Fünfseen-Filmfestival in Starnberg:Weltpremiere unter freiem Himmel

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In diesem Jahr gibt es besonders viele Open-Airs. Trotz Corona ist das Programm umfangreicher als angekündigt. Die Schauspieler Nina Hoss und Lars Eidinger sind die Stars, Jazzer Klaus Doldinger kommt als Ehrengast, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist Schirmherr.

Von Gerhard Summer, Starnberg

Früher, länger, frischer: Das Fünfseen-Filmfestival versucht in kulturarmen Zeiten das Kunststück, sich zu neuem Format aufzuschwingen, und geht mit ungewohnt vielen Open-Airs ein hohes Risiko ein. Die "Special Edition", wie der künstlerische Leiter Matthias Helwig die 14. Ausgabe von 26. August bis 9. September nennt, sei im Grunde eine "erweiterte und verbesserte" Fassung des sonst später startenden Spektakels, sagte er am Mittwoch in einer Pressekonferenz: "Wir machen uns nicht kleiner, wir bringen die Welt in den Landkreis, das ist kein Festivalchen." Schirmherr ist erstmals ein Ministerpräsident, Markus Söder, was eine Art Ritterschlag für Helwig bedeutet. Dass der Fokus darauf liege, die Corona-bedingten Abstandsregeln einzuhalten und niemanden zu gefährden, sei "selbstverständlich".

Schirmherr ist erstmals ein bayerischer Ministerpräsident: Markus Söder. (Foto: dpa)

Auch gemessen daran, dass die Genehmigung für das Festival erst Anfang Juli eintrudelte, ist das eilends zusammengestellte Arthouse-Programm mit starken Produktionen aus dem Gastland Ukraine fast schon ein Starnberger Wunder. Denn Helwig macht keine Abstriche. Alles in allem stehen doppelt so viele Produktionen an, wie er zunächst angekündigt hatte: 164 an der Zahl, darunter 30 Kurz-, 13 Video-Art- und zwölf Short-Plus-Filme. Wobei das Gros von diesem Jahr stammt. Ein Spielplan mithin, der widerlegt, dass es keinen Kino-"Content" mehr gebe in Zeiten der Pandemie.

Mehr als 70 Regisseure, Schauspieler, Produzenten und andere Besucher aus dem In- und Ausland werden zu dem zweiwöchigen Kino- und Freilichtmarathon erwartet. Zu den aufgebotenen Stars gehören Nina Hoss und Lars Eidinger, der extra aus Berlin kommt. Hoss erhält den Hannelore-Elsner-Schauspielpreis, Eidinger stellt die "Persischstunden" von Vadim Perelman vor, eine irrwitzige Überlebensgeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Ehrengast ist der Jazzer Klaus Doldinger, der die Filmmusik zum "Boot" und zur "Unendliche Geschichte" geschrieben hat und im Gautinger Filmtheater auch spielen wird.

Die traditionelle Dampferfahrt entfällt zwar, weil es auf dem Katamaran Starnberg zu eng zugehen würde, dafür kreuzt ein wüstentaugliches Gefährt auf: Wolfgang Gaudlitz' Cinemamobile. Das rollende Kino macht in Weßling und Seefeld Station; unter freiem Himmel sind unter anderem 16-Millimeter-Klassiker zu sehen, außerdem ein Kurzfilmprogramm, Fellinis "La Strada" oder Godards "Außer Atem". Das Motto des Festivals ist erweitert worden: Ursprünglich hieß es "Bewegung", nun ist "Stillstand" dazu gekommen.

Alle größeren Events gehen aus Vorsichtsgründen im Freien über die Bühne, und zwar im Seebad Starnberg: die Weltpremiere der Pasolini-Doku "Vor mir der Süden" von Oscar-Preisträger Pepe Danquart genauso wie die Deutschlandpremiere von Daria Onyshchenkos Drama "The Forgotten" und das Kurzfilmfinale samt Publikumsentscheidung mit Jetons. Auch die Eröffnung ist diesmal ein Open-Air. Das ist fast schon ein Glücksfall, weil die Schlossberghalle nie so recht als festlicher Schauplatz taugte. Laut Prognosen ist mit klarem Sommerwetter zu rechnen und hoffentlich mit Blick auf die Zugspitze. Zum Auftakt gibt es eine der ganz wenigen heiter-flockigen Komödien im Festivalprogramm: Peter Payers "Glück gehabt". Der Regisseur und Hauptdarstellerin Julia Roy werden zu der Feier mit etwa 250 Gästen kommen, außerdem die Schauspieler Marianne Sägebrecht und Rainer Bock.

Ehrengast ist der Jazzmusiker Klaus Doldinger (hier bei Premiere der TV-Serie "Das Boot" in München vor zwei Jahren). (Foto: Claus Schunk)

Ansonsten ist auch 2020 wieder vor allem schwere Dramen-Kost aus Mitteleuropa geboten, wobei es Helwig die Produktionen aus der Ukraine angetan haben. Filme wie "The Babushkas Of Chernobyl", "The Earth Is Blue As On Orange", "Homeward" und "Atlantis" hätten "eine Kraft, die ins Herz geht. Ich setze auf diese Kraft", sagte Helwig.

Seine Motivation, ein in dieser Größe in Deutschland "einmaliges" Filmfest auf die Beine zu stellen, obwohl andere Festivals schrumpfen, Hybridlösungen ausprobieren oder die Segel streichen, beschrieb er so: Zum einen dürfe das Kinoerlebnis nicht verloren gehen, das es ermögliche, tief in eine Geschichte einzutauchen. Zum anderen wolle er zeigen, dass es sehr wohl ein "Riesenangebot an großartigen Filmen" gebe. Weil sich das Fest über zwei Wochen erstreckt, fällt auch ein wenig Hetze weg: Einige Filme laufen in Gauting am selben Tag zu verschiedenen Uhrzeiten.

Helwig geht mit der "Special Edition" ein großes finanzielles Risiko ein. Wegen der Corona-Auflagen rechnet er mit nur einem Drittel der Einnahmen. "Ich werde an diesem Festival bestimmt keinen Cent verdienen, ich werde draufzahlen", sagte er. Möglich werde das Ganze nur durch Kosteneinsparungen beim Festivalteam und durch Zuschüsse. Das bayerische Ministerium für Digitales etwa habe seine Förderung erhöht, große Einzelbeiträge kämen vom Rotary-Club Starnberg und der ALR Treuhand GmbH. Das Budget ist angesichts des Programms nach wie vor lächerlich gering: 270 000 Euro. Ob das Publikum mitziehen wird? Helwig ist zuversichtlich: Die am 1. August gestarteten Open-Air-Vorstellungen liefen sehr gut, in zwei Wochen seien 4000 Zuschauer gekommen, "ohne dass was passiert ist".

© SZ vom 21.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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