SZ-Adventskalender:Unter fremdem Tannenbaum

SZ-Adventskalender: Landrat Stefan Frey und Seefelds Bürgermeister Klaus Kögel (von links) besuchen Anfang April Helferinnen und Helfer beim Aufbau einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hechendorf.

Landrat Stefan Frey und Seefelds Bürgermeister Klaus Kögel (von links) besuchen Anfang April Helferinnen und Helfer beim Aufbau einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hechendorf.

(Foto: Arlet Ulfers)

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sind rund 2000 Menschen vor dem Krieg in den Landkreis Starnberg gezogen. Wie geht es den Menschen hier? Und was ist mit denen, die schon früher aus anderen Ländern hierher geflüchtet sind? Ein Lagebericht.

Von Linus Freymark, Starnberg

24. Februar 2022: Russland überfällt die Ukraine. Neben all dem Leid in den attackierten Städten und Dörfern und den wirtschaftspolitischen Folgen hat der Krieg Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Auch im Landkreis Starnberg müssen viele Geflüchtete versorgt werden. Verantwortlich dafür sind die Kommunen, die seither vor immensen Herausforderungen stehen.

Ohne die vielen Ehrenamtlichen, die die Neuankömmlinge bei ihren ersten Schritten in Deutschland unterstützen, ohne die vielen Freiwilligen, die Wohnraum zur Verfügung stellen, Kleidung und sonstige Güter spenden, wären die Behörden wohl kaum in der Lage, die Geflüchteten adäquat unterzubringen. "Wir brauchen die gesamte Zivilgesellschaft", sagte Landrat Stefan Frey (CSU) deshalb schon im März - zu einem Zeitpunkt, als viele glaubten, dass nach der Corona-Pandemie ruhigere Zeiten einkehren würden. "Wir sind aus der einen Krise noch nicht ganz raus und direkt in die nächste rein", sagt Frey.

Der Krieg in der Ukraine hat auf die Finanzen des Landkreises enorme Auswirkungen. Neben den in allen Bereichen gestiegenen Kosten schlägt auch die Unterbringung der Geflüchteten zu Buche. "Es ist ein in jeder Beziehung schwieriges Jahr", sagt Frey. Knapp 1900 Ukrainerinnen und Ukrainer leben momentan im Landkreis. Damit hat Starnberg nach wie vor etwas mehr Menschen aufgenommen, als der Kreis nach den Vorgaben der Regierung von Oberbayern müsste.

Bald wird ein Jahr vergangen sein, seit die ersten Menschen aus der Ukraine vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland fliehen mussten. Wie geht es den Menschen hier nach fast zehn Monaten in der Fremde? Wie kommen die Behörden mit der Organisation zurecht? Was ist eigentlich mit denen, die aus anderen Ländern und vor anderen Krisen nach Deutschland geflüchtet sind? Und was lässt sich tun, um die Situation für alle Geflüchteten und die freiwilligen Helferinnen und Helfer zu erleichtern?

Viele Geflüchtete sind traumatisiert, bei ihrer Versorgung gibt es Defizite

Mit dem Nötigsten seien die Menschen aus der Ukraine versorgt, sagt Kerstin Täubner-Benicke. Die Starnberger Grünen-Stadträtin engagiert sich beim Netzwerk "Starnberg hilft". Die Ehrenamtlichen organisieren Kennenlerntreffen, Sprachkurse, Spielgruppen für Kinder und die Verteilung von Sachspenden. Aber je länger der Krieg andauert und die Flüchtlinge bleiben, umso mehr tun sich neue Probleme auf. Hauptproblem sei nach wie vor der Wohnraum, erklärt Landrat Frey: "So viel, wie wir brauchen, können wir gar nicht schaffen." Zweites Problem: der Mangel an Kita-Plätzen. "Da haben wir noch Bedarf", meint Täubner-Benicke. Denn Kinderbetreuung sei Voraussetzung dafür, dass die Mütter Zeit haben, die neue Sprache zu lernen. Vielerorts haben deshalb Freiwillige die Betreuung übernommen. Generell sei die Grundstimmung gegenüber Menschen aus der Ukraine "immer noch sehr positiv". Doch Helfern wie Geflüchteten wird eines immer klarer: "Manche werden wohl sehr lange nicht zurück in die Ukraine können", sagt Täubner-Benicke.

SZ-Adventskalender: Die Grünen-Stadträtin Kerstin Täubner-Benicke aus Starnberg engagiert sich beim Helfernetzwerk "Starnberg hilft".

Die Grünen-Stadträtin Kerstin Täubner-Benicke aus Starnberg engagiert sich beim Helfernetzwerk "Starnberg hilft".

(Foto: Katharina Kreye/oh)

Neben Menschen aus der Ukraine gibt es rund 1400 Geflüchtete aus anderen Ländern, die schon lange im Landkreis leben. Diplom-Psychologe Thomas Sulzer unterstützt sie sozialpsychiatrisch, vor einem halben Jahr gründete er mit Mitstreitern den Verein "SoulSupport". Viele seiner Klienten seien aufgrund der Erlebnisse in ihren Heimatländern oder wegen Geschehnissen auf der Flucht traumatisiert, sagt Sulzer. Der Anteil der Traumatisierten sei hoch: "Schätzungen von 30 Prozent sind wohl noch konservativ." In einer Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis leide etwa jeder zehnte Bewohner unter psychisch bedingten Schlafstörungen, Hoffnungslosigkeit und chronischen Kopfschmerzen. Eigentlich bräuchten diese Menschen umfassende Behandlung und Betreuung, stattdessen bekämen sie häufig nur Schmerzmittel verschrieben. Denn beim sozialpsychiatrischen Angebot für Geflüchtete gebe es auch aufgrund der hohen Zahl von Betroffenen ein Defizit. "Dabei sind diese Menschen seelisch in Not", sagt Sulzer.

"SoulSupport" arbeitet mit Organisationen, Helferkreisen und staatlichen Stellen wie der Asylsozialberatung des Landkreises und der Regierung von Oberbayern zusammen. Der Verein springt ein, wenn sich Versorgungslücken oder Engpässe auftun. "Wir nehmen Stress aus dem System", sagt Sulzer. Der Verein hat neben dem Psychologen Sulzer weitere Freiwillige, die die Voraussetzungen dafür mitbringen. Das beginnt schon bei der Sprache: Bei "SoulSupport" engagieren sich qualifizierte Übersetzer, die für therapeutische Gespräche die notwendige interkulturelle Kompetenz und Empathie mitbringen. Auch bei der Finanzierung hilft der Verein, rennt Gutachten hinterher und kämpft für die Finanzierung der Behandlungen von Geflüchteten.

SZ-Adventskalender: Der Psychologe Thomas Sulzer unterstützt Geflüchtete mit seinem Verein "SoulSupport". Die meisten seiner Klienten leben bereits seit mehreren Jahren im Landkreis Starnberg.

Der Psychologe Thomas Sulzer unterstützt Geflüchtete mit seinem Verein "SoulSupport". Die meisten seiner Klienten leben bereits seit mehreren Jahren im Landkreis Starnberg.

(Foto: Georgine Treybal)

Dabei stoßen Sulzer und seine Kollegen oft auf bürokratische Hürden: Medizinische Gutachten lassen auf sich warten, Anträge kosten Zeit und Nerven. Das müsse weniger werden, findet Sulzer. Auch sonst ließe sich die Situation seiner Klienten verbessern: Mehr Digitalisierung in Unterkünften, eine am individuellen Bedarf orientierte Behandlung und Betreuung sowie eine bessere Unterbringung vor allem von allein nach Deutschland Gekommenen. Sulzer: "Lärm, Sauberkeit und fehlende Privatheit bergen das Hauptkonfliktpotenzial."

Wie lässt sich die Lage dieser Menschen verbessern? Landrat Frey räumt ein, es gebe nach wie vor Unterschiede in der Behandlung von Menschen aus der Ukraine und anderen Geflüchteten. Diesen müsse man ebenso wie den Ukrainern schneller die Möglichkeit geben, eine Arbeit aufzunehmen. Gleichzeitig will Frey die Menschen - egal aus welchem Land - stärker in die Pflicht nehmen, diese Möglichkeiten auch zu nutzen und angebotene Jobs anzunehmen. Gerade in der Pflege oder in der Busfahrerbranche gebe es viele Lücken. "Das ist für mich der Weg, wie wir unsere Probleme in den Griff kriegen", sagt der Landrat.

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