Starnberg:Die Stadt, die Vorurteile nährt

Etwas weiß jeder über Starnberg: Hier wohnen die Reichen. Bei der Ankunft dürfte der Durchschnittsmünchner dennoch enttäuscht werden: Im Bahnhofsbistro gibt es keine Hummerschwänzchen.

Franz Kotteder

Selbstverständlich muss man gar nicht erst nach Starnberg fahren, um zu wissen, was einen dort erwartet. Jeder weiß, was in Starnberg los ist, auch wenn er noch nie da war. Die Kreisstadt teilt damit das Schicksal von Hinterpfuideifi, das es allerdings in Wirklichkeit gar nicht gibt. Jenes Starnberg, das jeder kennt, gibt es zwar möglicherweise ebensowenig. Aber etwas weiß jeder über Starnberg: dass es der Wohnort der Reichen ist. Hier leben fünfmal so viele Einkommensmillionäre wie sonst im Bundesdurchschnitt. Mehr wollen die meisten gar nicht wissen.

Starnberg: Nepomukbrücke in Starnberg: Das gibt es wohl nur im hohen Norden und in Starnberg - Hubbrücken über die Kanäle, die die Bootshäfen mit dem Starnberger See verbinden.

Nepomukbrücke in Starnberg: Das gibt es wohl nur im hohen Norden und in Starnberg - Hubbrücken über die Kanäle, die die Bootshäfen mit dem Starnberger See verbinden.

(Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Erreicht man Starnberg mit der S-Bahn, so ist man zunächst beeindruckt, weil man linkerhand einen wunderschönen Ausblick auf den See genießen kann, der einem verständlich macht, warum hier so viele Reiche leben - ganz einfach, weil es hier halt unzweifelhaft schön ist.

Das hat natürlich Auswirkungen auf die Grundstückspreise, und da fällt einem dieser Tage Fernsehpfarrer Jürgen Fliege ein. Der hat gerade prozessiert, weil ihm am See ein Grundstück von 599 Quadratmeter Größe verkauft worden ist, das aber erst ab 600 Quadratmetern bebaut werden darf. "Logisch", sagt man sich als vorurteilsbeladener Münchner, "in Starnberg passt ja auf 599 Quadratmeter höchstens ein Geräteschuppen oder eine Garage für den Geländewagen."

Freilich ist das ungerecht, denn Fliege hatte das Grundstück gar nicht in Starnberg erworben, sondern in Tutzing. Im kollektiven Gedächtnis aber, da kann man Gift drauf nehmen, wird die Angelegenheit wieder an Starnberg hängen bleiben. Wie so vieles.

Beim Aussteigen aus der S6 ist man jedenfalls überrascht, dass der kleine Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert so ganz und gar nicht herausgeputzt ist. Eher im Gegenteil. Auch für die Instandhaltung der Bahnsteige hat die Bahn ausgerechnet in Starnberg nicht allzu viel Geld übrig, und die Unterführung zu den Bahnsteigen ist in letzter Zeit wegen des Hochwassers derart überflutet, dass man sich auf Behelfsstegen und gebückt fortbewegen muss, denn die lichte Höhe beträgt nur noch eineinhalb Meter. An der Oder würde man sich da nicht weiter wundern, aber in Starnberg?

Die nächste Enttäuschung wartet im Bahnhofsbistro. Dort stehen ganz normal Döner und Falafel auf der Speisekarte, keine Spur von Schampus und Austern oder doch zumindest gegrillte Hummerschwänzchen... Nein, Starnberg ist offenbar doch eher durchschnittlich, wenigstens in der Bahnhofsgegend.

Ein Bauwerk von wahrhaft erlesener Hässlichkeit

Da gibt es zwar zwei bessere Hotels, die an die großen Zeiten von vor hundert Jahren erinnern, als betuchte Bayern hierher in die Sommerfrische fuhren. Aber es gibt auch die ganz normalen Cafébars und Imbisslokale, Drogeriediscounter und eigentlich auch den obligaten Handyshop, der aber gerade dichtgemacht hat. Und natürlich möchte man dann wissen, was der "Modafein Guerillastore" so im Angebot hat - siehe da: Es sind recht manierlich aussehende Dirndl, gar nicht guerillamäßig und durchaus wiesntauglich.

Starnberg: Idylle am Georgenbach: Starnberg kann dann doch ein bisschen anders sein, als man sich vorstellt. Wenn auch nur ein klein bisschen.

Idylle am Georgenbach: Starnberg kann dann doch ein bisschen anders sein, als man sich vorstellt. Wenn auch nur ein klein bisschen.

(Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Auf der Suche nach Bestätigungen für die Münchner Vorurteile wird man dann eher in der halboffiziellen Flaniermeile, der Maximilianstraße, fündig: herausgeputzte Gründerzeitvillen, erstaunlich viele Immobilienbüros - so, als ob man beim Shoppen und Flanieren auch eben mal schnell ein Grundstück samt Haus erwirbt.

Und dann, endlich, auch ein Bauwerk von wahrhaft erlesener Hässlichkeit, dem man das Protzentum so richtig ansieht. "Max-Quartett" nennt es sich, hat überbreite, vergoldete Fensterrahmen, und große Teile der Fassade sind mit stilisierten, goldenen Schindeln verkleidet. Man könnte meinen, ein Satiriker habe sich dieses Haus als bissige Anspielung auf das geldige Starnberg ausgedacht. Jenes Starnberg, das die Autorin Renate Just in ihrem wunderbaren Buch "Krumme Touren" ein "konzept- und liebloses Gewürfel" nennt, für das gilt: "Bewegungsmelder und Außenkameras haften unter jedem Walmdach."

Just spricht hier von den Wohngegenden der Reichen, nicht vom alten Dorfkern. Dort gibt es sogar veritable, leicht verhaute Idyllen, wie den kleinen Weg "Am Georgenbach", die fast südländisch anmuten. Das Rathaus und die Schlossberghalle hingegen sehen wieder so aus, wie solche Einrichtungen in Orten mit 23.000 Einwohnern nun mal aussehen. Auch hier also: keine besonderen Vorkommnisse.

"Besonders" wird es eher direkt am See. Die Uferpromenade mit dem pompösen bayerischen Löwen am Südende ist zwar überschaubar, dafür grenzt sie an eine Attraktion: das "Undosa", bis 1921 ein maschinenbetriebenes Wellenbad und heute eine umfängliche Restauration, deren Freiflächen derzeit auch unter Wasser stehen. Normalerweise befindet sich hier die größte Anbandel- und Aufreißzone des Sees, nicht nur für die Jeunesse dorée, sondern ebenso für die Älteren: Es gibt sie auch hier, die gefürchteten Ü-30-Partys. Das "Undosa" verdient an der Massenbalz in mehrfacher Hinsicht, praktischerweise kann man hier ja auch Hochzeit feiern.

So ist in gewisser Weise also dafür gesorgt, dass sich Starnberg auch in Zukunft aus sich selbst heraus erneuern kann. An den einschlägigen Vorurteilen, steht zu befürchten, wird sich dadurch freilich eher wenig ändern.

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