Christiane Feichtmeier muss nur aus dem Fenster schauen, um zu sehen, was falsch läuft. Das Starnberger Büro der SPD liegt direkt an der Hauptstraße, ein Auto nach dem anderen donnert vorbei - und in den allermeisten Fahrzeugen sitzt der Fahrer alleine drin. "Da, da, und da", sagt Feichtmeier und zeigt mit dem Finger nach draußen. "Das muss sich ändern." Sicher, es hat sich ja auch schon einiges getan, Busse fahren häufiger, es gibt auch auf dem Land mehr Verbindungen. Aber den ÖPNV auszubauen, bringt alleine wenig. "Man muss ihn auch nutzen." Dafür kann die Politik Anreize setzen, Rahmenbedingungen schaffen. Aber wenn sich nicht irgendwann auch mal die Leute bewegen, geht nur wenig vorwärts.
So jedenfalls sieht das Christiane Feichtmeier, 50 Jahre alt, zum zweiten Mal Direktkandidatin der SPD im Stimmkreis Starnberg. Vor fünf Jahren trat sie noch als Christiane Kern an, mit 8,1 Prozent landete sie auf Platz fünf bei den Erststimmen. In der Zwischenzeit hat sie geheiratet, und mit dem Namen soll sich bitteschön auch die Zahl vor dem Prozentzeichen ändern. Das Ergebnis hat sie gewurmt, und damit sich das jetzt nicht wiederholt, klingelt sie gerade an den Türen im Landkreis, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. An den Infoständen funktioniere das nämlich nicht so gut, erzählt sie, das SPD-Logo scheint viele abzuschrecken. Manche würden ihr sogar sagen: Eigentlich bist du ja echt sympathisch. Aber wählen kann ich dich nicht, du bist in der falschen Partei.
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Dabei hat sie, die Polizistin, sich ganz bewusst für die SPD entschieden. Die soziale Ader habe sie schon immer gehabt, sagt sie. Durch den Beruf ist diese Veranlagung dann noch stärker geworden. In den 1990-er Jahren war sie als junge Streifenpolizistin in Schwabing unterwegs. Dort hat sie das Elend gesehen, das in München gerne ausgeblendet wird, die Wohnungslosen zum Beispiel. Und schon da hat sie sich gefragt: Was läuft falsch, dass in einem so reichen Land Menschen auf der Straße leben müssen? Diese Frage beschäftigt sie bis heute. "Ich war schon immer nah dran an den Leuten, denen es nicht so gut geht", sagt sie. "Das prägt einen."
Es geht Feichtmeier also nicht nur darum, dass in den Autos, die am SPD-Büro vorbeibrettern, mehr Leute drinnen sitzen und so vielleicht weniger Fahrzeuge auf der Straße unterwegs sind. Klar, die Klimakrise muss man anpacken und dafür beim Verkehr ansetzen. Das Problem mit dem Wohnen aber auch, findet Feichtmeier - und sieht da den Staat in der Pflicht. Die Politik fordere gerne, dass Unternehmen Werkswohnungen für ihre Angestellten bauen sollen, erklärt sie. Aber warum fängt der Staat nicht selbst damit an und stellt Wohnungen für seine Beschäftigten im öffentlichen Dienst bereit? "Damit könnte man viel Druck vom Wohnungsmarkt nehmen", glaubt Feichtmeier. Das wäre auch wichtig, um den Leuten lange Wege in die Arbeit zu ersparen oder den Fachkräftemangel zu bekämpfen, vor allem in weniger gut bezahlten Branchen. "Fast jedes unserer Probleme fängt beim Wohnen an", sagt Feichtmeier.
Dass sich Feichtmeier dabei vor allem um den Stimmkreis Starnberg sorgt und hier nun für die SPD antritt, war beim Blick auf ihre Vita nicht unbedingt vorherzusehen. Geboren ist sie 1973 in Laufen, einer Kleinstadt im Berchtesgadener Land. Über Eichstätt und München ist sie schließlich in Tutzing gelandet. Und weil auch der SPD die Leute fehlen, hat die "Zuagroasde", wie sich Feichtmeier selbst gern mal nennt, hier direkt so gut wie alle Ämter übernommen, die es gibt: Kreisvorsitzende, Kreisrätin, Landtagskandidatin. Aber schon davor hat sie gewusst: In der Politik geht es eigentlich immer ums Geld.
Wer wie viel bekommt, hängt nun mal vom politischen Willen ab. Und dabei fallen oft jene hinten runter, die keine Lobby haben: Senioren, Kinder, Geflüchtete. Gerade jetzt, nach der Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine, zeigt sich das für Feichtmeier mal wieder besonders stark. "Dabei müssen wir doch vor allem für diese Leute da sein", sagt Feichtmeier. "Gerade bei den Kindern müssen wir ansetzen." Dass die Kommunen gerade jetzt viele freiwillige Leistungen im Sozialen streichen, kann Feichtmeier nicht nachvollziehen. Eigentlich, sagt sie, müsse es umgekehrt laufen und man zunächst bei denen ansetzen, die besser dastehen als andere.
In manchen Berufssparten muss die Politik Anreize schaffen
Das mit der fehlenden Lobby hat Feichtmeier auch in der Arbeitswelt beobachtet - etwa in der Pflege. Während Corona haben alle geklatscht. Danach aber ist alles so geblieben wie es ist, keine besseren Arbeitsbedingungen, keine bessere Bezahlung. "Das müssen wir ändern", fordert Feichtmeier. Sie hat selbst jemanden in der Familie, der pflegebedürftig ist. "Da will man doch wissen, dass die Angehörigen in guten Händen sind." Aber wenn man will, dass es wieder mehr Pfleger gibt, muss man Anreize setzen, findet Feichtmeier. Mehr Geld, günstigen Wohnraum, "irgendwelche Vorteile muss man den Leuten bieten". Dafür will sich Feichtmeier im Landtag stark machen. Mit Listenplatz 4 stehen ihre Chancen für den Einzug eigentlich gut. Allerdings müsste die SPD dafür wohl auch ein zweistelliges Ergebnis einfahren. Und bei den bayerischen Sozialdemokraten ist inzwischen ja nicht mal mehr das sicher.
So viele Themen, so viele Erklärungen - da vergeht die Zeit schnell. Die Rushhour ist vorbei, der Verkehr vor dem SPD-Büro ist ein wenig abgeebbt. Feichtmeier lächelt. Wenn es nach ihr ginge, könnte das so bleiben.