Fünf Jahre Corona:Die Krise gemeistert - aber zu welchem Preis?

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Die Pandemie hat auch im Landkreis Starnberg ihre Spuren hinterlassen.
Die Pandemie hat auch im Landkreis Starnberg ihre Spuren hinterlassen. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die Pandemie hat das gesellschaftliche Leben verändert, die Folgen sind in vielen Bereichen noch immer spürbar. Protokolle einer Nachbetrachtung.

Von Carolin Fries, Sabine Bader, Amelie Kaiser, Christian Deussing, Armin Greune, Linus Freymark, Starnberg

Für Klinik-Mitarbeiter sehr belastend

Thomas Weiler ist Geschäftsführer der Starnberger Kliniken GmbH. Während der Pandemie koordinierte der Anästhesist, Intensivmediziner und Notarzt im Auftrag der Staatsregierung die Belegung von 13 Kliniken in den Landkreisen Starnberg, Fürstenfeldbruck, Dachau und Landsberg am Lech und war damit für 2250 Betten zuständig. Der 62-Jährige gehörte außerdem zum Expertenteam des damaligen Gesundheitsministers Klaus Holetschek:

Thomas Weiler ist Geschäftsführer der Starnberger Kliniken und hat in der Pandemie die Klinikbelegung im Rettungszweckverband koordiniert.
Thomas Weiler ist Geschäftsführer der Starnberger Kliniken und hat in der Pandemie die Klinikbelegung im Rettungszweckverband koordiniert. (Foto: Georgine Treybal)

„In der Rückschau kann man sagen, dass die Sterblichkeitsrate beim Coronavirus in Deutschland europaweit und auch im internationalen Vergleich gering war, wir können also nicht alles falsch gemacht haben. Erschwerend hinzu kam, dass wir europaweit früh dran waren mit den ersten Patienten. Dennoch kam es nie zu einem Kollaps der Kliniken, wie beispielsweise in Italien, Spanien oder Frankreich. Wir hatten immer ausreichend Kapazitäten in den Krankenhäusern und es musste kein Covid-Patient sterben, weil er keine ausreichend medizinische Versorgung erhalten hat. Wir haben in Deutschland rechtzeitig die richtigen Schlüsse gezogen. Gedanken machen müssen wir uns aber über die personellen Konsequenzen der Pandemie, der Fachkräftemangel war nie größer. Viele Mitarbeiter haben sich aus der stationären Versorgung zurückgezogen, zu belastend und anstrengend waren die vergangenen Jahre. Andererseits ist in den Kliniken die Kollegialität gewachsen. Die Kliniken in den Rettungszweckverbänden haben mehr Kontakt. Die ärztlichen Leiter der Krankenhauskoordination beraten noch immer alle zwei Monate die Lage in Oberbayern, diesen Austausch gab es vor der Pandemie nicht. Mich persönlich hat die Pandemie entspannter und gelassener gemacht. Wir haben den Stresstest bestanden und sind bereit für die nächste Pandemie. Ich frage mich allerdings, ob wir das auch mit 600 Krankenhäusern weniger schaffen können, die im Zuge der Krankenhausreform geschlossen werden sollen. Klar, die Kliniken sind nicht dauerhaft ausgelastet, in der Pandemie haben wir aber jedes Bett gebraucht.“

Altenheim-Bewohner sind vereinsamt

Diana Sturzenhecker ist seit 14 Jahren Leiterin des Caritas-Altenheims Maria Eich in Krailling. Gemeinsam mit 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut die 57-Jährige die 163 Bewohner in der Einrichtung. An die Coronazeit erinnert sie sich mit gemischten Gefühlen:

Die Leiterin des Caritas-Altenheims Maria Eich in Krailling, Diana Sturzenhecker, weiß: „Die Corona-Zeit war sehr schlimm für unsere Bewohner.“
Die Leiterin des Caritas-Altenheims Maria Eich in Krailling, Diana Sturzenhecker, weiß: „Die Corona-Zeit war sehr schlimm für unsere Bewohner.“ (Foto: Nila Thiel)

