Eine Wiese im Starnberger Norden. Erst ein Trampelpfad, dann Gras und Löwenzahn. Eigentlich könnten zeitnah die Bagger rollen, um 70 geförderte Wohnungen hochzuziehen. Hier, auf den 8131 Quadratmetern zwischen Angerweide und Egerer Straße, könnten dann einige der mehr als 100 Menschen unterkommen, die derzeit auf eine bezahlbare Genossenschaftswohnung warten. Menschen, die sich etwa getrennt haben, denen wegen Eigenbedarf gekündigt wurde, oder die in einer Obdachlosenunterkunft leben und wieder auf eigenen Füßen stehen wollen.
Nur, dass die Sterne gerade schlecht stehen in der Baubranche. Die Baukosten sind hoch, die Zinsen auch. Zu hoch, um hier bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Also muss die Wiese erstmal Wiese bleiben - und die Menschen eine Nummer auf der Warteliste. "Nichts geht mehr", klagt August Mehr, Vorstand der Genossenschaft Starnberger See.
An einem Aprilmorgen sitzt Mehr in einer Runde mit Bürgermeistern und SPD-Politikern. Die Stimmung ist so aufgeheizt wie der Wohnmarkt im Landkreis Starnberg. Seit die Baukosten wegen des Krieges in der Ukraine in die Höhe geschnellt sind, geht die Rechnung für den Bau bezahlbarer Wohnungen nicht mehr auf. Bei den beiden großen Wohngenossenschaften herrscht Baupause. Und auch Projekte der sozialen Wohnungsbauorganisation des Landkreises, dem Verband Wohnen, hängen in der Warteschleife.
Und das, obwohl es innerhalb vieler Gemeinden kaum noch Raum zum Verdichten gibt - und der Bedarf enorm ist im überhitzten Landkreis Starnberg. In den Gemeinden gibt es stets mehr Menschen mit Wohnberechtigungsschein als freie Plätze. Allein in Gilching warten 45 Antragsteller auf eine bezahlbare Wohnung. Immer wieder müsse er obdachlos gewordene Leute in Hotels oder Pensionen unterbringen, klagt Bürgermeister Manfred Walter (SPD). "Und dann wird's richtig teuer." Was macht das Bauen so kostspielig? Und was könnte helfen?
Das Vorzeigeobjekt
Vom S-Bahnhof Starnberg Nord sind es nur wenige Meter bis zur Himbselstraße 1. Helle Fassaden, dunkle Balkone. 40 seniorengerechte Wohnungen sind hier für 14 Millionen Euro entstanden. Das war zum Jahr 2020 hin, zum Ende des Baubooms also, als die Zinsen noch niedrig waren und die Energiekosten noch vom billigen russischen Gas getragen. Auf 2267,41 Quadratmetern Gesamtwohnfläche wohnen hier heute Menschen, die auf dem freien Mietmarkt Probleme hätten.
Die meisten von ihnen haben ein eher unterdurchschnittliches Einkommen: 30 der Wohnungen unterliegen der einkommensorientierten Förderung (EOF) - sie brauchen also einen Wohnberechtigungsschein. Die Miete wird nach Einkommensklassen bezahlt. Ein Beispiel: Mit 17 500 Euro Haushaltsbruttoeinkommen im Jahr ist man in Stufe 1 und zahlt 6,50 Euro den Quadratmeter - und damit einen Bruchteil der Durchschnittsmiete im Landkreis, die Immobilien-Seiten derzeit auf 16 bis 18 Euro den Quadratmeter taxieren. Der Staat zahlt dann noch vier Euro pro Quadratmeter drauf - an die Genossenschaft fließen dann insgesamt 10,50 Euro pro Quadratmeter.
Es ist ein Projekt, das so heutzutage nicht mehr aufgehen würde. Denn die Baupreise klettern beständig nach oben. Allein seit 2020 sind sie um ein Viertel gestiegen. Würde man die Löwenzahnwiese zwischen Angerweide und Egerer Straße heute bebauen, würde sich die Miete auf 20 Euro den Quadratmeter belaufen, haben sie in der Genossenschaft berechnet. "Das hat nichts mehr mit unserer sozialen Grundidee zu tun", sagt Mehr. Zumal der Betrag weit über den 13 Euro liegt, die der Freistaat überhaupt fördern würde. Und eine freie Finanzierung verbietet die Satzung. Eine Sackgasse für die Genossenschaft.
Die Bürokratie
Kommunen finden sich oft kaum noch zurecht im Behördendschungel - schließlich muss alles sauber nach öffentlichem Recht laufen. Nur, dass die Gemeinden hier oft den Kürzeren ziehen im Vergleich zum potenten Investor von außen. Gerade, wenn es darum geht, an Grundstücke zu kommen. "Wir werden ständig überboten", moniert der Gilchinger Bürgermeister Walter. Bezahlbarer Wohnraum wird so zur Utopie.
Und selbst wenn es mal ans Bauen geht, finden sich Bauherrn im deutschen Klein-Klein wieder. Von der Entnahme und Analyse von Wasser- und Bodenproben bis hin zur Treppenhöhe ist alles vorgeschrieben. Über 7000 DIN-Normen regeln, wie zu bauen ist. Der Pöckinger Bürgermeister Rainer Schnitzler (PWG) wählt eine Fußballmetapher. Man versuche in Deutschland, "mit allen Standards in der Champions League zu sein."
Der Vorsitzende der Wohngenossenschaft Fünfseenland, Kai Herzog, geht noch weiter. Er spricht von "Normierungswut". Viele Vorschriften seien ja wichtig - dabei sei etwa der Schallschutz eher ein "Luxusproblem." So werde das Bauen immer teurer. Würde man die Vorschriften hingegen reduzieren, "dann wären wir einen großen Schritt weiter in Richtung bezahlbares Wohnen." Viele wären nämlich froh, wenn sie überhaupt ein Dach über dem Kopf hätten, sagt er.
Eine Frage des Geldes
Knapp 1,48 Millionen Euro pumpt der Landkreis jedes Jahr in den Verband Wohnen - Geld, das er sich wiederum von den ohnehin finanzschwachen Kommunen im Landkreis holt, Stichwort Kreisumlage. Die war zuletzt gestiegen, nicht zuletzt wegen der explodierten Baukosten.
Tatsächlich ist nirgends in Deutschland das Bauen so teuer wie in Bayern, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen. Über 2600 Euro fallen hier für den Bau eines Quadratmeters an. Ein Mehrfamilienhaus kostet so schnell mehrere Millionen Euro.
Zwar wohnen nirgends so viele Einkommensmillionäre wie im Landkreis Starnberg. Doch davon haben die Kommunen keinen Vorteil, schließlich ist die Einkommensteuer gedeckelt. Der große Hebel bleibt die Gewerbesteuer - doch kann auch die kaum mithalten bei den stetig steigenden Ausgaben. Die Bayern-SPD fordert gleich eine Milliarde Euro mehr für Wohnraum, um den Wohnungsmarkt zu entlasten.
Nur muss auch der Freistaat knapp kalkulieren. "Ziemlich knausrig" seien CSU und Freie Wähler bei dem Thema, moniert die Tutzinger SPD-Landtagsabgeordnete Christiane Feichtmeier. Klar ist aber auch: Für eine Baumilliarde müssten Programme in anderen Bereichen wieder gestrichen werden. Oder es müssten wieder mehr Schulden aufgenommen werden - dem steht derzeit die Schuldenbremse des Bundes entgegen. Deshalb macht die SPD gerade in der Ampelkoalition Druck, diese auszusetzen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge geht weiter: "Wir bräuchten eine Abschaffung", sagt sie.
Kai Herzog von der Wohngenossenschaft Fünfseenland zeigt sich derweil bescheiden. Er wäre schon zufrieden, wenn die Wohnbauförderungen, die es gibt, auch verlässlich zur Verfügung stünden. "Sonst ist man im planerischen Blindflug unterwegs."
Der Wunschkatalog
Die Wiedereinführung einer Fehlbelegungsabgabe für besserverdienende Menschen in geförderten Wohnungen, ein Verzicht auf Ausgleichsflächen bei geförderten Projekten, ein steuerfreier Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen für Landwirte, einfacherer Wohnbau auf Freiflächen am Ortsrand, die Stärkung der Rechtssicherheit von Bebauungsplänen: Ein Stapel an Forderungen liegen nun bei der SPD-Bundestagsabgeordneten Wegge.
Was ihre Partei innerhalb der Berliner Ampelkoalition durchsetzen kann in den verbliebenen anderthalb Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl, wird sich zeigen. Landrat Stefan Frey (CSU) hält derweil die Erwartungen niedrig. Wenn der Staat wirklich etwas bewegen wolle, müsste er eventuell selber wieder viel Geld in die Hand nehmen und massiv bauen, sagt er, wie in den Nachkriegsjahren. Gegen das eigentliche Problem der immer höheren Bodenpreise werde man wiederum nicht viel tun können. "Das ist unser Wettbewerb, das ist unser freier Markt."
Derweil warten die Rathaus- und Genossenschaftschefs im Landkreis Starnberg auf sinkende Baupreise - und mahnen vor einer Eskalation.
"Wohnraum muss oberste Priorität haben", appelliert Rupert Steigenberger, Bürgermeister von Berg und Vorsitzender des Verband Wohnen. "Wenn die Leute auf der Straße wohnen müssen, haben wir ein Problem", sagt der Pöckinger Bürgermeister Schnitzler. "Sonst ist es sozialer Sprengstoff", sagt Genossenschaftschef Mehr. Der Gilchinger Bürgermeister Walter schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Er sagt: "Arm zu sein in einer reichen Region ist eben schlimmer als arm zu sein in einer armen Region."