Geschichte:Feldafing war brauner als die Nachbardörfer

Marita Krauss und Erich Kasberger arbeiten die Nazi-Vergangenheit der Gemeinde am Starnberger See auf. Das Ehepaar sucht noch Bürger, die alte Fotos oder Unterlagen zur Verfügung stellen.

Von Sylvia Böhm-Haimerl

Die kleine Gemeinde Feldafing war in der Nazizeit brauner als ihre Nachbardörfer. Zum einen gab es in dem Ort die Reichsschule, in der Führernachwuchs heranreifen sollte, die einzige Einrichtung dieser Art in Deutschland; 90 Prozent der Lehrer waren Mitglieder in Organisationen der NSDAP. Zum anderen soll der Ortsgruppenleiter die Bürger massiv unter Druck gesetzt haben. Kein Wunder also, dass etwa 50 Prozent der Feldafinger Mitglieder in NS-Organisationen waren, wie die Historiker Professorin Marita Krauss und Erich Kasberger sagen.

Pöcking: Kunstprofessorin Prof Marita Krauss und Historiker Erich Kasberger

Forschten in Archiven und werteten 1700 Entnazifizierungsbögen aus: Marita Krauss und Erich Kasberger.

(Foto: Nila Thiel)

Im Juli vergangenen Jahres hatte der Gemeinderat die Zwei mit einem Sachbuch zum Thema "Feldafing und der Nationalsozialismus" beauftragt. "Feldafing hat ein besonderes Schicksal zu tragen", meinte Krauss, als die Historiker dem Gemeinderat nun einen Zwischenbericht vorlegten.

Krauss und Kasberger hatten schon die NS-Vergangenheit in Pöcking aufgearbeitet. Ihnen zufolge gab es in Feldafing 5,5 Prozent mehr NS-Mitglieder als in der Nachbargemeinde. Doch im Gegensatz zu den Pöckingern hätten die Feldafinger mit Heinrich Brubacher einen Ortsgruppenleiter gehabt, der ein überzeugter Nazi gewesen sei. Laut Krauss und Kasberger sind Juden verfolgt und Bürger bedroht worden, dass sie beispielsweise ihre Arbeit verlieren, wenn sie nicht mitmachten. Auch habe Brubacher die Kreuze in den Schulen entfernen lassen, um das Metall für die Rüstungsindustrie spenden. Krauss zufolge gab es aber Bürger, die die Kreuze heimlich beiseiteschaffen konnten, damit sie nicht vernichtet wurden. Neben den Dorfbewohnern und den Bauern in Wieling gab es in Garatshausen die Adelsfamilien Arco und Thurn und Taxis, zu denen der europäische Hochadel anreiste. Die Reichsschüler nannten sich ebenfalls Feldafinger, wurden aber von den Historikern in einem eigenen Kapitel behandelt. "Es war eine eigene, in sich geschlossene Welt", so Krauss' Begründung. Im Alltag jedoch hätten die Feldafinger mit diesen unterschiedlichen Gruppen umgehen müssen.

Röhm in Feldafing

Die Eröffnung der Reichsschule Feldafing am 1. April 1934 mit SA-Stabschef Ernst Röhm.

(Foto: privat)

Die Reichsschule, die sich auf dem heutigen Kasernengelände befand, war laut Kasberger ähnlich organisiert wie ein Kadettenkorps. Sie sei "ein ideales Transportmittel der Ideologie" gewesen. "Der Unterricht richtete sich nicht an den Verstand, sondern an Emotionen." Die Lehrer und Schüler, etwa 500 an der Zahl, kamen aus ganz Deutschland. Wie die Historiker herausgefunden haben, wohnten die Schüler in kleinen Gruppen in Villen. Auf dem Gelände habe es 28 Tennisplätze gegeben. Zu Ski- und Wanderfreizeiten seien eigene Schulbusse eingesetzt und im Zug stets Plätze für die Schüler reserviert worden, auf die sich niemand aus der Bevölkerung setzen durfte. Die Einrichtung wurde am 8. Mai 1945 geschlossen, doch die Lehrer wohnten noch in den Villen, bis sie im August verhaftet wurden. Die acht Sturmhäuser der ehemaligen Reichsschule stehen heute unter Denkmalschutz.

Geschichte: Junge Reichsschüler.

Junge Reichsschüler.

(Foto: privat)

Nach dem Krieg wurde auf dem Gelände ein DP-Lager ("Displaced Persons") eingerichtet, ein Auffanglager für ehemals verfolgte Juden und in Deutschland gestrandete Ausländer, in dem zeitweise bis zu 6000 Menschen lebten. Sie hatten nach Angaben der Historikerin "eine Nicht-Beziehung" zu Feldafing und seinen Bewohnern. Wie Krauss mitteilte, erwarte sie Ende November "Ehemalige" oder ihre Nachkommen in Feldafing. "Das ist eine sehr spannende Geschichte, die bis heute in unsere Gesellschaft hineingreift."

Rund 1700 Entnazifizierungsbögen von Feldafinger Bürgern haben die beiden Historiker durchgearbeitet. Sie forschten in zahlreichen Akten, im Gemeindearchiv bis hin zum Bundesarchiv in Berlin, und werteten Unterlagen aus Israel und Washington (USA) aus. Aus New York erwarten sie noch 26 Filmrollen. Wie sie berichteten, seien ihre Recherchen durch die Pandemie verzögert worden. Die Archive waren geschlossen. Derzeit könnten sie nur nach Terminvergabe besucht werden, die Wartezeiten seien lang. Krauss und Kasberger appellierten an die Feldafinger, sich zu melden, falls sie noch Unterlagen oder Fotos aus der Nazi-Zeit haben. "Niemand soll diffamiert werden oder sich diffamiert fühlen. Historiker sind keine Richter", sagte Kasberger.

Bürgermeister Bernhard Sontheim lobte die Arbeit der Historiker als "sachliche und absolut objektive Aufarbeitung ohne Verurteilung". Man werde mit "teilweise schockierenden Erkenntnissen" konfrontiert, die nachdenklich machten.

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