Corona-Impfungen in Bayern:Streit um die Strategie

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Starnbergs Landrat Stefan Frey, das Gesundheitsministerium und der Ärztliche Koordinator im Landkreis geraten in der Frage aneinander, ob künftig Impfzentren oder Hausärzte das Gros der Immunisierungen übernehmen sollen.

Von Jessica Schober, Starnberg

In einem Brandbrief hat Landrat Stefan Frey (CSU) sich gegen die neue Impfstrategie des bayerischen Gesundheitsministeriums gestellt. Er fordert seinen Parteifreund Klaus Holetschek dazu auf, die Impfstoffmengen für die Impfzentren nicht zu deckeln. "Ich war total erstaunt, dass uns vom Gesundheitsamt empfohlen wird, den Ausbau der Impfzentren jetzt wieder zu stoppen", so Frey. Dass nun am 1. April die Hausärzte mit dem Impfen beginnen sollen, werde zu einer Überforderung der niedergelassenen Ärzte führen, fürchtet er. Seine Warnung: "Wir dürfen ab Anfang, Mitte April kein politisches Fiasko erleben, nämlich: Die Impfmengen sind da, wir schaffen es aber nicht, diese zu verimpfen!", schreibt Frey.

Den Hausärzten fehlen seiner Ansicht nach das Personal und die Räume, um die Immunisierung zu organisieren. "Mit massivem Mitteleinsatz wurden die Impfzentren gerade aufgebaut. Wir haben viel Geld investiert und sind vertragliche Bindungen mit dem BRK eingegangen", so Frey. Für die Außenstellen in Herrsching und Gilching seien gerade die Containeranlagen bestellt worden. Die Außenstelle Feldafing werde ertüchtigt, in Wörthsee und Starnberg liefen die Impfzentrumsableger schon im Probetrieb.

Im katholischen Pfarrzentrum Wörthsee, das als eine der fünf Impffilialen auserkoren ist, hat der Probebetrieb schon begonnen. (Foto: Nila Thiel)

"Eine Deckelung der Dosen für die Impfzentren ist aus meiner Sicht der falsche Weg", sagt Frey. Er rechne damit, dass die Hausärzte im Landkreis von Impfwilligen "überrannt" werden könnten. Derzeit gingen täglich bis zu 2000 Anrufe beim Gautinger Impfzentrum ein, "hoch erregte und diskussionsfreudige Menschen", berichtet der Landrat. "Ich glaube nicht, dass viele Hausärzte darauf eingestellt sind, was da an Anrufen, Terminwünschen, Logistik und Verwaltungsaufgaben auf sie zukäme."

Die Hausärzte würden in Zukunft "sieben Tage die Woche durchimpfen müssen, um ein Impfangebot entsprechend den zur Verfügung stehenden Kapazitäten machen zu können", prognostiziert er. Frey will stattdessen die Hausärzte als Außenstellen und zur Unterstützung der Impfzentren einbinden, von denen sie dann den Impfstoff nach Bedarf erhielten.

Indessen sieht der Ärztliche Koordinator Bernhard Junge-Hülsing die Leistungsfähigkeit des ambulanten Systems im Landkreis Starnberg keineswegs als erschöpft an. "Wenn endlich ausreichend Impfstoff da ist, sollten auch 90 Prozent der Impfungen über die niedergelassenen Haus- und Fachärzte laufen", sagt er. Die ärztliche Versorgung im Landkreis sei hervorragend, laut Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung gebe es 145 Ärzte, die vorrangig fürs Impfen in Frage kämen, davon allein 73 Hausärzte. Junge-Hülsing rechnet vor: Wenn 100 Mediziner wöchentlich mehrere Hundert Dosen verimpfen könnten, wäre das viel effizienter, als alle Patienten zu den Impfzentren und ihren Filialen zu lotsen. Größere Praxen könnten sogar 500 bis 700 Dosen in der Woche spritzen, sofern das Vakzin in Apotheken erhältlich wäre.

Landrat Frey geht von anderen Kalkulationen aus: Um nach seinem, mit der BRK erarbeiteten "Starnberger Modell" von April an rund 1400 Menschen pro Tag im Landkreis impfen zu können, müssten das Gautinger Impfzentrum und die fünf Filialen in Betrieb sein und zusätzlich 14 Hausarztpraxen jeweils täglich rund 60 Dosen verimpfen. Frey geht davon aus, dass auch Hausärzte sich nach den Priorisierungslisten der Bundesimpfverordnung richten müssten - so wie es derzeit auch angekündigt ist. Das bringe viel Bürokratie mit sich. "Die Hausärzte haben bislang nicht mit der Verwaltungssoftware Bayimco gearbeitet, bei der wir rund 20 Minuten Betreuungszeit für jeden Impfling einplanen müssen."

Auch der Gilchinger Apotheker Stefan Hartmann, zugleich Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen, kommt in einem Schreiben an Holetschek und Frey zu dem Schluss: Massenimpfungen in der Arztpraxis könnten "nicht im laufenden Betrieb sichergestellt werden. Das ist unmöglich". Das stelle er aufgrund seiner Erfahrungen mit Massentests fest. Allerdings sei das nur mit Dixitoiletten ausgestattete Impfzentrum in Gauting "eine komplette Zumutung für die Bevölkerung". Zumal dort nur 280 Leute pro Tag immunisiert werden könnten, so Hartmann. Er schlägt vor, ein bis zwei größere Impfzentren in Turnhallen aufzubauen und zwei bis drei Außenteams sowie ausgewählte Arztpraxen einzubinden.

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Junge-Hülsing setzt darauf, dass Hausärzte nach eigenen Prioritäten impfen dürfen. Die Impfzentren hätten ihre Berechtigung, so lange es um die strenge Priorisierung der Hochrisikogruppen gehe. Parallel solle sich nun die Impfstrategie wandeln. "Hausärzte wissen viel besser, welche Vorerkrankungen ihre Patienten haben und wer dringend geimpft werden müsste, obwohl er vielleicht nicht ganz oben steht auf der Priorisierungsliste", sagt Junge-Hülsing. Wenn eine 70-Jährige daheim ihren 85-jährigen Mann pflege, dann sollte auch sie dringend ein Impfangebot bekommen. "Ein Algorithmus kann da keine Einzelfallgerechtigkeit herstellen."

Schon jetzt führten viele Starnberger Praxen Listen mit Impfwilligen. Erst kürzlich bat Junge-Hülsing seine Kollegen in der Region, rechtzeitig Spritzen zu besorgen. Er rechnet damit, dass Anfang Mai so viel Impfstoff zur Verfügung stehen wird, dass die Impfzentren als alleiniges Immunisierungsangebot überfordert wären. Bis dahin hätten Apotheken und Ärzte voraussichtlich ihre Lieferketten und Logistik so weit aufgebaut, dass die Corona-Impfung Teil der Regelversorgung werden könne. Dabei würden Hausärzte mit den rund 20 bis 30 Euro, die sie pro verabreichter Dosis wohl erstattet bekämen, kaum die Kosten decken können. "Aber Impfzentren sind viel teurer und werden wohl nach dem Sommer nicht mehr gebraucht", findet Junge-Hülsing.

© SZ vom 15.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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