Corona-Pandemie im Landkreis Starnberg:Alle wollen den Booster

Lesezeit: 3 min

Die Nachfrage nach einer Auffrischung des Impfschutzes ist groß. Hausärzte kommen kaum hinterher und sind teilweise bis Mitte Januar ausgebucht. Der Landkreis ertüchtigt die Impfaußenstellen in Herrsching und Feldafing.

Von Carolin Fries, Krailling/Starnberg

Eric Heuscher kann nur noch den Kopf schütteln. Der 79-Jährige erzählt, wie er im Frühjahr seiner ersten Spritze gegen Covid-19 im Impfzentrum hinterherlaufen musste und schließlich beim Hausarzt die zweite Impfung erhielt. Fünf Monate ist das jetzt her. "Jetzt möchte ich eigentlich die Booster-Impfung", so der Kraillinger. Und wieder gebe es keine "klaren Spielregeln". Der Rentner ist verunsichert: Ist er denn schon an der Reihe oder soll er noch warten? Und besser zum Hausarzt oder ins Impfzentrum? "Ich bin total verunsichert."

Wie dem Kraillinger geht es angesichts der hohen Corona-Fallzahlen und täglich neuen Rekordinzidenzen vielen. Sie wollen ihren Impfschutz auffrischen. "Wir werden mit Anfragen überrannt", sagt der Kraillinger Hausarzt Richard Aulehner. Sowohl in seiner Praxis als auch im Impfzentrum des Landkreises, das der Mediziner zusätzlich leitet, wollten alle den Booster. Aulehner kann es selbst kaum glauben. "Vor drei Wochen haben wir noch Impfstoff weggeschmissen." Die Impfkampagne war eingeschlafen, im Impfzentrum ließen sich täglich nur noch etwa 80 Personen impfen. Nun ist die Nachfrage enorm gestiegen: Am vergangenen Samstag waren es knapp 500 Spritzen, die die Mitarbeiter des Impfzentrums setzten. "Momentan bilden sich sogar Warteschlangen an den Zentren", freut sich Landrat Stefan Frey (CSU). Man werde das Angebot des Impfzentrums und seiner zuletzt stillgelegten Außenstellen deshalb zusammen mit dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) als Betreiber wieder hochfahren - erste Anlaufstelle beim Impfen blieben aber die Haus- und Fachärzte. Vier Wochen solle es etwa dauern, bis wieder wöchentlich 2720 Impfungen möglich sein werden, so Landratsamtssprecher Stefan Diebl. Personal könne man eben nicht wie Impfzentren "beliebig auf Stand-by-Modus setzen und per Knopfdruck wieder hochfahren".

Kurzfristig will der Landkreis die ehemalige Impfaußenstelle in Herrsching ertüchtigen, damit dort wieder jeden Werktag ein stationärer Impfbetrieb angeboten werden kann. Auch die ehemalige Impfaußenstelle in Feldafing soll reaktiviert werden, ein entsprechender Antrag an die Bundeswehr ist laut Diebl bereits gestellt. Dort soll ein mobiles Team eingesetzt werden. Die derzeit vorgehaltenen mobilen Teams würden allgemein verstärkt und künftig auch stationär eingesetzt. So sollen je zwei Teams stationär in Gauting und Herrsching arbeiten, als Ergänzung wird ein weiteres Team mobil im Landkreis Impfangebote unterbreiten.

Im Impfzentrum wird nach wie vor nur geimpft, wer einen Termin hat. Eine dritte Spritze wird nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) und dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz nur an über 60-Jährige verabreicht, deren Grundimmunisierung mindestens sechs Monate zurückliegt. Zusätzlich würden Bewohner sowie das Personal von Alten- und Pflegeheimen geboostert.

In seiner Praxis impft Aulehner ebenfalls nach der Stiko-Empfehlung. "Wenn zehn oder vierzehn Tage fehlen, ist das auch okay." An den drei Impf-Tagen pro Woche in seiner Praxis schafft er aktuell jeweils zwischen 14 und 21 Patienten. Bis Mitte Januar seien alle Termine ausgebucht, am ersten Advent wird er deshalb einen Impftag für 70 Personen anbieten. "Der Andrang ist einfach so groß!" Er versteht die Angst der Menschen, die Lage sei ja auch beängstigend. Die Zahl der Impfdurchbrüche nehme zu und etwa 20 Prozent der Corona-Toten seien zweimal geimpft.

Gleichzeitig warnt er vor Panik. "Ein vorhandener Impfschutz verschwindet nicht plötzlich, er lässt allenfalls nach." Besonders ältere Menschen über 60 Jahre hätten in der Regel eine schwächere Immunantwort. Diese sowie Patienten mit Vorerkrankungen sollten sich deshalb ein halbes Jahr nach ihrer zweiten Spritze gleich die dritte holen. Medizinisch betrachtet könne man freilich auch schon boostern, bevor sechs Monate nach der Zweitimpfung verstrichen sind, allerdings habe er nicht ausreichend Kapazitäten, um alle zu impfen. Aulehner hält sich deshalb an die sechs Monate mit der Absicht, so die vulnerablen Personengruppen zu erwischen. "Alles andere wäre nicht fair."

Starnbergs Pandemie-Koordinator Bernhard Junge-Hülsing verabreicht seinen Patienten bereits viereinhalb Monate nach deren letzter Impfung den Booster. "Jeder, der kommt", bekomme die dritte Spritze. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer bekennt sich als Freund des israelischen Impfsystems. Dort hatte man im Sommer als erstes Land mit den Drittimpfungen begonnen, die Zahl der Infektionen hält sich seither in Grenzen. Junge-Hülsing empfiehlt die dritte Spritze vor allem Menschen, denen bislang ausschließlich die Vakzine von Astra Zeneca oder Johnson & Johnson verabreicht wurden. "Wer ein oder zwei Mal Biontech bekommen hat, sollte noch abwarten." Eine Notwendigkeit, junge Erwachsene oder Jugendliche zu boostern, sieht er nicht. Unter 25-Jährige bekommen bei ihm in der Praxis die Auffrischungsimpfung nur, wenn sie vorerkrankt sind, in einem medizinischen Beruf arbeiten oder aber für Schule oder Studium einen längeren Aufenthalt im Ausland planen.

Heuscher hat sich bei seinem Hausarzt für Mitte Dezember für eine dritte Spritze vormerken lassen. Und er hat einen Antikörpertest machen lassen, - aktuell sei er wohl noch gut vor einer Infektion geschützt, sagt er. Er tue sein Möglichstes, um sicher zu sein, "so sicher wie man in der aktuellen eben sein kann". Für ihn heißt das, vom Impfstatus abgesehen, auch wieder ein Stück weit Rückzug. Heuscher steigt derzeit in keine S-Bahn und keinen Bus mehr, Besuche im Pflegeheim hat er gestrichen.

© SZ vom 16.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: