Kultur im Fünfseenland:Experiment im Stil von „Cadavre Exquis“

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Performance der besonderen Art in der Villa Waldberta bei den "Offenen Ateliers" am Starnberger See mit (v.li.) Qian Geng, der Sängerin Laura Totenhagen aus Köln und Zeichner Cyrille Beirnaert. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Franz Xaver Fuchs)

Cyrille Beirnaert und Qian Geng präsentieren im Rahmen der „Offenen Ateliers“ auch am zweiten Wochenende eine bemerkenswerte Performance.

Von Katja Sebald, Feldafing

Die Villa Waldberta als Künstlerhaus der Stadt München hat sich mit einem „Open Studio“ auch in diesem Jahr an den „Offenen Ateliers“ in Starnberg, Pöcking und Feldafing beteiligt. Der französische Zeichner und Architekt Cyrille Beirnaert und der chinesische Künstler Qian Geng stellten im als Arbeitsraum genutzten Palmenhaus an zwei aufeinander folgenden Wochenenden Ideen, Projekte und Arbeiten vor, die sie während ihrer Residency in Feldafing entwickelt hatten.

Die Nachricht von der Performance, bei der Qian Geng seinen Haarschopf in einen Eimer mit schwarzer Tusche tauchte, hatte schnell die Runde gemacht. Geng zeichnete dabei wie ein Derwisch mit den Bewegungen seines Kopfes auf eine am Boden liegende Plane. Am vergangenen Samstag hatten sich deshalb zahlreiche Besucher eingefunden, um das Spektakel mit eigenen Augen zu sehen.

Die mit einer Art riesiger Schriftzeichen bedeckte Plane vom vorhergehenden Wochenende hing zwar als eindrucksvolles Zeugnis des Events noch zwischen den Bäumen im Park der Villa, eine Wiederholung gab es jedoch nicht. Dafür fanden die beiden Zeichner, die nicht nur von ihrem kulturellen Hintergrund, sondern auch von ihrer künstlerischen Technik her kaum unterschiedlicher sein könnten, am Samstagnachmittag zu einem Experiment im Stil von „Cadavre Exquis“ zusammen.

Diese spielerische Methode, dem Zufall bei der Entstehung von Texten und Bildern Raum zu geben, geht auf die Künstler des Surrealismus zurück. Sie setzen dabei nacheinander auf einem gefalteten Papier ein Motiv fort, ohne zu sehen, was ihr Vorgänger gemalt oder gezeichnet hat. Auch Cyrille Beirnaert und Qian Geng bedeckten vor Zuschauern mit schwarzer Tusche jeweils eine Hälfte eines am Boden liegenden Papiers, ohne auf das Blatt des jeweils anderen zu schauen. Nach zehn Minuten drehten sie den Papierbogen um, wechselten die Plätze und arbeiteten auf der zweiten Hälfte weiter. Und nach weiteren zehn Minuten legten sie den Pinsel zur Seite und falteten den Bogen auf.

Hat nach eigenem Bekunden immer einen genauen Plan im Kopf, bevor er anfängt zu zeichnen: Cyrille Beirnaert. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Franz Xaver Fuchs)

Er sei Architekt, erläuterte Beirnaert im Anschluss, und er habe immer einen genauen Plan im Kopf, bevor er anfange zu zeichnen. Er arbeitet drei Monate lang im Rahmen einer auf Initiative der Partnerstädte München und Bordeaux neu entstandenen Architekturresidenz in der Villa Waldberta. An den Wänden des Palmenhauses zeigte er, womit er sich derzeit beschäftigt: Er überträgt die während seines Aufenthalts gefundenen – und fotografierten – Besonderheiten und Merkwürdigkeiten in drei verschiedene Kategorien.

In der Villa Waldberta war auch diese Skulptur im Rahmen der "Offenen Ateliers" zu bewundern. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Franz Xaver Fuchs)

Unter „Feldafing Folks“ finden sich Golfspieler, ebenso aber auch Katzen, Hunde und Eichhörnchen. Unter „Hats on Hats“ versammelt er verschiedene Türmchen und Dachlaternen. Und unter „Patterns and Details“ hat er begonnen, die geschnitzten Balken, Geländer und anderen architektonischen Verzierungen in der historistischen Villa zu zeichnen. Auch kolorierte Ansichten von Haus und Park, ein geheimnisvoller Geist der Vergangenheit auf dem Balkon und ein schlafender Hund gehören zu seinen Zwischenergebnissen. Zudem brachte er architektonische Versatzstücke und verschiedene Tiere auch während der Performance aufs Papier.

Qian Geng lebt in Peking und bezeichnet sich selbst als Künstler, Schauspieler, Musiker und experimenteller Kalligraph. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Franz Xaver Fuchs)

Qian Geng hingegen versuche, beim Zeichnen den Verstand komplett auszuschalten und nur aus der Intuition zu schöpfen, erklärte der in Peking lebende Künstler. Er versteht sich als Schauspieler, Musiker, Designer und auch als „experimenteller Kalligraph“. Unter dem Künstlernamen „the 8 immortals“ tritt er auch als Performance-Künstler auf. Die „acht Unsterblichen“ bezeichnen in der chinesischen Mythologie Heilige, die den Menschen in Not beistehen und gleichzeitig die acht grundlegenden Lebensbedingungen verkörpern: Jugend, Alter, Armut, Reichtum, Adel, Volk, Mann und Frau.

Ein üppig wuchernder Dschungel aus Linien, Zeichen und Pinselstrichen

Er wolle chinesische Traditionen – „pan-orientalische Religionen“ ebenso wie Spirituelles – in seiner Arbeit verbinden, schreibt der Künstler. Mit „The Scene of Hell“ war sein auf einem Tisch ausgelegter Zyklus überschrieben, in dem sich gestrichelte und verschlungene Tuschezeichnungen zu einem immer dunkleren „Inferno“ verdichten. Mit leichter Hand und in atemberaubender Geschwindigkeit bedeckte er während der Performance das Papier. Was zunächst aussah wie ein schlichtes Stillleben, versank nach und nach in einem üppig wuchernden Dschungel aus Linien, Zeichen und Pinselstrichen.

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