Bedrohte Pflanzen und Tiere rund um Starnberg:Faszination Natur

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Umweltschützer Hans-Jochen Iwan hat mit "Die Starnberger Biotope" ein Grundlagenwerk über die Landschaften rund um die Kreisstadt vorgelegt - auch, um Artensterben und Flächenfraß zu verhindern.

Von Peter Haacke, Starnberg

Die oberbayerischen Voralpen prägen faszinierende Naturlandschaften, die sich auch rund um die Kreisstadt Starnberg offenbaren. Hans-Jochen Iwan, seit 1974 in verschiedenen Funktionen Mitglied im Bund Naturschutz und einer der Gründerväter der Starnberger Agenda 21, ist ein Naturschützer der ersten Stunde. Er hat in einem aufwendigen Buch sämtliche Biotope rund um die Kreisstadt beschrieben und dabei Flora und Fauna akribisch notiert. Nie zuvor hat sich ein Autor derart intensiv mit der Natur, Biotopen, Pflanzen und Tieren rund um Starnberg befasst. Das 464 Seiten starke Werk jedenfalls dürfte noch nachfolgenden Generationen als Standard- und Nachschlagewerk dienen. "Wenn Sie nun glauben, liebe Leser, dass Sie hier alles über die Starnberger Biotope erfahren", schreibt Iwan, "dann muss ich Sie leider enttäuschen." Er könne bestenfalls nur über das berichten, was er selbst erfahren habe, was ihm zugetragen wurde, was er gesehen, gehört und empfunden habe, erklärt er in der Einleitung zu "Die Starnberger Biotope". Diese Aussage führt in ihrer Bescheidenheit ein wenig in die Irre, denn angesichts der Fülle an detaillierten Informationen in Text und Bild gehört das Buch zu den herausragenden Werken über die Natur am Starnberger See.

Urwüchsig und unberührt: Die Murnau, ein Waldgebiet zwischen Leutstettener Moos und Wildmoos, ist von vielen kleinen Sümpfen durchzogen. (Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Auf seinen Streifzügen durch die Natur hat Iwan keinen Ortsteil ausgelassen und dabei Plätze mit selten gewordenen Pflanzen entdeckt. Im Westen etwa fand er am sogenannten Wilden Kaiser in Neusöcking, wo sich die Skispringer einst sogar eine Schanze gebaut hatten, das Weiße Fingerkraut, die Wiesen-Primel oder den Abgebissenen Pippau. Am Hängenden Stein fand er den Gelben und den Deutschen Enzian. Im Nordosten der Kreisstadt durchstreifte er das Leutstettener Moos, das größte und wertvollste aller Starnberger Biotope, über das sich allein ein eigenes Buch schreiben ließe. Das Moos entstand als Verlandungsbereich des einst viel größeren Starnberger Sees; die Gletscher der Eiszeit hatten tiefe Mulden hinterlassen. Das Moos - Naturschutz-, FFH-, Vogelschutz- und Ramsar-Gebiet - ist zu großen Teilen nicht zugänglich. Und das ist vermutlich auch gut so für die vielen Tiere und Pflanzen in den insgesamt 70 aufgelisteten Biotopen, die allesamt ihre Eigenheiten aufweisen und teilweise vom Aussterben bedroht sind.

Die sechsstufige Rote Liste der bedrohten Arten - von "ausgestorben oder verschollen" über "stark gefährdet" bis hin zu "extrem selten" - ist lang. Bei den Tieren stehen von 16 036 Arten 6480 auf der Liste - das sind rund 40 Prozent. Ähnlich sieht es bei den Pflanzen aus: Von 2763 Arten in Bayern sind 43 Prozent bedroht. Für Biotope bedeutet das: Je mehr Arten in ihm vorkommen, umso wertvoller ist es.

