Süddeutsche Zeitung

Starnberg:Betreten verboten

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Einst waren die Wälder an der Starnberger Westumfahrung ein Paradies für Radler und Reiter. Doch nun fehlen Querungsmöglichkeiten an der Straße - und fast alle Forstwege sind gesperrt

Von Peter Haacke

Der Wald ist einer der wohl beliebtesten Naherholungsorte: Stressgeplagte Großstädter finden hier beim Spaziergang ebenso Entspannung wie Radfahrer, Jogger und Reiter, Beeren- und Pilzsammler. Doch der Freizeittourismus im Grünen hat auch seine Schattenseiten, gegen den sich die Eigentümer zunehmend wehren. Rund um Gut Mamhofen etwa ist das Gelände nahezu vollständig abgeriegelt. Seit die Starnberger Westumfahrung Ende 2018 eröffnet wurde, rumort's daher im Wald, und der Ton wird immer ruppiger.

16,1 Millionen Euro hat der Bau der Straße verschlungen, die den Durchgangsverkehr in der Kreisstadt spürbar verringern soll - in Kombination mit dem B 2-Tunnel, der 2026 fertiggestellt sein soll. Mehr als 8000 Fahrzeuge sollen dann täglich auf der 5,9 Kilometer langen Westumfahrung fahren. Doch der Ausbau der einst kurvenreichen STA 3 zur "ST 2069 neu" in einem der größten zusammenhängenden Waldgebiete des Landkreises, die eine Verbindung von der Lindauer Autobahn zur B2 schafft, stößt nicht überall auf große Begeisterung. Freizeitreiter und Radfahrer sehen ihre Interessen nicht berücksichtigt. Nur an einer einzigen Stelle ist das gefahrlose Queren der Straße über eine Brücke möglich. Bereits bei der Einweihung der Westumfahrung Ende 2018 hatten Kritiker hoch zu Pferd und Radler gegen diesen Umstand demonstriert. Doch mittlerweile hat der seither schwelende Dauerkonflikt einen neuen Höhepunkt erreicht, wie jüngst auch in der Bürgerfragestunde des Starnberger Stadtrats deutlich wurde.

Evi Liebl ist Freizeitreiterin. Sie kennt sich bestens aus zwischen den Ortsteilen Hanfeld, Hadorf, Hochstadt und Oberbrunn. Mittendrin liegt Mamhofen, doch kein Schild weist auf den Einöd-Hof mit der kleinen Kirche St. Jakob und Philipp hin. Nur Ortskundige finden auf Anhieb die Zufahrt, seit dem Umbau der Straße ist das mittelalterliche Gut hinter einem Wall, der zum Schutz von Fledermäusen errichtet wurde, für Autofahrer quasi unsichtbar. Mit Ausnahme dieser und einer weiteren Zufahrt westlich der Umfahrung wurden aber sämtliche übrigen Wege ins Waldgebiet beidseits der Trasse mit Metallschranken versperrt. Für Radler und Reiter gibt es damit kein Durchkommen mehr, zumal einige Waldwege zusätzlich mit fest verschraubten Holzbarrieren aufgerüstet wurden. Als "Unverschämtheit" bezeichnete Liebl unlängst im Stadtrat das Verhalten des verantwortlichen Forstverwalters von Gut Mamhofen: Der habe sich ein "eingezäuntes Freigehege" unter Missachtung des Artikels 141 der bayerischen Verfassung geschaffen. Dabei verankere der sogenannte "Schwammerlparagraf" den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und etabliert in Absatz 3 ein Jedermannsrecht, das einen grundsätzlich freien Zugang zur bayrischen Natur garantiert. Das Grundrecht auf Genuss der Naturschönheiten und auf Erholung in freier Natur gelte auch im Wald.

