Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Drei Wochen auf der Isolierstation: "Ich will einfach nur nach Hause"

Fußballtrainer Manuel Riedmeier sitzt nach einem positiven Test im Klinikum Starnberg fest - ohne Symptome. Andere Patienten dürfen sich längst daheim isolieren.

Von Carolin Fries

Die erste Krise kam mit dem Plastikgeschirr. Die ersten eineinhalb Wochen noch hat Manuel Riedmeier sein Essen auf der Corona-Station im Starnberger Krankenhaus wie alle anderen Patienten auf Porzellantellern bekommen. Jetzt sollte er seine Frühstückssemmel aus einer Plastikschale nehmen und mit Einwegbesteck schmieren und anschließend alles selbst im Mülleimer entsorgen. Neue Hygienemaßnahmen. Doch das Schnitzel mit dem Plastikmesser zu schneiden, kam für ihn nicht in Frage - er hat sich ein echtes Besteck bringen lassen, das er seither wie einen Schatz hütet und nach jeder Mahlzeit in seinem kleinen Badezimmer abspült.

Die zweite Krise kam mit der Zeit. An diesem Donnerstag sind es 21 Tage, die der 40 Jahre alte Berger in einem etwa 20 Quadratmeter großen Einzelzimmer ausharrt. "Ich will einfach nur nach Hause", sagt er am Telefon. Wo und wie sich der 40 Jahre Einzelhandelskaufmann angesteckt hat, der in Starnberg bei einem Autoteileservice arbeitet, ist unklar. Er war in den Faschingsferien als Jugendtrainer mit der FT Starnberg 09 in Misano im Trainingslager. Als die Region Emilia- Romagna nach seiner Rückkehr zum Risikogebiet erklärt wurde, ließen sich Betreuer und Trainer freiwillig bei niedergelassenen Ärzten auf das Virus testen, obwohl niemand Symptome zeigte. Bis auf das von Manuel Riedmeier waren alle Ergebnisse negativ. Die Nachricht erreichte ihn am Arbeitsplatz, eine Stunde später wurde er mit dem Krankenwagen abgeholt und in die Klinik gebracht. "Ein komisches Gefühl", erinnert er sich. "Ich war ja gesund, hatte nur minimal Schnupfen."

Der Berger war damals Patient Nummer zwei im Landkreis nach der firmeninternen Infektionskette bei Webasto in Stockdorf. Von Schulschließungen, einer Pandemie oder Ausgangsbeschränkungen war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede. Und wer positiv auf das Coronavirus getestet wurde, der wurde unabhängig von seinem Gesundheitszustand im Krankenhaus isoliert. Erst später sollten sich Infizierte mit mildem Krankheitsverlauf auch zu Hause isolieren dürfen, wie es aktuell der Großteil der 180 Betroffenen tut. Diese Patienten müssen nicht, wie Manuel Riedmeier, umfangreiche Kriterien für eine Entlassung erfüllen, worunter zwei negative Abstrich-Ergebnisse im Abstand von mindestens 24 Stunden zählen. Bei ihnen gilt nur: Wer zwei Tage lang keine Covid-19-Symptome zeigt, darf sich nach 14 Tagen wieder uneingeschränkt bewegen. Ein Abschlusstest erfolgt nicht. "Das stört mich", sagt Riedmeier, "weil es keine klare Linie gibt".

Alle zwei Tage entnimmt ein Arzt bei ihm einen Rachen- und einen Nasenabstrich. Anfangs seien die Ergebnisse noch binnen ein, zwei Tagen gekommen, erzählt Riedmeier. Inzwischen warte er fünf bis sechs Tage, derart überlastet seien die Labore. Am Dienstag hat Riedmeier in seiner Verzweiflung eine E-Mail an den Leiter des Starnberger Gesundheitsamtes geschrieben. Zehn Minuten später hat ihn Lorenz Schröfl angerufen und "mich um Geduld gebeten", wie Riedmeier erzählt. Doch woher soll er die noch nehmen? "Es ist so langweilig." Ein Bett und ein Tisch, mehr hat er nicht. Seine Frau hat ihm Klamotten und das Laptop vorbeigebracht. "Ich kenne jetzt alle Folgen von Hubert und Staller", erzählt Riedmeier. So habe er wenigstens ein bisschen lachen können. Den Fernseher im Zimmer lasse er meist aus - zu viele Corona-Themen.

Zweimal hat er sich von Freunden einen Döner bringen lassen, zu groß waren die Gelüste. Und hin und wieder kommt ein Kumpel für einen Ratsch ans Fenster - etwa zehn Meter Entfernung muss die Unterhaltung dann überbrücken. Die ersten Tage hat er noch ein kleines Sportprogramm absolviert, zusammen mit einem Zimmernachbarn, den er für ein paar Tage hatte. "Komischerweise hat bei uns beiden in der Folge aber die Viruslast in den Abstrichergebnissen zugenommen", sagt er. Deshalb hätten sie die Gymnastik wieder eingestellt. Der Zimmernachbar ist längst entlassen, und auch der einzige Jugendfußballer von der FT Starnberg, der nach dem Trainingslager ebenfalls positiv getestet wurde. Nur Manuel Riedmeier sitzt noch immer fest. Er vermisse seine Frau und seine Tochter, Katze Johanna und Hund Balu. "Mal wieder spazieren gehen", schwärmt er, "das normale Leben". Dass sich die Normalität auch im Landkreis verändert hat, Kassiererinnen hinter Plastikwänden sitzen und der Döner neuerdings geliefert wird - das weiß er nur aus Erzählungen.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2020
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