Als ambivalent bezeichnet Iwan seit jeher das Verhältnis der Politik zum Naturschutz. Immerhin: Die heute gültige Biotop-Kartierung umfasst allein für die Gemarkungen der Stadt Starnberg 25 Karten im Maßstab 1:5000, auf denen 266 Einzelflächen festgehalten sind. Die kurz nach der Jahrtausendwende durch die Europäische Union ausgewiesenen Flora-Fauna-Habitat-Gebiete (FFH), die im Allgemeinen auch wesentlich größer sind, wurden unabhängig von der Biotop-Kartierung aufgestellt. Wälder sind jedoch davon ausgespart, weil einige Besitzer sich in ihren Eigentumsrechten behindert sahen. Spannend wird es immer dann, wenn eine neue Straße oder ein Gewerbegebiet entstehen soll. "In der Praxis sieht dies dann so aus, dass man mit allen Mitteln versucht, dem Projekt entgegenstehende Naturschutzgesetze und Richtlinien auszuhebeln", schreibt Iwan. "Bis heute werden Arten ausgerottet, und keine Politik hilft bisher."

Vom Ei zum Stern

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(Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Intensiver und penetranter Aasgeruch kennzeichnet das Vorkommen des Tintenfischpilzes (Clathrus archeri) - eine in den Tropen heimische Art, die hierzulande vorwiegend in Gewächshäuser zu finden ist. Iwan entdeckte dieses im Durchmesser etwa 15 Zentimeter große Exemplar, das wie rohes Fleisch mit schwarzen Fusseln in Form eines Seesterns im Gras lag, zwischen Landstetten, Rothenfeld und Frieding. Der junge Pilz wächst zuerst als drei bis fünf Zentimeter breites Hexenei.

Halbmonde am Kopf

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(Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Die Ringelnatter (Natrix natrix) fühlt sich in der Nähe von Gewässern wohl. Sie findet sich unter anderem in der Maisinger Schlucht, den Schlosshölzlwiesen, im Linslemoos nordwestlich von Maising oder in der "Roten Höll" unweit der Kreisstraße Söcking-Hadorf im Wald. Die ungiftige Schlange ist gut erkennbar an den beiden Halbmonden seitlich des Kopfes. Sie wird bis zu maximal 1,5 Meter lang, kann hervorragend schwimmen und ernährt sich überwiegend von Amphibien.

Giftig und geschützt

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(Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Unter Naturschutz steht die Spitzmorchel (Morchella elata) - ein Speisepilz, der qualitativ noch über der Speise-Morchel einzuordnen ist. Das Sammeln ist nur in geringen Mengen erlaubt. Im Rohzustand ist die Spitzmorchel giftig.

Schön und selten

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(Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Steht unter besonderem Schutz: Der Frauenschuh (Cypripedium calceolus) hat sich extrem rar gemacht in den Starnberger Biotopen. Jahrelang galt sie als verschollen, Iwan fand sie dennoch "im allerletzten Augenblick vor Redaktionsschluss dieses Buches". Gleichwohl verschweigt er den genauen Standort der seltenen Pflanze, die ansonsten aber noch vergleichsweise häufig am Ufer der Isar zu finden sein soll. Der Frauenschuh, eine krautige Pflanze mit Wuchshöhen von 15 bis 60 Zentimetern, gehört zur großen Familie der Orchideen.

Unterirdische Zwiebel

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(Foto: N/A)

Ein bemerkenswertes Vorkommen an Wald-Goldsternen (Gagea lutea) findet sich im Biotop "Hecke an der Bismarckstraße" zwischen Söcking und Neu-Söcking vor allem am Zusammenschluss mit dem Schleißgraben-Biotop. Die zierliche Pflanze bildet unterirdische Zwiebeln als Überdauerungsorgane aus, die ihr auch die vegetative Vermehrung sichert. Die Blütezeit ist zwischen März und Mai, Bestäuber sind kleine Fliegen, Käfer und Bienen. Die Samen werden über den Wind und durch Ameisen ausgebreitet.

Die Pracht der Männchen

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(Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Die Teiche des Oberen und Unteren Schlosshölzl im Norden der Stadt sind die Laichgewässer der Gelbbauchunke, und auch die Blauflügel-Prachtlibelle (Calopteryx virgo) - auch Gemeine Seejungfer genannt - tummelt sich hier. Sie ist neben der Gebänderten Prachtlibelle die einzige Art der Prachtlibellen in Mitteleuropa und fällt vor allem durch die namengebenden blauen Flügel der Männchen auf. Weniger auffällig dagegen sind die bräunlich bis kupferfarben gefärbten Weibchen.

