Süddeutsche Zeitung

Starnberg:"Eigentlich bin ich stinkend faul"

Ehrengast Ulrich Tukur spricht über sich, das Filmfest, Hans Albers - und darüber, warum er nicht Napoleon heißt.

Gerhard Fischer

StarnbergEs hat nicht viel gefehlt und Deutschland hätte heute einen herausragenden Schauspieler, der Napoleon Tukur heißt. Darüber hätte man sehr gelacht, nicht nur in Deutschland. Napoleon Tukur! Das wäre wie Wallenstein Noethen oder Blücher Bleibtreu. Der Regisseur Michael Verhoeven hat das verhindert, das mit dem Künstlernamen Napoleon Tukur. Das ist ein bisschen schade, aber es ist sicher besser so.

Ulrich Tukur, so heißt der herausragende Schauspieler stattdessen, sitzt an diesem Freitagvormittag vor dem Café Sembritzki in Starnberg. Der Ehrengast des Fünfseen-Filmfestivals ist am Abend zuvor aus Florenz eingeflogen, doch den Koffer mit seiner Kleidung, den haben sie am Flughafen in Italien stehen gelassen; gut, wenigstens eine Zahnbürste haben sie ihm gegeben bei der Lufthansa. Tukur scheint das nicht zu stören, er sieht blendend aus und er ist gut gelaunt. Er ist sehr sympathisch, er hört seinem Gesprächspartner aufmerksam zu, was immer seltener wird, nicht nur bei den sogenannten Stars, er lacht an den richtigen Stellen und er erzählt wunderbare Geschichten.

Zum Beispiel die Sache mit Napoleon Tukur. Dazu muss man wissen, dass Ulrich Tukur eigentlich Ulrich Gerhard Scheurlen heißt. Scheurlen - das war nicht der rechte Name für einen Schauspieler: ist schwer auszusprechen und schwer zu merken. Regisseur Michael Verhoeven sagte deshalb vor vielen Jahren, Ulrich Gerhard Scheurlen brauche einen Künstlernamen.

Scheurlen, der in Verhoevens Film "Die weiße Rose" den Willi Graf spielen durfte, dachte nach, er kramte in seiner Familiengeschichte, und da gab es einen Ahnen, der zu Napoleons Zeiten seinen Sohn taufen ließ - von den Franzosen, die deutsche Gebiete besetzt gehalten hatten. Auf die Frage des französischen Offiziers, wie er seinen Sohn nennen wolle, sagte der Vater: "Napoleon." Der Offizier darauf: "Was, nur Napoleon?" Und der Vater sagte: "Ja, Napoleon, ganz kurz." Auf Französisch: "Napoleon, tout court." Der Offizier trug dann lustigerweise Napoleon Toutcourt als Namen ein, gesprochen: Tukur.

Die Geschichte überdauerte die Jahrhunderte und der Name Napoleon auch. "Selbst mein Großvater hieß noch so", erzählt Ulrich Tukur. Seine Idee, sich als Schauspieler Napoleon Tukur zu nennen, fand Michael Verhoeven allerdings, nun ja, ziemlich bescheuert. "Du spinnst wohl", soll er gesagt haben. Es wurde also Ulrich Tukur. Und Tukur wurde einer der besten deutschen Schauspieler, jeder kennt seine Filme: Das Leben der Anderen, John Rabe, Ein fliehendes Pferd, Gier.

Im vorigen Jahr war Hannelore Elsner als Ehrengast beim Filmfestival im Fünfseenland. Elsner und Tukur haben die gleiche Agentin, Patricia Baumbauer aus Starnberg - auf diesem Wege und über ein gemeinsames Essen beim Italiener schaffte es Festival-Leiter Matthias Helwig, Ulrich Tukur nach Starnberg zu holen. Der Schauspieler war rasch begeistert. Helwig habe "einen guten Geschmack für Filme", sagt Tukur, er sei ein Cineast, dem es wichtig sei, auch seine eigene Leidenschaft bei diesem Festival zu sehen und nicht nur Filme für alle. Er schätzt dieses Selbstbewusstsein. Tukur wird bis Samstagabend bleiben, am Sonntag fährt er mit dem Frühzug zurück in seine Wahlheimat Italien - zum Feiern. Er wird am Sonntag 55 Jahre alt.

In Starnberg werde er keine Zeit haben, die Natur anzusehen, sagt Ulrich Tukur; er gehe stattdessen ins Kino, das gehöre sich so, wenn man zu einem Filmfestival eingeladen werde. Und er wird Ziehharmonika spielen. Tukur ist nämlich auch Musiker, er hat eine eigene Band, bald geben sie ihre ersten Konzerte in Italien; Venedig und Meran sind bereits terminiert. An diesem Samstag spielt er um 15.30 Uhr im Kino Breitwand in Starnberg, anschließend wird der Film "In meinem Herzen, Schatz" gezeigt, eine Hommage an Hans Albers, das 1960 in Kempfenhausen gestorben ist. Der Film kam 1989 heraus, Ulrich Tukur spielt darin auch: Ziehharmonika.

Musiker, Schauspieler und auch noch Buchautor. Auf die Frage, ob er, Ulrich Tukur, ein fleißiger Mensch sei, sagt er: "Nein, eigentlich bin ich stinkend faul." Aber er sei harmoniesüchtig, er wolle Leute, die ihm etwas anböten, nicht vor den Kopf stoßen - und deshalb mache er so vieles. Gottlob habe er nun zwei Agenten, die das Ganze ein wenig koordinieren würden, "damit es nicht ausufert". Ein wenig ist das sicher eine sehr charmante Koketterie, aber wer weiß: Vielleicht ist er wirklich faul. Und harmoniesüchtig, ja, auch das. In jedem Fall ist er unterhaltsam.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2012
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