Es ist Coronazeit, eine Zeit mit vielen Einschränkungen. Wie viele andere Menschen auch, muss Rommy Genuit jetzt Trennungen aushalten. Der Terminkalender der Autorin war stets voll, nie hat sie unter Einsamkeit gelitten. Doch jetzt leidet sie unter der staatlich verordneten Einsamkeit, weil sie ihre Familie nicht sehen darf. Das fällt ihr sichtlich schwer. „Das Kollektive des Trennungsschmerzes macht ihn nicht gerade erträglicher“, schreibt sie in ihrer Geschichte „Inspiration“, in der sie, die allein gelassene, ihre Situation während eines Spaziergangs an der Herrschinger Bucht beschreibt.
Sie kann beobachten, wie Väter mit ihren Kindern Steine werfen. Die Kinder nehmen es gelassen, dass die Spielplätze geschlossen sind; denn der Stein-Weitwurf am See war schon immer beliebt. Wenn Rommy Genuit ihre Hand in das Wasser taucht und dort die Kieselsteine streichelt, spürt sie deutlich die Kraft des Sees und es kommen ihr fast philosophische Gedanken. Egal, welches Schicksal ihm widerfährt, die unzähmbaren Wassermassen werden sich nach den Gesetzen der Natur verhalten, schreibt sie. „Diesen Wassermolekülen wird niemand Quarantäne verordnen können.“ Gleichzeitig kommt ihr die Idee zu ihren Enkelkindern, die sie nicht sehen kann, eine Brücke zu bauen mithilfe von Worten. Sie erfindet Geschichten um einen Jungen, um ihre eigenen Gefühle in eine für die Enkelkinder verständliche Sprache zu übersetzen. Genuit hat die schmerzliche Zeit überwunden, ja schon fast vergessen. Doch bei ihren Enkelkindern sind die Geschichten auch noch vier Jahre nach Corona beliebt.
„Von Flüssen und Seen“ heißt die 39. Ausgabe der Starnberger Hefte, in der Genuits Geschichte „Inspiration“ erschienen ist. Das druckfrische Heft wurde am Donnerstag im evangelischen Gemeindehaus vorgestellt. Die Veranstaltung wurde untermalt von einem von Anton Bernhard zusammengestellten und von Nachwuchsmusikern präsentierten musikalischen Programm.
Insgesamt 22 Gedichte, Geschichten und Erinnerungen wurden in dem Heft veröffentlicht. Dabei stellt sich laut Pfarrer Simon Döbrich die Frage, warum es 39 Ausgaben gebraucht hat, bis das für Starnberg eigentlich naheliegende Thema „Von Flüssen und Seen“ aufgegriffen wurde. Und tatsächlich gibt es nur wenige Beiträge zur Region. Die Themen reichen über Erinnerungen an eine Radtour entlang der Elbe von Ernst Quester bis zu der Geschichte „Der Gelbe Fluss“ von Mei Shi.

Auch die Autoren bestehen längst nicht mehr nur aus ehemaligen Schülern des pensionierten Deutschlehrers Ernst Quester. Da ist beispielsweise Questers ehemaliger Studienkollege Jürgen Protz, der in Murnau wohnt und seine Kindheitserinnerungen an den frostigen Winter 1956 an der Weser beschreibt. Pfarrer Simon Döbrich hat sich ebenfalls als Autor betätigt und ist mit einer Geschichte über die Kindheitserinnerungen seiner Oma in Würzburg in dem Heft vertreten. Es gibt Gedanken zu Wasserburg am Inn (Julia Jückstock) und zum Thunersee (Joachim Meissl) oder eine Geschichte, warum der Gardasee für einen ordentlichen Münchener ebenso ein standesgemäßes Naherholungsziel ist, wie die bayerischen Seen es sind.
Um einen ganz anderen Fluss handelt es sich bei dem Gedicht „On Line“ von Sonja Haanraads. Julia Behrs Geschichte „Nur fünf Minuten“ hat mit dem Strom der Zeit und Thomas zu tun und die Geschichte „Liebestanz“ von Thomas Keil hat nur indirekt mit dem Wasser zu tun, weil die Larve der Eintagsfliege nun mal ihre erste Lebenszeit im stehenden Gewässer verbringt. Auch das Naturgedicht „April“ von Patricia Czezior hat nichts mit dem Thema Wasser zu tun, bildet aber den krönenden Abschluss der Beiträge.