Einheimischenmodell "Am Wiesengrund":Starnberg hat noch einen Bewerber falsch bewertet

Starnberg Rathaus Wiesengrund

Am südlichen Stadtrand von Starnberg sollen 51 Reihenhäuser und mehrere Mehrfamilienhäuser im Geschosswohnungsbau entstehen.

(Foto: Georgine Treybal)

Die Familie findet sich allerdings auf den hinteren Rängen. Nach Ansicht einer Betroffenen-Anwältin kann die Verlosung der Grundstücke nicht einfach wiederholt werden.

Von Peter Haacke

Die Panne der Stadt Starnberg bei der Vergabe von 51 Grundstücken im Einheimischenmodell "Am Wiesengrund" wirft weitere Fragen auf. Am Montag war bekanntgeworden, dass das Losverfahren unter insgesamt 40 Bewerbern mit identischer Punktzahl für 23 Grundstücke wiederholt werden soll, weil einer der Interessenten offensichtlich zu niedrig bewertet worden war. Diejenigen, die bereits eine Zusage zum Bau eines Reihenhauses hatten, müssen nun damit rechnen, leer auszugehen. Auf die Stadt Starnberg könnten juristische Verfahren und Schadenersatzklagen zukommen. Und bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit ist auch nicht mit einem Baubeginn am Wiesengrund zu rechnen.

Bürgermeisterin Eva John (BMS) beeilte sich, noch am Montagabend im Haupt- und Finanzausschuss zu erklären, dass auch der Ferienausschuss des Stadtrats schon seit 19. August vom fehlerhaften Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung informiert war. Allerdings "wollte man möglicherweise wenig Aufhebens von der Sache machen", erinnert sich Starnbergs dienstältester Stadtrat Gerd Weger (CSU). Im Detail sei jedenfalls nicht weiter über die Angelegenheit diskutiert worden. Auch Patrick Janik (UWG) bestätigt, der Ausschuss habe "in Hoffnung auf problemlose Heilung" und "in Unkenntnis der rechtlichen Bewertung" einhellig den von der Stadtverwaltung erarbeiteten, aber rechtlich verharmlosenden Vorschlag gebilligt: Der unberücksichtigte Interessent sollte ein Los mit den Rängen zwischen 29 und 68 ziehen, zumal ein Bewerber aus dieser Gruppe bereits zurückgetreten war. Der Nachzügler war dann auf Rang 58 gelost worden, hatte aber laut Stadt von Beginn an nur die Chance auf einen Ersatzplatz. Der Anwalt des Bewerbers lehnte das Verfahren aus diesem Grund ab - und beharrt auf Neuauslosung mit allen 40 Bewerbern mit 75 Punkten für die übrigen 23 Parzellen.

Die Stadt ist damit in einer Zwickmühle: Wiederholt sie das Losverfahren nicht, benachteiligt sie den nicht im Verfahren berücksichtigten Bewerber. Verlost sie die verbleibenden Bauplätze 29 bis 51 jedoch neu, muss sie Klagen derjenigen Häuslebauer fürchten, die bereits den Zuschlag hatten und ihn nun verlieren. "Nach anwaltlicher Beratung gelangt die Stadtverwaltung zur Auffassung, dass die durchgeführte Vorgehensweise zur Verletzung der Vergaberichtlinien und des Gleichheitsgrundrechts führen kann", teilte dazu die Sprecherin der Stadt, Lena Choi, am Montag mit. Die Verwaltung sei daher der Empfehlung des Rechtsanwalts gefolgt, an alle Bewerber mit 75 Punkten ein Anhörungsschreiben mit der Bitte um Stellungnahme bis 22. November zu versenden.

Unter den Betroffenen, die bereits eine Zusage für ein Grundstück am Wiesengrund hatten und nun wieder um ihr Reihenhauses bangen müssen, wächst derweil der Unmut. Wie viele einen Architekten beauftragt, verbindlich einen Kredit aufgenommen oder ihr bisheriges Domizil womöglich gekündigt oder verkauft haben, ist unbekannt. Die VR-Bank Starnberg-Herrsching-Landsberg hat laut Pressesprecher Johann Oberhofer bereits vier Kreditvergaben zugesichert - allerdings an Bewerber, die auf den vorderen 28 Ranglistenplätzen stehen und damit nicht betroffen sind. Wie viele Kunden der Kreissparkasse einen Kredit aufgenommen haben, war am Dienstag nicht zu erfahren.

