Süddeutsche Zeitung

Impfdurchbrüche:"Ich bin wirklich krank, einfach total schlapp"

Lesezeit: 3 min

Kaum jemand rechnet damit, dass er sich nach vollständiger Immunisierung gegen Covid-19 anstecken könnte. Trotzdem gibt es immer wieder solche Fälle. Wie geht es den Erkrankten damit? Vier Betroffene erzählen.

Von Carolin Fries, Starnberg

Natürlich weiß jeder, der sich gegen Covid-19 hat impfen lassen, dass es keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Infektion gibt. Und dennoch wähnt man sich sicher. Doch mit der Zahl der Impfungen steigt auch die Zahl der sogenannten Impfdurchbrüche. Laut dem neuesten Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts sind seit Beginn der Impfkampagne deutschlandweit fast 215 000 Impfdurchbrüche registriert worden - also Infektionen mitsamt Corona-Symptomen trotz vollständiger Impfung. Wie erleben diese Menschen den Verlust der geglaubten Sicherheit und welche Lehren ziehen sie daraus? Vier Beispiele als Plädoyer fürs Impfen, Boostern und Testen.

Sven P., 27 Jahre, Medizinstudent aus dem Landkreis:

Noch im Februar hat Sven P. seine erste Astra-Zeneca-Spritze bekommen, wenige Wochen später die zweite. Als Medizinstudent arbeitete der 27-Jährige regelmäßig im Krankenhaus, außerdem nahm er an einer Teststation Abstriche. Am vergangenen Montag startete sein praktisches Jahr in einer Klinik, noch am gleichen Tag bekam er dort die Booster-Spritze mit dem Impfstoff von Biontech. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Am Wochenende zuvor hatte er sich mit dem Coronavirus angesteckt, "der Booster kam ein paar Wochen zu spät". Am Tag nach der Impfung ging es Sven P. schlecht, er erklärte sich die Erkältungssymptome als Impfreaktion. Der Schnelltest in der Klinik war negativ. Am zweiten Tag wurden Husten und Halsschmerzen stärker - doch erst am dritten Tag schlug ein PCR-Test an, den Sven P. zusätzlich machte. Da lag er schon krank im Bett. "Ich bin wirklich krank, einfach total schlapp", erzählt er am Telefon. Wenn er seine kleine Wohnung gestaubsaugt habe, sei er danach fix und fertig. Seine Familie versorgt ihn mit Lebensmitteln, die sie ihm vor die Tür stellt. In der Wohngemeinschaft in München hat er einen ungeimpften Mitbewohner angesteckt - die beiden geimpften Wohngenossen blieben gesund. "Deren Impfungen liegen noch nicht so lange zurück", erklärt sich das Sven P. Er rät zu Auffrischungsimpfungen - in der Reihenfolge, in der auch zu Jahresbeginn geimpft wurde.

Stephanie Tetzner, 54 Jahre, Reittherapeutin in Starnberg:

Auch Stephanie Tetzner hat sich bereits im Februar erstmalig impfen lassen, zweimal hat sie inzwischen den Biontech-Impfstoff bekommen. "Ich arbeite mit behinderten und schwer kranken Kindern, das war meine Pflicht." Vor vier Wochen war sie bei ihrer Hausärztin, um sich bezüglich einer Auffrischungs-Impfung beraten zu lassen. "Die Ärztin meinte, sie würde noch ein paar offene Fragen klären wollen." Fünf Tage später war Stephanie Tetzner positiv, sie testet sich regelmäßig. Der Verlauf sei "heftig" gewesen. "Ich hatte alles, bis auf den Verlust des Geschmackssinns." Fieber, Husten, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verlust des Geruchssinns. Viereinhalb Tage habe es gedauert, bis es ihr wieder besser ging. Vier Wochen ist das jetzt her, vor zwei Wochen hat sie ihre Quarantäne beendet. Sie macht noch langsam und verzichtet auf Sport, ihre Ärztin habe dazu geraten. "Ich bin höchst dankbar, dass ich geimpft war", sagt die Therapeutin. "Schlimmer hätte ich Corona nicht haben wollen."

Roy von der Locht, 57 Jahre, selbständiger Unternehmer aus Berg:

Sie waren mal mit Freunden im Kino oder beim Essen, immer 3G-konform und mit Abstand. "Ich weiß wirklich nicht, wo ich mich angesteckt habe", sagt Roy von der Locht. Vor knapp vier Wochen jedenfalls bekam er plötzlich Kopfschmerzen und hatte einen "dicken Schädel". Gleich der erste Corona-Schnelltest war positiv, der zweite ebenso. Also zog er ins Schlafzimmer und seine Frau ins Gästezimmer, sie bleibt gesund. Den Unternehmer indes trifft es schwer. Extreme Gliederschmerzen, Nachtschweiß, Fieber, Halsschmerzen, Geruchsverlust. "Ich habe auch nur noch salzig, süß und sauer geschmeckt - mehr nicht." Im März hatte sich der 57-Jährige erstmalig gegen Covid-19 impfen lassen. Er wollte sich demnächst boostern lassen, ein Antikörper-Test kurz vor seiner Infektion hatte nur noch einen geringen Impfschutz dokumentiert.

Nun seien die Werte wieder top, "bestimmt auch wegen des schweren Verlaufs". Ganz fit ist von der Locht aber noch immer nicht. Seine Kondition sei schwach, er brauche noch jeden Tag ein Cortison-Spray, auch Hustensaft nehme er noch. Er versteht nicht, dass so wenig getestet wird. "Es ist schließlich nicht neu, dass auch Geimpfte das Virus übertragen können."

Patrizia L, 23 Jahre, Studentin aus dem Landkreis:

Anfang August hat Patrizia L. ihre zweite Biontech-Impfung bekommen. Sie wollte möglichst sicher und ohne große Einschränkungen in ihr Auslandssemester in Ungarn starten. Seit Ende August studiert sie an der Business School in Budapest, wo sie mit vier weiteren jungen Menschen in einer Wohngemeinschaft lebt. Vier sind geimpft, einer ungeimpft. Als ein geimpfter Mitbewohner krank wird, denken alle an eine gewöhnliche Erkältung. "Wir sind gar nicht auf die Idee gekommen, dass es Corona sein könnte", erinnert sich die Studentin. Eine Woche später wird auch sie krank.

Als sie nicht mehr riechen und schmecken kann, dämmert es ihr, und sie macht einen Schnelltest. Bis auf eine Mitbewohnerin infizieren sich alle. Patrizia L. sagt, sie sei ziemlich müde gewesen und habe extrem starken Husten gehabt. Schlimmer habe es aber die ungeimpfte Mitbewohnerin getroffen. "Natürlich habe ich gedacht, es erwischt mich nicht", sagt Patrizia L. Letztlich sei sie aber einfach "nur froh gewesen, dass ich geimpft war".

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SZ vom 29.11.2021
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