„Als positiv habe ich in dieser Zeit den 150-prozentigen Zusammenhalt unter den Mitarbeitern erlebt. Es war der unbedingte Wille da, diese Krise gemeinsam zu meistern. Jeder hat alles gemacht, um den Bewohnern das Bestmögliche zu geben. Und auch die Führungsebene der Caritas hat unsere Bemühungen unterstützt und geschaut, dass stets genügend Personal vorhanden war. Bürger haben anfangs, als es noch nicht genug Masken gab, bunte Masken genäht. Eine Firma hat Geld gestiftet, damit wir den Bewohnern einen schönen Ausblick mit vielen Blumen in den Garten bieten konnten. Es war viel Hilfsbereitschaft spürbar. Schwierig war für uns die Zusammenarbeit mit der Politik und den Behörden - sprich, die wöchentlichen Pressekonferenzen und die darauffolgende Umsetzung der angekündigten Maßnahmen am Samstagmorgen. Die Politik hat sich überhaupt keine Vorstellung davon gemacht, wie die Arbeitsabläufe in einer Einrichtung wie der unseren funktionieren. Ich bin nicht grundsätzlich der Meinung, dass die Maßnahmen falsch waren. Ich bin aber der Ansicht, dass man besser hätte hinschauen müssen, wie sie in der Umsetzung praktikabel sind. Aber das Allerschlimmste in dieser Zeit war die Vereinsamung der Bewohner. Die Leute durften wochenlang ihre Zimmer nicht verlassen, keine Besuche empfangen und wir durften sie nicht hinausbringen, damit sie ihre Angehörigen draußen treffen konnten.  Die Vereinsamung war unvorstellbar groß. Man muss sich das vor Augen führen: Der einzige persönliche Kontakt der Bewohner waren stets Menschen mit Masken und Vollmontur, die auch nicht viel Zeit hatten.  Wir waren dauergetestet und trotzdem durften wir die Masken nicht abnehmen. Das ist vor allem für demente Bewohner schwierig, wenn sie die Mimik nicht erkennen können. Wir haben zudem Bewohner bei uns, die hören schlecht und sehen schlecht und sind darum voll auf den menschlichen Kontakt angewiesen. Seltene Gartenkonzerte, die sie aus der Distanz verfolgten, waren zwar eine tolle Ablenkung, aber kein Ersatz für direkten Kontakt. Die Corona-Zeit war sehr schlimm für unsere Bewohner. In unserem heutigen Arbeitsalltag sind in der Hauptsache die Sitzungen per Teams geblieben, sodass man zu Besprechungen nicht extra hinfahren muss: Das spart Zeit, aber dadurch geht auch viel Kreativität verloren.“

Doppelbelastung für Wirte

Claudia Aumiller ist die Starnberger Kreisvorsitzende des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga und Mitinhaberin des Hotels Jakl-Hof in Wörthsee. Als erste Vorsitzende der Dehoga hat sie während der Pandemie unter anderem Maßnahmen ausgearbeitet, die spezifisch für den Landkreis Starnberg waren. Laut Aumiller spürt die Gastro-Szene auch heute noch die Nachwirkungen der Pandemie:

Claudia Aumiller ist Mitinhaberin des Jaklhofs am Wörthsee und zugleich Starnberger Kreisvorsitzende des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga.
Claudia Aumiller ist Mitinhaberin des Jaklhofs am Wörthsee und zugleich Starnberger Kreisvorsitzende des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. (Foto: Arlet Ulfers)

