Kultur:Bizarre Mischung

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Peter Weiß (sitzend), Jannis Hain, Elisabeth Car, Gerd Holzheimer, Judith Huber, Esther Schöpf, Luis Carr, Norbert Groh und Nicolas Schrogl (v. li.). (Foto: Georgine Treybal)

Der Literarische Herbst beginnt mit einem drolligen Stationentheater samt Salonmusik, Zauberei und Amuse Gueules, mit dem zugleich das 150. Jubiläum des Hotels Bayerischer Hof gefeiert wird

Von Gerhard Summer, Starnberg

Wer die Dinge gern ein wenig versteht oder sogar entschlüsselt, hat mit diesem Abend seine liebe Not. Es treten auf: Ein Hotelgast ganz in Schwarz mit einem altmodischen Koffer voller Bücher. Ein stattlicher, aber schweigsamer Rezeptionist, der mit seiner dunklen Tolle aussieht wie Ludwig II, ja angeblich Ludwig II. ist. Eine eigentlich blonde Geisha mit sehr rotem Lippenstift und schwarzer haubenartiger Frisur. Ein junger Zauberer, der ebenfalls als Märchenkönig durchgehen könnte und blöderweise seinen Zimmerschlüssel verloren hat, ja noch nicht mal mehr seine Zimmernummer weiß. Schließlich: ein Hoteldirektor, der auf dem Treppenaufgang steht und selig grinst. Nein, das ist kein Schauspieler, der Mann ist echt: Nicolas Schrogl, Chef des Bayerischen Hofs in Starnberg.

Die Geisha hält dem Gast Schilder hin mit Aufschriften wie "Ja Schnecke, besteig den Fuji", "aber langsam, langsam". Sie trinkt mit ihm Dosenbier und nimmt einen gewaltigen Schluck. Und sie rezitiert das mittelhochdeutsche Liebesgedicht "Dû bist mîn, ich bin dîn", vermengt mit ein bisschen Bayerisch. Kommt da nicht ein verlorenes "sluzzelîn" vor? Doch. Und am Ende zeigt sich: Der Zauberer hat in diesem Hotel, das sein 150-jähriges Bestehen feiert, Zimmer 21. Lässt sich die 150 problemlos durch 21 teilen? Eher nicht. Besser durch die Quersumme von 21, durch die drei, aber das führte jetzt zu weit und ergibt natürlich auch überhaupt keinen Sinn.

So geht das dahin beim Auftakt der Literarischen Herbstes. Das Duo Esther Schöpf (Violine) und Nobert Groh (Klavier, Akkordeon) spielt mit Herz und Feuer Salonmusik, Reißer von Kálmán bis Hans Zander, dazu ein feines Piazzolla-Stück und Schuberts wunderschöne Elegie "Leise flehen meine Lieder". Peter Weiß, der Hotelgast, und Judith Huber, die bayerische Geisha, zitieren Prosa und Gedichte von Oskar Maria Graf bis Arthur Schnitzler. Wobei vor allem die Texte im ersten Teil wirklich stark sind: die experimentellen "Abenteuer aus dem Englischen Garten", da kommt man kaum drauf, dass das von Marieluise Fleißer stammt. Dazu noch der fein-fiese Auszug aus Ödön von Horváths "Der ewige Spießer" und Bohumil Hrabals putzige Geschichte aus dem Prager Hotel Tichota, mit einem entfesselten Präsidenten und einer Schönen, die extra mit dem Areoplan aus Paris eingeflogen wird. Es gibt reichlich zu essen und zu trinken, die Gastgebern spendieren zum Ende zu sogar eine Runde Gin Tonic. Und gelegentlich tritt in diesem Salon mit Lüstern, Stuckdecke und rosa angeleuchteten Vorhängen, der mal als Café, mal als Kaffeehaus und als Bar dient, ein Pärchen auf, das dieses wunderbar wirre Stationentheater ersonnen hat: Kulturmanagerin Elisabeth Carr und Schriftsteller Gerd Holzheimer. Sie tun so, als würden sie gleich erklären, was da abgeht. Aber in Wahrheit wundern sie sich auch nur über die "merkwürdigen Gestalten" in diesem gastlichen Haus, das auch in Paris oder in New York stehen könnte. "Weiß man irgendetwas in diesem Hotel", fragt Carr. Die Antwort: "Wir nicht."

Was dieser Abend also ist? Ein großes, gegen den Strich gebürstetes Vergnügen für 150 Leute. Eine absurd magische Mischung. Ein versponnenes Fest für die Sinne, das freilich nichts mit Starnberg im Allgemeinen oder dem Bayerischen Hof im Besonderen zu tun hat. Ein drolliger Auftakt, der signalisiert: Man muss nicht ständig alles verstehen und deuten, was man sieht, manchmal fehlt einem eben der Schlüssel dafür. Vielleicht kann man es auch so sagen: In diesem Hotel treten lauter Figuren auf, die Kunst machen, das bedeutet ja auch Geisha ganz wörtlich: Person der Künste, Unterhaltungskünstlerin.

Zu diesem verspielten Ansatz passt sogar die wunderliche Ansprache, die Hoteldirektor Schrogl vor dem Hotel hält, und natürlich der Zauberer, der nebenbei einen Vogel aus der Nase niest und einen Schuhspanner aus dem Schuh zieht, den er eben noch am Fuß hatte. Einer seiner schönsten Tricks: Er lässt drei Leute dreistellige Zahlen aufschreiben, ein vierter Besucher, Rüdiger, darf die Zahlen addieren. Seine Frau Annelie kontrollierte das Ganze mit dem Taschenrechner, Zauberer Luis Carr, der Sohn der Kunst-Räume-Erfinderin Elisabeth Carr, verspeist derweil ein Stück Torte, das ihm ein Zuschauer aus der Vitrine ausgesucht hat. Heraus kommt die Zahl 1569. Hm, eine Jahreszahl? Eher nicht.

Na ja, vielleicht sollte man mal die Quersumme ausprobieren. Und die Quersumme ist: 21. Ach, ruft der Zauberer, jetzt falle es ihm wieder ein, das sei seine Zimmernummer. Spricht's und stößt mit der Gabel auf einen Schlüssel im Kuchenstück. Der Schlüssel hat ein kleines rundes Schildchen, und darauf steht 21.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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