Die Eigentümerin von Gut Mamhofen und rund 400 Hektar dazugehöriger Waldfläche, Stephanie Gräfin Bruges-von Pfuel, kennt den Artikel 141 genau. Die 59-jährige Schloss- und Waldbesitzerin war dem Staatlichen Bauamt Weilheim seinerzeit entgegen gekommen beim Bau der Westumfahrung, indem sie einen Bruchteil ihrer Waldflächen abtrat und auch den Beschleunigungsstreifen aus Richtung Gilching ermöglichte. Doch den Bau einer zusätzlichen Unterführung für Reiter und Radler, für den sie weiteren Grund hätte abgeben sollen, lehnte sie 2017 entschieden ab: Sie wolle keinen "Freizeitpark" rund um den Forstbetrieb Mamhofen, erklärte die damalige Bürgermeisterin von Tüßling (2014 - 2020) und CSU-Kreisrätin im Landkreis Altötting. Heute noch verteidigt die Forstwissenschaftlerin und Ehrenrichterin am Sozialgericht ihre Entscheidung. Einen Radweg entlang der mit Leitplanken gesicherten Trasse erachtete sie als nicht erforderlich. "Es gibt genug Wege für die Radler", sagt die Gräfin. Pfuel erkennt das Grundrecht der Naturliebhaber an, leidet aber auch unter den negativen Folgen eines enorm steigenden Freizeitbedürfnisses: Sie hat ihren eigenen Aussagen zufolge genug von Reitern, die jenseits aller Wege unterwegs sind, Mountainbikern, die sich Trails und Sprungschanzen im Wald bauen, Joggern und Trailrunnern, die sogar nachts mit Grubenlampen durch den Forst hetzen und das Wild aufschrecken oder Autofahrern, die zum Spazierengehen sämtliche Beschilderungen ignorieren. Permanentes Ärgernis, so Pfuel, seien auch illegale Müllentsorgungen: Kühlschränke, Fernseher, Altreifen, Matratzen oder Heizkörper landeten schon in ihren Wäldern, ein stetig wiederkehrendes Ärgernis. Die Gräfin sieht ihr Privateigentum in Gefahr und erwartet Verständnis dafür, dass sie ihren Wald "vor unrechtmäßiger Nutzung schützen will". Reiter, Radler und Fußgänger müssten sich lediglich auf den Wegen halten, allein das würde den Konflikt schon entschärfen.

"Die Routen sind ausgeschildert", sagt Pfuel. Doch diese Wege würden nicht immer genutzt. Hinzukomme, dass manche Radfahrer sich nicht an die Beschilderungen hielten. Sie suchten ihre Wege lieber selbst, landeten rund um Mamhofen aber oft genug an einer Schranke. Straßenfahrer hingegen mieden die Schotterwege im Wald, erzählt die Gräfin. Sie seien auf der befahrenen Staatsstraße unterwegs - neben Land-, Forst- und Baumaschinen oft als weiteres unfallträchtiges Ärgernis für den übrigen Kraftfahrzeugverkehr. Auf der Westumfahrung ist Tempo 100 erlaubt.

Zwar stimmte der Kreisverband des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) 2017 zähneknirschend einer Verlegung der Radwanderroute von Hanfeld nach Hadorf zu; eine Brücke über die Westumfahrung wurde gebaut. Der Bau eines Radweges entlang der Umfahrung sei trotz intensiver Verhandlungen "an den betroffenen Grundeigentümern" gescheitert, erklärte anlässlich der Streckenfreigabe seinerzeit Uwe Fritsch, Leiter des Staatlichen Bauamts. Zuvor schon war eine Petition des ADFC für eine Geh- und Radwegquerung bei Mamhofen verpufft. Doch eine Enteignung wegen eines Radweges ist rechtlich nicht zulässig.

Noch größere Probleme als die Radfahren mit der Westumfahrung haben aber offenbar Freizeitreiter der umliegenden Ställe wie Evi Liebl. Abgesehen von der Brücke bei Hadorf könnten sie - zumindest theoretisch - lediglich bei der Zufahrt zu Gut Mamhofen die Westumfahrung mit ihren Tieren queren, wären dann aber gut hundert Meter auf der Staatsstraße unterwegs. Von ehemals rund 40 Zuwegungen von der alten STA 3 in den Wald sind nicht einmal zehn geblieben, und die sind versperrt. Der Versuch einer Straßenüberquerung ist für Reiter angesichts der Verkehrsdichte somit nahezu unmöglich oder würde wegen der Unfallgefahr zumindest ein höchst riskantes Unterfangen darstellen. Die Reiter hatten vor drei Jahren ebenfalls eine Petition zur Aufrechterhaltung der bisherigen Wegeverbindungen eingereicht. Ihr Ruf verhallte ungehört, der Unmut blieb.

Heiner Natschak, Rechtsexperte der Vereinigung der Freizeitreiter und Fahrer (VFD), erachtet die teilweise Sperrung der Mamhofener Waldwege ebenfalls grundsätzlich als problematisch: Reiten und Fahren mit Pferdegespannen auf geeigneten und hinreichend breiten Wegen sei grundsätzlich erlaubt, erklärt er - sofern durch die Benutzung keine Schäden am Weg auftreten. Dieser Umstand sei auch schon mehrfach durch bayerische Verwaltungsgerichte festgestellt worden. "Grundsätzlich", sagt Natschak "darf man überall reiten", aber es gebe auch begründete Ausnahmen. Gleichwohl könne der VFD nicht selbst klagen, sondern seinen Mitgliedern bestenfalls Unterstützung gewähren.

Zur Klage ist es wegen Mamhofen bislang noch nicht gekommen - auch wenn der Ton zwischen Reitern, Radfahrern, Fußgängern und Forstverwalter Dietmar Pinl zunehmend ruppiger zu werden scheint: Besucher, aber auch Kirchgänger, die Mamhofen schon lange kennen, bedauern, dass Gut und Kirche immer mehr abgeschottet werden. Pinl indes moniert die zunehmende Rücksichtslosigkeit von Menschen, die in ihrer Freizeit den Privatforstbetrieb, den er seit mehr als 30 Jahren betreut, als Freizeitgelände missbrauchen. Besonders kurios erscheint es ihm, wenn ihn selbsternannte Naturschützer auf dem Privatgelände beschimpfen, wenn er mit geländegängigem Auto über Waldwege braust, auf denen ansonsten kein öffentlicher Kraftverkehr erlaubt ist.

Eine weitere Gruppe von Besuchern dagegen dürften die Beschränkungen rund um Mamhofen bislang kaum treffen: Die Filialkirche St. Jakob und Philipp - 1401 erstmals urkundlich erwähnt - wird derzeit nicht genutzt, nachdem im Sommer 2019 knapp zwei Quadratmeter Putz von der Decke gefallen sind. Abgesehen von einer Heiligen Messe im Oktober blieb die Kapelle seither gesperrt. Die Pfarreiengemeinschaft Weßling hat ein Wegerecht zum Gotteshaus, allerdings nur bei Gottesdiensten oder Arbeiten an der Kirche. Ansonsten kann die kleine Kapelle - bayerisches Kulturgut - nicht besichtigt werden. Aber auch sonst scheinen Besucher nicht recht willkommen zu sein auf Gut Mamhofen: "Unbefugten Zutritt verboten". Ein Schild am Eingangstor warnt vor dem Hund. Wann wenigstens die Kapelle wieder betreten werden kann, steht derzeit in den Sternen. Doch im Gegensatz zu Reitern und Radlern, für deren Situation es wohl kaum eine Verbesserung geben wird, können Pfarrer Thomas Ruf und seine Glaubensgemeinschaft hoffen - auf Geld und Segen für eine baldige Reparatur.

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SZ vom 15.06.2020
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