„Während der Pandemie ist der Zusammenhalt unter den Gastronomen stärker geworden. Es sind Whatsapp-Gruppen entstanden, in denen sich gegenseitig geholfen wurde. Diese bestehen heute auch noch. Auch die Dehoga hat die Gastronomen wahnsinnig unterstützt. Wir haben durch die intensive Arbeit und den Einsatz der Dehoga, die uns mit täglichen Informationen versorgt hat, viele neue Mitglieder bekommen. Die Dehoga hat für die Gastronomen gekämpft. Die sieben Prozent Mehrwertsteuer waren eine riesige Erleichterung für uns. Es ist ein absolutes Muss, das diese sieben Prozent wieder kommen. Ohne diese wird das Wirtesterben weitergehen. Die finanziellen Unterstützungen während der Pandemie waren für die Gastronomen, die Ihren Betrieb komplett geschlossen hatten, gut. Die Betriebe, die auch nur teilweise versucht haben, die Gäste zu behalten, wurden im Nachhinein bestraft und mussten einen Großteil der Corona-Hilfen zurückzahlen. Das bedeutet, wir mussten nicht nur das erwirtschaften, was wir während der Pandemie nicht erwirtschaften konnten, sondern auch noch das, was wir eigentlich als Ausfallentschädigung erhalten haben, also eine Doppelbelastung. Das hat vielen Gastronomen das Genick gebrochen. Außerdem haben wir den Hauptteil unserer Angestellten durch Corona verloren, da diese sich anderweitig umgeschaut haben. Das hat sich bisher nicht zurückentwickelt. Zudem gehen die Leute seit Corona weniger essen, denn sie haben gelernt, selbst zu Hause zu kochen. Heute besuchen sie eher die Restaurants, in denen sie etwas bekommen, was sie selbst nicht kochen können. Für uns Gastronomen bleibt aber das Wichtigste, dass sich die Politik für uns und die sieben Prozent einsetzt. Das ist für uns momentan das oberste Ziel.“

Zuschauer bleiben weg

Thomas Hilkert ist Vorsitzender des Gautinger Theaterforums, das als Veranstalter das umfangreiche kulturelle Programm im Bosco durchführt und im Auftrag der Gemeinde das Haus verwaltet. Der erste Lockdown traf den bedeutendsten Musentempel im Landkreis wie alle Künstler und Veranstalter völlig unvorbereitet: Leere Säle und Bühnen, kurzfristig abgesagte oder mehrmals verschobene Auftritte, mit den Fallzahlen ständig variierende Abstands- und Hygieneregeln.

Thomas Hilkert hat die Erinnerungen an die Pandemie verdrängt.
Thomas Hilkert hat die Erinnerungen an die Pandemie verdrängt. (Foto: Nila Thiel)

„Sie erinnern mich an Dinge, die ich schon verdrängt habe. Ich weiß noch, dass wir beim ersten Lockdown am 16. März eine Jazz-Gruppe zurückschicken mussten, als die schon auf der Anreise war. Da war es noch unklar, ob eine Absage juristisch als höhere Gewalt gilt. Natürlich gab es anfangs die trügerische Hoffnung, dass der Betrieb nur kurz unterbrochen wird. Doch dann wurden es sechs Monate Zwangspause und Ende Oktober 2020 folgte bereits die zweite totale Schließung. Die wenigen Wochen dazwischen und das Jahr danach herrschten Hygiene- und Abstandsregeln, die uns zu komplett neuen Bestuhlungen zwangen: Zeitweise konnten im Bosco nur noch 70 statt zuvor 300 Plätze vergeben werden. Am Türeingang standen die Leute im Regen, während wir Masken und Testunterlagen prüften. Da kam es vor, dass ich vor lauter Ausweiskontrollen die Leute gar nicht mehr angesehen habe und selbst gute Bekannte nicht grüßte. Natürlich gab es große finanzielle Einbußen, im zweiten und dritten Corona-Jahr konnten die Einnahmeverluste noch mit staatlichen Fördermitteln einigermaßen kompensiert werden. Aber gerettet haben uns vor allem unsere mehr als 400 Fördermitglieder sowie die Sponsoren und Abonnenten. Viele haben auf die Rückzahlung für ausgefallene Veranstaltungen verzichtet und auch in den folgenden Jahren sind fast keine Mitgliedschaften gekündigt worden. Aber die Folgen von Corona sind bis heute zu spüren, die Zuschauerzahlen von 2019 haben wir nie wieder erreicht. Viele Kunden sind nach wie vor zögerlich, sich auf ein Infektionsrisiko einzulassen. Bei Klassikkonzerten, die früher immer ausverkauft waren, zahlen wir nun drauf; auch im Bereich Schauspiel sind wir in den letzten zwei, drei Jahren mehr als geplant ins Minus geraten. Wir werden deshalb für die Saison 2025/26 den Umfang des Programms reduzieren und müssen auch wieder über eine Erhöhung der Eintrittspreise nachdenken.“