Straßen als Todesfallen

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(Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Schwere Zeiten für den Springfrosch (Rana dalmatina), der oft im Gebiet der Starnberger Westtangente zu finden war. Gab es in Starnberg Mitte der 90-er Jahre noch ansehnliche Wanderungen aus Schwarzgraben und Wäldern hin zum Weiher der Fünfseenschule, erwies sich die Prinz-Karl-Straße als wahre Todesfalle: Abgesehen vom Verkehr konnten die Kröten die Bordsteine nicht überwinden, und die winzigen Springfrösche fielen zuhauf durch die Gullyschlitze.

Schlammwurzler

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(Foto: Hans-Jochen Iwan/oh)

Über einen langen Stiel ist die Weiße Seerose (Nymphaea alba), die bereits als nahezu verschwunden galt, tief im Schlamm verankert. Ihr setzen Sonnenöle von Schwimmern, Chemie aus der Landwirtschaft und Klimawandel zu.

In seinem Ausblick zieht Iwan ein eher ernüchterndes Fazit. Das traurigste Kapitel seines Buches widmet er ausgestorbenen, verschollenen oder aussterbenden Arten. Verschwunden aus der Vielfalt der Flora sind etwa die Europäische Trollblume, das Langblättrige Hasenohr, das Brand-Knabenkraut oder der Blattlose Widderbart. Immerhin: Der Frauenschuh galt als verschollen, Iwan entdeckte eines der raren Exemplare. Den Standort verrät er jedoch nicht. Doch auch in der Tierwelt geht das Artensterben weiter: Der Segelfalter ist schon lange verschwunden, stellt Iwan fest, "die mediterranen Gebiete sagen ihm offenbar mehr zu". Oder der Edelkrebs, der noch in den 50er-Jahren im Maisinger Bach vorkam, ist unauffindbar. Zwar wurde dafür sein amerikanischer Doppelgänger, der Kamberkrebs, eingesetzt. Doch ausgerechnet der ist Überträger der Krebspest, was nun auch den Bestand des heimischen Steinkrebses gefährdet. "Was also ist zu tun?", fragt Iwan - und gibt selbst die Antworten: Sich auf keinen Fall entmutigen lassen, erhalten, was noch zu erhalten ist, keine weitere Vernichtung von Biotopen und Landschaft hinnehmen sowie die Sünden der Politik und Wirtschaft anprangern. Zudem fordert der 79-Jährige, dass Naturschützer sich um Nachwuchs in den eigenen Reihen bemühen. Wenn nur noch wenige Personen vom Artensterben berichten können, dann schwindet der Druck auf die Politik, um etwas dagegen zu tun.

Iwan bezeichnet sein Buch, das nach jahrzehntelanger Vorbereitung, akribischer Recherche und durchgearbeiteten Nächten als Lebenswerk gelten kann, als Grundlagenwerk über die Starnberger Biotope. Es ist weder Pflanzen- oder Tierbestimmungsbuch noch Wanderführer. "Absichtlich", sagte Iwan bei der Präsentation vor wenigen Wochen, habe er die jeweiligen Standorte "ein bisschen diffus gehalten", um keinen Massentourismus anzulocken, der am Ende gar womöglich mit Iwans Buch in der Hand durch unberührte Natur trampelt. "Die Starnberger Biotope", herausgegeben von der Starnberger Stadtverwaltung im Eigenverlag, wird von den Lesern gut angenommen: Seit Mitte Dezember 2018 wurde mehr als die Hälfte der 500 gedruckten Exemplare verkauft, die zum Preis von nur je 29,80 Euro zu haben sind. Die Stadt übernahm 27 500 Euro für die Produktion.

Hans-Jochen Iwan kommt am Freitag, 22. Februar, 19 Uhr, zum Gespräch in die Buchhandlung Bücherjolle, Kirchplatz 3, Starnberg. Der Eintritt in Höhe von 9 Euro geht an den Bund Naturschutz. Um Anmeldung wird gebeten unter Telefon 08151/128 28

© SZ vom 08.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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