Starnberg:Böse Vorahnung

Starnberg: Bahnhof Liederzyklus 'Die schöne Müllerin'

Wie aus einem Guss: Pianistin Lauriane Follonier und Bariton Peter Schöne bei ihrem Auftritt in Starnberg.

(Foto: Nila Thiel)

Lauriane Follonier und Peter Schöne betonen im Kulturbahnhof die Abgründe in Schuberts "Die schöne Müllerin"

Von Reinhard Palmer, Starnberg

"Ich habe seit der Oper nichts componirt, als ein paar Müllerlieder", schrieb Schubert 1823 an einen Freund. Was der Liedermeister hier so lapidar als etwas Belangloses erwähnte, ist nichts Geringeres als der erste erzählende Liederzyklus der Romantik. Allerdings erschuf Schubert kein neues Genre, wie so oft behauptet wird. Schließlich hatte Beethoven schon 1816 sein "An die ferne Geliebte" komponiert - explizit als Liederzyklus mit Überleitungen im Klavierpart. Dennoch ist Schuberts "Die schöne Müllerin" als der beliebteste Zyklus überhaupt von herausragender Bedeutung. "Das Wandern ist des Müllers Lust" ist sogar ins Volksgut übergegangen.

Im Starnberger Kulturbahnhof gelang es Kulturamtsleiterin Annette Kienzle, eine zeitlich stimmige Konstellation auf die Bühne zu bekommen. Der neogotisch holzvertäfelte, königliche Wartesaal im Bahnhofsgebäude am See von 1856 entstand nur wenige Jahre nach Schuberts Liederzyklus und bietet eine entsprechende Salon-Atmosphäre. Den Hammerflügel, ein von privat geliehenes historisches Originalinstrument, das Lauriane Follonier, eine Spezialistin in diesem Fach, in feinsinniger Modellierung zum Klingen brachte, hatte der seinerzeit bedeutendste Klavierbauer in Wien, Conrad Graf, 1828 erschaffen. Beethoven, Clara Schumann und Chopin spielten seine Instrumente. Und auch das in Starnberg zur Verfügung gestellte Exemplar überzeugte mit seinem besonderen Klangreichtum. Die üppigen Obertöne boten eine Lebendigkeit und einen Farbenreichtum, wie sie kein moderner Flügel zustande bringt.

Die Vorteile dieses Instruments kamen auch deshalb besonders zum Tragen, weil sich Bariton Peter Schöne die Möglichkeit nicht nehmen ließ, das breitgefächerte Ausdruckspotenzial des Instruments aufzugreifen und mit bewegten Erzählungen den Schubert-Zyklus emotional ordentlich aufzuwühlen. Dass ein historischer Hammerflügel nicht das Lautstärkenvolumen eines modernen Flügels erreicht, spielte keine Rolle, ist doch im kleinen Wartesaal akustisch ohnehin Zurückhaltung geboten. Follonier konnte sogar in den rasant-virtuosen Begleitfigurationen spieltechnisch weit ins zarteste pianissimo piano abtauchen. Und doch öffnete sie damit einen weiten Raum für dynamische Entwicklungen, wie sie der Sänger Schöne auch aus dem Inhalt heraus entsprechend auskostete.

Liest man die Gedichte Wilhelm Müllers, übergeht man im blumigen Sprachfluss leicht gewisse Anspielungen, Untertöne, ja Zweideutigkeiten. Peter Schöne ziele in seiner feinsinnig changierenden Interpretation geradezu darauf ab, offenzulegen, was Schubert dahingehend musikalisch hinterfragt.

Zwar gaben weder der Komponist noch der Interpret Antworten auf die Fragestellungen in den Gedichten. Aber Schönes Deutung, die diese Elemente betonte, hatte etwas Geheimnisvolles und damit auch Tiefsinniges. Hinter der üblichen dramatisch-tragischen Liebesthematik im idyllischen Gewand des romantisierten Landlebens, die eine drastische Wendung nimmt, öffneten sich so immer wieder kleine Durchblicke in abgründige Bereiche, die Schubert in raffinierten Moll-Trübungen einbaute.

Noch vor der tödlichen Wendung für den Müllergesellen hinterlegte Schubert Vorahnungen, die Schöne behutsam und mit Bedacht aufgriff und damit dem verhängnisvollen Lauf eine packende Dramaturgie hinterlegte. Und er bekam von Follonier viel Freiheit dafür, reagierte die Pianistin doch auf jede noch so geringfügige Nuance mit stimmiger Formung und Färbung. So kam alles wie aus einem Guss, nicht zuletzt dank der intuitiven Verständigung der beiden Künstler.

Das funktionierte im forschen, kraftvollen "Bächlein, lass dein Rauschen sein" genauso, wie im melancholisch wogenden "Wo ein treues Herze in Liebe vergeht". Im letzteren kam so auch die todestrunkene Süße treffend zustande, die der Romantik ihre besondere Ausdrucksnote verleiht und an diesem Abend auch zutiefst berührte. Das begeisterte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: