlich stehen ihm gleich mehrere große Unterkünfte für Geflüchtete nicht mehr zur Verfügung, denn die Mietverträge laufen aus. "Wir versuchen, eine Verlängerung zu bekommen", sagt der Landrat. Aber wenn das nicht klappt, würden dem Kreis auf einen Schlag einige hundert Plätze verloren gehen. Und das, wo es doch überall heißt, die Kommunen seien mal wieder am Rande der Überforderung.
Mehr als drei Millionen geflüchtete Menschen leben derzeit in Deutschland, so viele wie seit den Fünfzigerjahren nicht mehr. Noch dazu ist der bayerische Landtagswahlkampf im Endspurt. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert eine "Integrationsobergrenze", und CDU-Chef Friedrich Merz stellt die These auf, die Menschen würden die lebensgefährliche Flucht in erster Linie aus zahnmedizinischen Gründen antreten. Und die Ampel in Berlin hat in diesem Jahr erhebliche Kürzungen bei sozialen Hilfen für Geflüchtete ab 2024 beschlossen. Dabei lässt sich ausrechnen, dass der Bedarf für dieses Geld eher größer als kleiner werden dürfte, wenn mehr Menschen kommen.
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Wie wirken sich diese Entwicklungen auf die Situation im Landkreis Starnberg aus? Bezogen auf die Unterbringung der Menschen sei die Lage "nach wie vor angespannt", berichtet Landrat Frey. Von einer Überforderung des Kreises bei der Unterbringung der Geflüchteten will er aber nicht sprechen. Im Frühjahr sowie im Sommer sei die Zahl der Neuankömmlinge ein wenig zurückgegangen. "Aber jetzt zieht es deutlich an."
Etwa 4200 Geflüchtete fallen derzeit in den Zuständigkeitsbereich des Starnberger Landratsamts. Etwa 1800 von ihnen stammen aus der Ukraine, die übrigen 2400 Menschen stammen aus anderen Ländern. Frey rechnet damit, dass sich diese Zahlen demnächst wieder erhöhen werden. Dann würden dem Landkreis wohl wieder Menschen zugewiesen, die das Landratsamt unterbringen und versorgen muss.
Und weil das immer schwieriger wird, hat Frey eine klare Forderung. "Irgendwo muss mal eine Grenze sein", findet er. "Wir können nicht ständig weitere Unterkünfte aus dem Boden stampfen." Anstatt einer Obergrenze sieht Frey den Weg dafür jedoch eher darin, die "Anreize" für die Flucht zu verringern, besonders in "monetärer Hinsicht".
"Es macht sich ein gewisser Unmut breit", sagt Bürgermeister Schnitzler
Auch bei den Städten und Gemeinden sind die Bedenken mit Blick auf die Zukunft groß. Der Pöckinger Bürgermeister Rainer Schnitzler, der als Sprecher seiner Amtskollegen im Landkreis fungiert, blickt besorgt auf die kommenden Entwicklungen. "Wenn die Zahlen weiter so steigen, wie sie es derzeit tun, wird es schwierig", sagt Schnitzler. "Ich denke, dass die Bundesregierung gefordert ist zu überlegen, wie man Flüchtlingsströme begrenzt." Derzeit sei die Lage im Landkreis im Vergleich zwar relativ ruhig, doch die steigenden Zahlen an Geflüchteten würde auch Starnberg mit der Zeit an seine Belastungsgrenze bringen. "Es macht sich ein gewisser Unmut breit, weil so viele Dinge auf einmal auf uns zukommen", beobachtet Schnitzler.
Zudem sei man außer mit den Flüchtlingsströmen auch mit anderen Krisen konfrontiert: Die Kosten stiegen in vielen Bereichen, es stünde aber immer weniger Geld zur Verfügung. "Wir wollen gerne helfen, aber irgendwo ist leider die Grenze für Integration erreicht. Der Staat kann den Gemeinden nicht ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen bieten." Daher würden Versorgung und Integration momentan zu einem großen Teil durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer geschultert, die aber auch mehr und mehr an ihre Grenzen stoßen.
