Studie über Erkrankte:"Eine Lobby für Demenz"

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Corinna Bürner ist Bereichsleiterin bei der Ilse-Kubaschewski-Stiftung in Starnberg. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Starnberger Ilse-Kubaschewski-Stiftung beteiligt sich an einer Studie, die Betreuungslücken aufdecken will. Corinna Bürner erklärt, wie es um die Versorgung von Erkrankten im Landkreis steht.

Interview von Cora Krüger, Starnberg

Immer mehr Menschen erkranken an einer Demenz. Derzeit leben in Bayern 240 000 Personen mit der Krankheit, im Jahr 2030 gehen Prognosen von 300 000 Betroffenen aus. Zahlen über die Anzahl der Demenzkranken im Landkreis Starnberg gibt es nicht. Für Demenz gebe es keine Anzeigepflicht, auch deshalb gehe man von einer hohen Dunkelziffer aus, heißt es aus dem Landratsamt. Um die Versorgung der Erkrankten zu verbessern, wurde an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg das Forschungsprojekt "Digitales Demenzregister Bayern (digiDEM)" ins Leben gerufen. Daran beteiligt ist auch die Ilse-Kubaschewski-Stiftung Starnberg. Bereichsleiterin Corinna Bürner erklärt im SZ-Interview, wie Betroffene am Besten entlastet werden können, welche Hoffnungen sie in das digitale Demenzregister setzt und wie es um die Versorgung von Erkrankten im Landkreis steht.

SZ: Frau Bürner, derzeit leben in Bayern 240 000 Menschen mit Demenz, im Jahr 2030 sind es vermutlich 300 000. Wieso steigt die Zahl Erkrankungen so stark an?

Corinna Bürner: Weil unter anderem die Menschen immer älter werden. Aus Forschungsberichten weiß man, dass über 90-Jährige sehr stark - sogar jeder Zweite - von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen sind.

Die Versorgung von Demenzkranken gestaltet sich im ländlichen Raum oft schwieriger als in der Stadt. Erleben Sie das auch im Landkreis Starnberg?

Die Versorgung mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten in der Stadt Starnberg, aber auch im ländlichen Teil des Landkreises, ist gut. Die Angebote werden jedoch oft erst dann in Anspruch genommen, wenn sich bei den Zu- und Angehörigen die Belastung psychisch und körperlich stark bemerkbar macht.

Wie hat sich die Pandemie auf den Zustand von Demenzerkrankten ausgewirkt?

Es war monatelang nicht möglich, sich zu treffen, Besuch zu bekommen oder Tagespflege und Betreuungsgruppen in Anspruch zu nehmen. Wir haben erlebt, dass sich das sehr negativ auf den Zustand der Demenzerkrankten ausgewirkt hat. Sie konnten schlechter gehen und reden, waren teilnahmsloser. Sie konnten ja oft nicht verstehen, warum niemand zu Besuch kommen darf und sie in keine Gruppe gehen können. Wir haben festgestellt, dass beide Seiten, Angehörige und Erkrankte, sehr unter diesen Einschränkungen gelitten haben.

Wodurch können Sie Pflegende und Erkrankte am besten entlasten?

Am allerbesten durch Unterstützung und Beratung, bereits dann, wenn die Erkrankung diagnostiziert wird. Wir in der Ilse-Kubaschewski-Stiftung haben hierfür Frau Beata Brandner von der Angehörigenberatung. Sie begleitet Menschen von Anfang bis zu dem Punkt, an dem sie sagen: "So, jetzt kennen wir unseren weiteren Weg." Weil jede demenzielle Erkrankung anders verläuft, muss man auch die Unterstützungsmöglichkeiten möglichst individuell anpassen. Ob Tagespflege, Betreuung im häuslichen Umfeld durch Demenzhelfer, ob Betreuungsgruppe oder durch Angehörigengruppen. Im Landkreis Starnberg gibt es aber auch Fachstellen für pflegende Angehörige, die Beratung und Unterstützung anbieten. Da die Ilse -Kubaschewski-Stiftung sich stark macht für das Thema Demenz, ist sie oft die erste Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige.

Die Ilse-Kubaschewski-Stiftung beteiligt sich auch am Forschungsprojekt "Digitales Demenzregister Bayern (digiDEM Bayern)". Wie kam es dazu?

Wir waren auf einer Fachtagung, auf der Professor Elmar Gräßel von der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen (FAU) das Projekt vorgestellt hat. Er suchte Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Einrichtungen, die mit demenzerkrankten Menschen zu tun haben.

Welche Ziele verfolgt das Projekt?

Es geht darum, in Bayern die Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern. Dies geschieht dadurch, dass Menschen befragt werden, die am Beginn einer Demenz stehen. Diese und ihre Angehörigen werden in zeitlichen Abschnitten interviewt. Es sollen Angebotslücken Versorgungsbedarfe aufgedeckt werden.

Wie läuft so eine Befragung ab?

Entweder in Präsenzform, was wegen Corona weniger möglich gewesen ist, oder digital. Wir haben die Befragungen online durchgeführt. Zu Beginn werden Screening-Tests gemacht, mit denen festgestellt wird, ob sich die Testperson für die Befragung eignet. Danach werden Daten zur persönlichen Situation der Betroffenen und Angehörigen erhoben. Diese Befragung wird in zeitlichen Abständen wiederholt. Wir haben bisher zwei Personen befragt, aber nur eine ging in die Studie ein, weil die andere schon zu weit in ihrer Demenz fortgeschritten war.

Ein Ziel des Projekts ist es, digitale Angebote für Betroffene zu schaffen.

Für Betroffene, aber auch für Angehörige. Das digitale Demenzregister soll zum einen dazu dienen, den Langzeitverlauf der Erkrankung besser zu verstehen, aber auch, einen Überblick zur Angebotslandschaft zu erhalten. Mit der Angehörigenampel zum Beispiel, die auch auf unserer Website aufgerufen werden kann, können Angehörige mit wenigen Klicks testen, wie sehr sie belastet sind.

Welche Hoffnungen setzen Sie in das Projekt?

Ich hoffe, dass mehr Angehörige den Mut finden, zu uns zu kommen und sich frühzeitig beraten lassen. Sie sollen wissen, dass wir Unterstützung anbieten. Ich hoffe aber auch, dass die Erkrankung eine Lobby findet in Gesellschaft und Politik. Und dass man Menschen mit Demenz nicht nur als erkrankte Menschen sieht, sondern als Menschen, die Schätze in sich tragen. Aus dem, was wir in unseren Angehörigengruppen hören, lernen wir: "Es ist eine schwere Zeit, die eine demenzielle Erkrankung mit sich bringt, aber oft auch eine gute." Ich hoffe, dass durch breit gefächerte Beratungs-, Versorgungs- und Unterstützungsangebote, auch mithilfe des digiDEM-Projektes, vielen Menschen geholfen werden kann.

© SZ vom 09.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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