Die Kriterien, die Bilanz

Ortsansässigkeit, Kinder, Ehrenamt: Die Vergabe der relativ günstigen Baugrundstücke ist an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. In den "Richtlinien zur Grundstücksvergabe" vom 18. April 2018 veröffentlichte die Stadt, nach welchen Kriterien die Bewerber bewertet werden. Einen Antrag stellen durften etwa nur Familien oder Paare, deren zu versteuerndes Gesamteinkommen 114 000 Euro nicht übersteigt, bei Alleinstehenden sind es 57 000 Euro, jeweils zuzüglich Freibeträge von 7000 Euro pro Kind. Das Vermögen der Bewerber darf 40 Prozent der voraussichtlichen Baukosten nicht übersteigen.

Die Reihenfolge der Bewerber bei der Vergabe richtet sich nach einem Punktesystem. Pro Jahr mit Hauptwohnsitz oder mit Arbeitsplatz in Starnberg gibt es sieben Punkte, höchstens jedoch 35 - wobei der Hauptwohnsitz auch früher in der Stadt gewesen sein kann. Bei mehr als 20 Jahren Abwesenheit werden jedoch 2,5 Punkte abgezogen.

Zehn Punkte gibt es pro Kind, das im Haushalt der Bewerber wohnt und kindergeldberechtigt ist. Schwangere im Haushalt erhalten ebenfalls zehn Punkte, als Nachweis gilt der Mutterpass. Für Schwerbehinderte ab einem Grad der Behinderung von 50 Prozent und Pflegebedürftige im Haushalt gibt es für die Bewerbung jeweils zehn Punkte.

Beim durchschnittlichen Einkommen werden die Steuerbescheide der letzten drei Jahre herangezogen - unter 60 000 Euro im Jahr bringen zehn Punkte, unter 80 000 Euro fünf Punkte. Wessen Vermögen unter 20 Prozent der Baukosten liegt, bekommt zehn Punkte. Vermögen zwischen 20 und 30 Prozent der Investition wird mit fünf Punkten bewertet.

Beim Ehrenamt lautet die Regelung: "Für jedes vollendete Jahr über zwei Jahren, in dem ein ehrenamtliches Engagement mit Sonderaufgabe ausgeübt wurde", gibt es 1,5 Punkte, höchstens jedoch 7,5. Als Sonderaufgabe gilt dabei "eine Führungsaufgabe oder eine Aufgabe, die für den Zusammenhalt der Ortsgemeinschaft relevant ist".

Die Stadt hatte die Bilanz der Vergabe offengelegt: Die meisten der 51 bislang zum Zug gekommenen Bewerber, nämlich 32, haben zwei Kinder. 18 Bewerber haben drei, eine Familie hat vier Kinder. Fast jede vierte lebt derzeit nicht in der Stadt: Sechs Familien wohnen im Landkreis Starnberg, weitere sechs in München oder dem übrigen Umland. Die Stadtverwaltung betonte allerdings, dass diese zwölf Bewerber in die Stadt zurückkehren. Elf der 51 Bewerber mit Zuschlag engagieren sich in der Stadt ehrenamtlich, drei bei Hilfs- und Rettungsdiensten, acht bei anderen Organisationen. dac

Annette Kriebel, Starnberger Fachanwältin für Baurecht, vertritt bereits einen Bewerber. Aus ihrer Sicht kann die Stadtverwaltung das Losverfahren nicht einfach wiederholen, weil die Grundstücksvergabe einen "begünstigenden Verwaltungsakt" darstelle, der nur unter besonderen Bedingungen widerrufen werden könne.

Unverhohlen Kritik am undurchsichtigen Verfahren äußert Stadträtin Angelika Kammerl (Parteifreie), die sich fragt, ob es nicht noch weitere Unregelmäßigkeiten geben könne. Die Verwaltung selbst räumte SZ-Informationen zufolge ein, dass auch ein zweiter Bewerber falsch bewertet wurde - allerdings auf einem der hinteren und damit ohnehin chancenlosen Rangplätze.

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