Das hört man auch von den Helfern selbst. Verena Machnik vom Helferkreis Asyl und Integration in Berg sagt, es seien auch in ihrer Gemeinde nicht mehr so viele Ehrenamtliche wie noch vor ein paar Jahren. Insgesamt aber schätzt sie die Stimmung anders ein als die Politiker in den Talkshows, zumindest in ihrer Gemeinde. "Der Helferkreis ist nach wie vor gut aufgestellt", sagt sie. "Eigentlich läuft es gerade relativ gut". Das liege vor allem daran, dass Politik und Ehrenamtliche in Berg gut und vor allem vorausschauend zusammengearbeitet haben. Vor allem durch die vielen von Helfern abgehaltenen Deutschkurse sei bei zahlreichen Geflüchteten die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen. "Das ist schon toll zu sehen, wie es klappen kann", freut sich Machnik über diese Werdegänge.
Doch trotz dieser Erfolge mangelt es auch in Berg an Plätzen in Sprachkursen - und wie überall natürlich auch an Wohnraum. Machnik ärgert sich darüber. Immerhin sei das Problem mit dem Wohnraum schon seit Jahren bekannt. Passiert sei aber lange nichts. Überhaupt vermisst Machnik in der Integrationspolitik die Weitsicht. "Es funktioniert oft gut", sagt sie. "Aber dafür müssen halt die Voraussetzungen stimmen."
Eine Einrichtung, die genau diese Voraussetzungen schaffen will, ist die Volkshochschule Starnberg-Ammersee (VHS), die unter anderem Deutschkurse anbietet. Dazu kämen Projekte wie das "Sprachcafé", wo sich Menschen treffen und ihre Sprachkenntnisse erweitern können. Die Nachfrage für diese Kurse ist allerdings sehr hoch. "Allein für die Integrationskurse haben wir bisher 660 Anmeldungen", sagt die Vorstandsvorsitzende Christine Loibl. "Allerdings haben wir zu wenige Kursleitende und zu wenige Räumlichkeiten."
Hinzu komme, dass das Geld dafür vom für die Finanzierung zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) häufig erst mit Verzögerungen eintreffe. "Wir gehen mit unseren Kursen immer in Vorleistung und gehen damit ein finanzielles Risiko ein", beklagt Lisa Aulinger, die Programmbereichsmanagerin für Deutsch- und Integrationskurse. "Bei erhöhtem Kursaufkommen mussten wir dann teilweise schon mehrere Monate auf das Geld warten." Deshalb wünschen sich die VHS-Verantwortlichen mehr Wertschätzung und Unterstützung von der Politik. Denn solche Kurse seien schließlich maßgeblich für eine gelungene Integration, finden Loibl und Aulinger.
Die Meinungen über die derzeitige Situation gehen also auseinander. Nur in einem Punkt sind sich so gut wie alle einig: Die Pläne der Ampel-Regierung, vom kommenden Jahr an deutlich weniger Geld für die Integration bereitzustellen, seien wenig zielführend, so das Echo aus Starnberg in Richtung Berlin. "Wir brauchen mehr Mittel, um Integrationskurse anbieten zu können", erklärt Landrat Frey. "Man müsste also eher mehr Geld hineingeben, als zu kürzen." Auch Verena Machnik findet es "fatal", die Mittel zu kürzen. "Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar", findet sie.
Und Bürgermeistersprecher Schnitzler stellt klar, dass man zu Zeiten des demografischen Wandels auch sehr von Zugewanderten profitieren könne. Dies aber könne nur klappen, wenn die Menschen eine Ausbildung bekommen und die Integration funktioniert. Ansonsten gelte es zu begrenzen. "Wir nehmen gerne Flüchtlinge auf und integrieren sie. Aber wenn es zu viele sind, werden wir eine Integration nicht schaffen", sagt er. "Wir sind schließlich nicht das Sozialamt für die ganze Welt."
Aussagen wie diese ärgern wiederum Carmen Wegge. Die SPD-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Starnberg-Landsberg hat die oberbayerischen Landräte und insbesondere deren Landsberger Sprecher Thomas Eichinger (CSU) kürzlich scharf kritisiert. Eichinger und viele seiner Kollegen hätten fälschlicherweise den Eindruck erweckt, Geflüchtete würden durch Sozialleistungen nach Deutschland gelockt, erklärt Wegge. Die Leistungen zum Lebensunterhalt aber seien für niemanden ein "Geschäftsmodell", wie Eichinger zu erkennen meine. Vielmehr seien solche Aussagen "zynisch". Die Rufe aus der Kommunalpolitik nach einer Begrenzung der Zuwanderung würden den falschen Eindruck vermitteln, es gäbe in dieser Frage "einfache und schnelle Lösungen".