Briefwahl-Rekord bei Bundestagswahl:"Vorsicht, mit Spucke zugeklebt"

Lesezeit: 2 min

Ausgerüstet mit Plastikhandschuhen und Brieföffner: Für die Kraillinger Wahlhelferin Diana Widmann beginnt die Arbeit am Sonntagnachmittag. Dann muss sie im Akkord Kuverts aufschlitzen. (Foto: Nila Thiel)

Wegen Corona stimmen fast zwei von drei Wahlberechtigten per Briefwahl ab. Wahlhelferinnen wie Diana Widmann müssen die Umschläge dann am Sonntag im Akkord aufschlitzen. Wie die Kraillingerin dabei Tempo macht.

Von Carolin Fries, Starnberg

Es sind nicht die Finger und Hände, die nach Hunderten Briefen schmerzen. "Es ist der Rücken", sagt Diana Widmann. Die 37-Jährige, die sonst die Gemeindebibliothek in Krailling leitet, ist eine erfahrene Wahlhelferin, seit 2007 ist sie bei jeder Abstimmung dabei, so auch bei der Bundestagswahl am Sonntag. Um 15 Uhr wird sie in der Grundschule das erste paar Plastikhandschuhe anziehen und mit einem Brieföffner einen rosa Umschlag nach dem anderen aufschlitzen. "An viel zu kleinen Tischen und auf viel zu kleinen Stühlen." Stundenlang wird sie zusammen mit ihren Bücherei-Kolleginnen wie am Fließband arbeiten. Ihre Quote ist gut: Geschätzt 20 Sekunden braucht sie durchschnittlich für einen Wahlbrief. Es dürfte dennoch ein langer Abend werden, denn der Anteil der Briefwähler wird diesmal so hoch liegen wie noch nie.

Etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten im Landkreis haben bislang Briefwahlunterlagen angefordert, wie eine Umfrage unter den Gemeinden zeigt. In Krailling dürfen 5515 Bürger wählen, bis Dienstagmorgen hatten 3192 die Briefwahl beantragt. 1866 rosa Briefe lagen da bereits schon wieder zugeklebt in den sechs Briefwahlurnen im Rathaus. Würden bis Sonntag alle verschickten Unterlagen eintrudeln, läge die Briefwahlbeteiligung in der Würmtal-Gemeinde bei 58 Prozent - und damit deutlich über den etwa 36 Prozent bei der Bundestagswahl vor vier Jahren. Landkreisweit hatten sich damals 31,5 Prozent der Wahlberechtigten entschieden, lieber daheim statt im Rathaus oder der örtlichen Schule abzustimmen. Coronabedingt rechnet man diesmal in den Rathäusern mit einem deutlich größeren Anteil.

Beim Auszählen setzen die Gemeinden weiter auf Handarbeit. Eine Briefschlitz-Maschine, wie sie in der Landeshauptstadt zum Einsatz kommen, gibt es im Landkreis nicht. Sogar in Gauting, wo man mit 9000 Wahlbriefen der 14 500 Wahlberechtigten rechnet, liegen für die 200 Wahlhelfer schlichte Briefmesser bereit. Handschuhe gehören spätestens seit der Kommunalwahl zur Corona-Hochzeit im vergangenen Jahr zur Standardausstattung. "Vorsicht, mit Spucke zugeklebt", stand auf einem Umschlag, erzählt Widmann. Viele hätten aber damals schon rücksichtsvoll zum Klebestreifen gegriffen.

Um die Massen zu bewältigen, setzt Diana Widmann auf systematisches Arbeiten. Brief für Brief aufschlitzen und leeren - "das kostet unnötig Zeit". Als effektiv habe es sich erwiesen, stapelweise Briefe zu öffnen und im Anschluss Wahlschein und Stimmzettel zu entnehmen und zu kontrollieren. "Am besten, man ist zu zweit, dann öffnet einer die Briefe und einer holt die Zettel raus." Widmann hat ihre ersten Wahlabende in klassischen Urnen-Bezirken erlebt, wo bereits von frühmorgens an in Schichten gearbeitet wird. Dass das Bücherei-Team inzwischen ausschließlich in Briefwahlbezirken eingesetzt wird, wo in einer ersten Runde um 15 Uhr und schließlich nach einer Essenspause erneut von 18 Uhr an geschlitzt und gezählt wird, bedauert sie nicht. "Da hat man mehr vom Sonntag."

In Krailling sind am Sonntag insgesamt 84 Helfer in den zwölf Wahlbezirken eingeteilt, Geschäftsleiter Franz Wolfrum rechnet bis 20.30 Uhr mit einem vorläufigen Ergebnis. In anderen Rathäusern schätzt man, dass es aufgrund des großen Briefwahlanteils bis 22 Uhr dauern wird, bis alle Stimmen ausgezählt sind. Michael Klaßen aus dem Rathaus in Berg hat die Devise ausgegeben: "Lieber langsam zählen und dafür richtig." Es gebe kein Wettrennen um die Ergebnisplatzierungen unter den Kommunen.

Briefwahlanträge können noch bis Freitag, 24. September, 18 Uhr gestellt werden. Dann müssen die Unterlagen aber abgeholt werden. Die Wahlbriefe müssen am Wahltag bis 18 Uhr in den Rathäusern vorliegen.

© SZ vom 22.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: