Starnberg:Der Traumverwirklicher

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Oliver Poetzsch gehört zu den wenigen Schriftstellern, die von ihrer Schreiberei leben können.

Gerhard Fischer

Breitbrunn/LaimEr ist groß, er hat blaue Augen, er trägt Koteletten, er hat dichte Haare und volle Lippen: Oliver Poetzsch sieht aus wie Mikael Persbrandt, der Gunvald Larsson in den Martin-Beck-Krimis spielt. Beck ist der Bedächtige, der Zauderer, Larsson der Haudrauf mit dem weichen Herz.

Nachfahre von Scharfrichtern und Krimiautor: Oliver Poetzsch. Foto: Rumpf (Foto: Stephan Rumpf)

Oliver Poetzsch ist kein Schauspieler. Er ist Autor, und er ist einer der ganz wenigen Schriftsteller, die von ihrer Schreiberei leben können. Das liegt vor allem an seinen Henkerstochter-Büchern. Die drei, die bisher erschienen sind, wurden mehr als eine halbe Million mal verkauft - auch in Polen, Südkorea oder China. Und vor allem in den USA. "Das erste meiner Henkerstochter-Bücher hat sich dort mittlerweile als Print und E-Book über 200 000 mal verkauft", sagt Oliver Poetzsch. "Es stand auf Platz 1 der

Kindle-ebook-Liste." Im August war er auf Lesereise in den USA.

Poetzsch ist in Breitbrunn am Ammersee aufgewachsen. "Ich komme aus einer interessanten Familie", sagt er, "mütterlicherseits stamme ich von einer Henkers-Dynastie ab". Die Mutter hatte 14 Scharfrichter in der Familie, der letzte ist 1807 gestorben. Die Henker lebten in Schongau. Sie hießen Kuisl.

Oliver Poetzsch, der als Journalist begann, hat irgendwann eine Radiosendung über die Kuisls gemacht. "Ich guckte ins Archiv eines Verwandten, ich las Bücher und Dissertationen über Scharfrichter, ich forschte im Stadtarchiv Schongau", erzählt Poetzsch, "und irgendwann dachte ich: Das ist ja so geil!"

Oliver Poetzsch ist ein lebendiger Typ, ein sehr begeisterungsfähiger. Aber er ist auch bodenständig. Als er die Vorauszahlung für das erste Buch bekam - "ein ganz schöner Posten" - hat er sich nur eine Plastikliege gekauft. Den Rest hat er auf sein Konto gelegt.

Er ist ein Sicherheitsmensch, aber er hat einen starken Willen und die Energie, auch seine Träume zu verwirklichen. Vor fünf Jahren hatte er mit den Henkerstochter-Büchern begonnen. Am Anfang hat er abends geschrieben, er saß am Schreibtisch in seinem Haus in Laim und dachte: Ich verwirkliche meinen Traum. Aber er hatte auch Selbstzweifel. Er guckte aus dem Fenster, wo der Nachbar mit dem Van vorfuhr - der Familienvater, der ein gesetztes Leben führte. Und er? Fühlte sich wie 16. War es richtig, was er tat? Er schrieb ein Buch, aber würde es veröffentlicht werden? "Ehrlich gesagt habe ich nicht daran geglaubt."

Eines Tages, er war mit seinen Kindern im Hallenbad, klingelte das Handy. Sein Agent war dran und sagte: "Ullstein nimmt das Buch!" Poetzsch war platt. Er sagte zu den Kindern: "Ich muss erst mal eine rauchen gehen." Er ging raus, und er hatte Tränen in den Augen.

Oliver Poetzsch wollte schon als Jugendlicher Schriftsteller werden. Fantasy war sein Ding, und sein Held hieß Wolfgang Holbein. Während seines Journalismus-Studiums hat er mal ein Interview mit Holbein gemacht. Poetzsch erzählt das mit glänzenden Augen. Er wäre damals fast tot umgefallen vor Bewunderung.

Nach dem Studium ging er erst zum Rundfunk, dann zum Fernsehen, er erstellte Beiträge für Quer, die freche Sendung von Christoph Süß. Das habe Spaß gemacht, sagt er, "aber es war nicht zu 120 Prozent befriedigend, ich war weiter auf der Suche." Vor drei Jahren wurde seiner Frau eine feste Stelle beim BR angeboten. Das passte. Oliver Poetzsch konnte sich mehr vom Fernsehen zurückziehen, kümmerte sich um die Kinder, die heute sieben und zehn Jahre alt sind - und schrieb seine Bücher. Poetzsch schreibt flüssig, mit sehr viel Phantasie.

Im vorigen Jahr hatte er eine Auszeit von den Henkerstöchern genommen, er hat die "Ludwig-Verschwörung" geschrieben. Den Tod von Ludwig II. nennt er "den spannendsten Todesfall der Weltgeschichte. Alleine die Figur ist extrem, eine schillernde Persönlichkeit, eine gebrochene Person, vermutlich schwul, auf jeden Fall homophil. Und dann hat er nur in der Nacht gelebt. Das ist viel Stoff für einen modernen Thriller." Auch die Ludwig-Verschwörung wurde nach Amerika verkauft. "König Ludwig ist dort der bedeutendste Deutsche nach Beckenbauer", sagt Poetzsch.

Momentan schreibt er am vierten Henkerstochter-Buch. Er schwimmt nicht im Geld, aber er ist entspannter als früher und er kann sich Verrücktheiten leisten. Am Ammersee bei Buch gibt es so einen kleinen Turm, ganz in der Nähe vom Bucher Segelverein. Der Turm ist uralt und vielleicht fünf Meter hoch. "Als Kind war ich da oft", sagt Oliver Poetzsch, "und ich habe mir damals gesagt, wenn du mal groß bist und von Schriftstellerei lebst, kauft du diesen Turm." Vielleicht macht er das. Ganz sicher macht er das.

© SZ vom 17.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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