Süddeutsche Zeitung

Starnberg:Bis die Füße bluten

Der Ballettfilm "Horizontes" und eine Einlage Starnberger Eleven

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Die Primaballerina Assoluta Alicia Alonso trägt immer ein Paar Ballettschuhe in ihrer Handtasche bei sich. Selbst als blinde Frau im hohen Alter von mehr als 90 Jahren holt sie ihre Ballettschuhe heraus, lässt sie auf ihrem Schoß tanzen und legt sie liebevoll wieder zurück. Alicia Alonso war eine weltberühmte Tänzerin, sie ist noch immer das große Vorbild für den Tanz-Nachwuchs in Kuba. Der Film "Horizontes", der auf dem Fünfseen-Filmfestival lief, dokumentiert beeindruckend, wir hart sich Tänzerinnen eine Karriere erarbeiten müssen. Im Rahmen des Festivals wird immer wieder Filmkunst mit Theater, Ausstellungen Literatur, aber auch Tanz kombiniert. Dem Dokumentarfilm über klassisches Ballett ging ein Auftritt der Tanzschule "neues Tanzen Starnberg" voraus. Die Leistungsgruppe unter Leitung des Trainers Maximilian Schmid, der auch die Choreografie geschaffen hatte, zeigte den zeitgenössischen Tanz "Calima" (Sandsturm).

Die Schweizer Regisseurin Eileen Hofer verbindet geschickt das Leben der Ballettikone Alicia mit dem Trainingsalltag der Tänzerin Viengsay, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere steht, sowie Amanda, die gerade eine Ausbildung zur klassischen Balletttänzerin macht. Alles dreht sich ums Tanzen, alles wird dem großen Traum von der Karriere untergeordnet. Viengsay sitzt erschöpft und mit schmerzverzerrtem Gesicht in der Garderobe. Amanda macht sogar noch vor dem Fernseher Dehnübungen, und ihre Eltern unterhalten sich darüber, ob sie es sich leisten können, ihrer Tochter zum Examen neue Ballettschuhe zu kaufen.

Nahaufnahmen zeigen den Schweiß, die Mühen, die harte Disziplin und die Ausdauer, die die Proben erfordern, und die starken Schmerzen, die mit dem Auftritt einhergehen. "Deine Füße sind beweglich, aber dein Gesicht ist erstarrt", kritisiert Alicia die Ballett-Tänzerin Viengsay und erinnert an ihren ersten Auftritt als "Giselle": "Meine Füße waren nach dem zweiten Akt blutig, aber ich spürte keine Schmerzen." Und: Sie habe gelächelt.

Die Rückblicke werden teilweise in Schwarz-Weiß dargestellt. Eingeblendet werden Auftritte der Primaballerina zusammen mit dem damaligen Staatschef Fidel Castro oder der betagten Ballettikone als Ehrengast am Nationalfeiertag. Man könnte das auch kritisch sehen: wie sich das politische System die Weltkarriere der Tänzerin zunutze macht. Aber das fehlt.

"Da lächeln unsere Schülerinnen deutlich mehr", sagt Kitty Bothe-Hufnagel nach der Filmvorführung. Eine derart harte Schule wie im Film lehne sie ab. "Man tut dem Körper nichts Gutes." Um in die Leistungsgruppe zu kommen, sind an der Starnberger Tanzschule je nach Altersgruppe drei bis fünf, manchmal sogar bis zu acht Probestunden pro Woche Pflicht. Der ausgebildete Tänzer und Tanzpädagoge Maximilian Schmid aus Pöcking hat die Choreografie zusammen mit den Tänzerinnen entwickelt. In "Sandsturm" nach der Musik des Stücks "November" von Max Richter habe er sich zunutze gemacht, dass die Tänzerinnen so viel Energie hätten.

Laut Hufnagel erfordert auch zeitgenössischer Tanz diszipliniertes Training. Voraussetzung sei auch eine Ausbildung im klassischen Ballett. Doch bei aller Leistung müsse der Spaß im Vordergrund stehen, wie Hufnagel betont. "Tanzen braucht Idealismus und Leidenschaft. Aber wenn man sie (ihre Schülerinnen) auf der Bühne sieht, ist es etwas Besonderes", sagt Hufnagel.

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SZ vom 02.08.2016
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