Fünfseen-Filmfestival:Tröstliche Schlager

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Der abgehalfterte Schlagerstar Richie Bravo im Bett mit Sternenhimmel: Szene aus Ulrich Seidls Drama "Rimini". (Foto: FSFF)

Ulrich Seidls gnadenlos ehrliches Drama "Rimini" über einen abgehalfterten Schnulzensänger im herbstlich verregneten und verschneiten Urlaubsort an der Adria.

Von Gerhard Summer, Starnberg

Der Film ist noch gar nicht zu Ende, da könnte man schon anfangen, sich zu fragen, was nun am trostlosesten und traurigsten ist an diesem Drama. Der Absturz eines einstigen Schlagerstars aus dem Burgenland? Der herbstlich triste Urlaubsort an der italienischen Adria, wo er sich durchschlägt? Oder das Dahinsiechen seines dementen Vaters im österreichischen Pflegeheim? Ulrich Seidl zeigt in "Rimini" nämlich, was man gern wegschiebt, beschönigt und gar nicht so genau sehen will. Er führt sehr realistisch vor, wie das Leben so spielen kann und wie gruselig der Sex ist, den Bravo mit seinen älteren weiblichen Fans gegen Bargeld pflegt. Zumal wenn nebenan in der Abstellkammer die bettlägrige Mutter einer Verehrerin vor sich hin keucht. Wer auf ein irgendwie versöhnliches oder dramatisches Ende hofft, der wartet vergebens. Und hat vielleicht auch deshalb das Gefühl, dass sich der Abgesang auf einen abgehalfterten, dem Alkohol verfallenen Barden in die Länge zieht. Denn Illusionen lässt Seidl nicht zu. Zum Finale gibt's noch Schuberts hoffnungslose "Winterreise".

"Rimini" dürfte eine der erbarmungslos ehrlichsten Produktionen dieses Fünfseen-Filmfestivals sein. Seine Wirkung verdankt das Drama mit dem grandiosen Michael Thomas (Richie Bravo), Hans-Michael Rehberg (als Vater in seiner letzten Rolle), Tessa Göttlicher (Tochter), Inge Maux und Claudia Martine (beide als Verehrerinnen) starken Gegensätzen: hier die glänzende professionelle Besetzung, da Dialoge, die oft etwas irritierend Laienhaftes an sich haben und wie improvisiert und echt klingen. Hier die Schlagertexte, die von Liebe, Glück und Trallala künden, da die Vorhölle im dunklen, verregneten, verschneiten und fast menschenleeren Touristenort mit Flüchtlingen am Wegesrand, die zu Säulen erstarrt sind. Viele Einstellungen sehen zudem aus, als hätte ein Ordnungsfanatiker sie ersonnen. Dabei ist in dieser zwischen Österreich und Italien pendelnden Geschichte eines Haderlumpen nichts mehr in Ordnung. Doch Kameramann Wolfgang Thaler setzt auf Symmetrie, ob er das grausam spießig eingerichtete Elternhaus von außen einfängt oder den Sänger auf der bunten Siebzigerjahre-Hotelbühne vor einem Dutzend Zuhörerinnen. Sogar wenn Richie Bravo mit seiner Tochter Tessa streitet, die plötzlich mit ihrem arabischen Freund auftaucht, von ihm den nie gezahlten Unterhalt kassieren will und schließlich samt Entourage in seine Villa einzieht, zaubert Thaler ein genau abgemessenes Strand-Triptychon aus den dreien hin.

Das Meer sieht man in "Rimini" fast nie: Schnulzensänger Richie Bravo auf dem Weg zu einem seiner Auftritt in Hotels und Clubs, vorbei an Flüchtlingen. (Foto: FSFF)

Der Wiener Ulrich Seidl hat schon in "Hundstage", seiner "Paradies"-Trilogie und der Dokumentation "Im Keller" Abgründe und Obessionen ausgeleuchtet. In "Rimini" lässt er nur einen Trost zu, und das ist ausgerechnet der oft so verlogene Schlager. Natürlich, dieser Richie ist ein windiger Gigolo, der sogar das Sparbuch seines Vaters plündern will, um an Geld zu kommen. Aber seine Stimme ist eine Wucht: mit viel Power, aber auch mit Schmelz und Tremolo. Michael Thomas singt die von Fritz Ostermayer und Herwig Zamernik komponierten oder arrangierten Hits selbst und übertönt mit "Amore Mio" die Nazilieder, die seinem Vater wieder in den Sinn kommen. Kein Wunder, Thomas stand an der Mailänder Scala schon in der "Zauberflöte" auf der Bühne.

Glaubt Richie Bravo also an den Schlager? Hält er sich selbst wirklich für liebenswert? Der Regisseur gibt keine Antwort darauf. Aber er lässt zumindest eines zu: dass man in dem Schnulzensänger nicht nur einen schäbigen Kerl sehen könnte.

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