Unverhältnismäßige Einschränkungen

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Ex-Ministerin und Kreisrätin in Starnberg lebt in Feldafing am Starnberger See. Die 73 Jahre alte Juristin gilt als überzeugte Kämpferin für Freiheitsrechte und leidenschaftliche Schwimmerin:

Die Ex-Biundesjustizministerin  Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aus Feldafing findet die damaligen Sperrungen von Stegen problematisch.
Die Ex-Biundesjustizministerin  Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aus Feldafing findet die damaligen Sperrungen von Stegen problematisch. (Foto: Foto: Andreas Rentz/Getty Images)

„Die Sperrung der Stege in Starnberg während Corona hat berechtigten Ärger hervorgerufen. Aus Gründen der Sicherheit vor Ansteckung, wenn sich viele Menschen auf den Stegen aufhalten würden, wurde dieser tiefe Eingriff in die Bewegungsfreiheit, die besonders auch Behinderte betroffen hat, begründet. Ich hielt und halte diese Corona-Beschränkung  für unverhältnismäßig, denn falls wegen hoher Inzidenz geboten, hätte eine Maske zum Schutz ausgereicht.  Außerdem können sich auch am Seeufer viele Menschen aufhalten, die nicht von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit betroffen waren. Mehr Augenmaß bei Grundrechtseingriffen hätte die Bürgerinnen und Bürger von deren Notwendigkeit besser überzeugt.“

Soziale Defizite bei Kindern

Nicole Bannert ist Pressesprecherin des Kreisverbandes des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV). Während der Pandemie haben die Grundschullehrerin und ihre Kolleginnen und Kollegen an den weiterführenden Schulen aus nächster Nähe beobachtet, welche Folgen die Kontaktbeschränkungen für Kinder und Jugendliche hatten. Manche davon wirken bis heute nach.

Nicole Bannert findet, dass Bildung einen höheren Stellenwert verdient. 
Nicole Bannert findet, dass Bildung einen höheren Stellenwert verdient.  (Foto: Nila Thiel)

„Wir haben immer noch viele Kinder mit sozialen Defiziten, die aus der Zeit der Pandemie herrühren. Das viele Zuhause sein, der fehlende Kontakt mit Gleichaltrigen – die Folgen davon merkt man noch heute. Vielen Kindern fällt es zum Beispiel schwer, Konflikte zu lösen. Auch beim Lernen tun sich manche schwer. Kinder tun sich leichter, wenn sie sich innerhalb ihrer Peer-Group Dinge aneignen. Das war während Corona nicht möglich. Hinzu kommt: Während der Pandemie hat die soziale Herkunft nochmal eine größere Rolle gespielt. Kinder mit Eltern, die sich gut um sie kümmern konnten, sind ganz gut durch diese Zeit gekommen. Andere, die dieses Glück nicht haben, haben sich da schwerer getan. Das merkt man bis heute, auch wenn wir auf fachlicher Ebene seit dem Ende der Corona-Maßnahmen vieles aufholen konnten. Was ich schade finde, ist, dass vieles, worüber während der Pandemie debattiert wurde, nicht umgesetzt wurde. Damals hieß es, wir müssten mehr in die Bildung investieren und mehr auf die Belange von Kindern und Jugendlichen eingehen. Davon ist nur wenig passiert. Dabei bräuchten wir Schulen mit ausreichend Platz und moderner Technik, um Lerninhalte noch besser vermitteln zu können. Über allem aber steht die Frage nach dem Personal: Aktuell haben wir ja einen großen Lehrermangel, das macht den Arbeitsalltag nicht einfacher. Ich tue mich immer schwer damit, politisch Verantwortliche im Nachhinein zu kritisieren. Aber sollte es noch einmal eine Pandemie wie Corona geben, würde ich mir wünschen, dass Schulschließungen so lange wie möglich vermieden werden. Vor allem aber fände ich es schön, wenn Bildung endlich den politischen und gesellschaftlichen Stellenwert bekommt, den sie verdient. Unsere Kinder sind schließlich die Zukunft unseres Landes.“

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