Süddeutsche Zeitung

Streit über Bahnhof See:Klage gegen Starnberg: Bürgermeisterin widerspricht Bahn

Eva John zeigt sich völlig überrascht. Sie setzt dennoch darauf, sich mit dem Konzern über die Planungen einigen zu können. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Von Peter Haacke

Im millionenschweren Streit um den Starnberger Seebahnhof hat die Deutsche Bahn am Mittwoch angekündigt, die Stadt verklagen zu wollen. Eine Mediation mit aufschiebender Wirkung zu dem seit mehr als 30 Jahren schwelenden Thema sei nach 15 Sitzungen gescheitert, teilte ein Bahnsprecher mit. Die Angelegenheit dürfte nun also mit großer Wahrscheinlichkeit vor Gericht landen, weil die Stadt aus Sicht der Bahn nicht ihren Verpflichtungen nachgekommen ist.

Bürgermeisterin Eva John zeigte sich in einer ersten Stellungnahme am Donnerstag überrascht und bedauerte die Entscheidung der Bahn. "Über die Gründe zur Beendigung des Verfahrens kann nur spekuliert werden", teilte sie mit. Zumal für 19. Juli und 2. August bereits zwei weitere Verhandlungstermine anberaumt gewesen seien. Nach ihrer Ansicht ist die Verjährung der Ansprüche beider Parteien, die die Bahn als Klagegrund aufführt, durch das vereinbarte Mediationsverfahren im Dezember 2017 gehemmt worden.

Der Stadtrat sei in mehreren Sitzungen über den Fortgang des Mediationsverfahrens informiert worden. Zwar habe die Bahn von der Stadt eine termingebundene Entscheidung erwartet, doch sei der "dazugehörige Tagesordnungspunkt auf Antrag einer Mehrheit im Stadtrat in der Sitzung vom 1. Juli vertagt" worden. Allerdings waren die Unterlagen dem Gremium auch erst nach sechseinhalb Stunden Sitzung um 23.45 Uhr vorgelegt worden, berichten übereinstimmend mehrere Stadträte.

John widersprach zudem der Darstellung der Bahn, dass die Stadt nicht bereit gewesen sei, eine im Mediationsverfahren vereinbarte technische Lösung als Zwischenergebnis zu akzeptieren. Die gemeinsamen Sitzungen seien stets sehr konstruktiv gewesen. Aus ihrer Sicht ist die getane Arbeit "dennoch nicht umsonst, da wir uns auch während eines Gerichtsverfahrens noch einigen können". Sie kündigte eine weitere umfassende Stellungnahme an. Auch nach mehr als 30 Jahren ist damit kein Ende der Debatte absehbar.

Was ist der Bahnvertrag? Der 1987 geschlossene Vertrag zwischen der Stadt Starnberg und der Deutschen Bahn sieht im Wesentlichen eine Rückübereignung nicht benötigter Bahnflächen sowie des historischen Bahnhofgebäudes am See vor. So stehen auf einem Teil des einstigen Bahngeländes hinter der evangelischen Kirche bereits seit Jahren Wohnhäuser, das Bahnhofsgebäude wird kulturell genutzt. Im Gegenzug erstellte die Stadt den 2001 eröffneten Bahnhof-Nord - und müsste am Bahnhof See auch einen Umbau der Gleise sowie eine barrierefreie, neue Bahnstation finanzieren. Ein Großteil des Vertrages ist bereits erfüllt.

Was plante die Stadt am See? Die "Seeanbindung" ist eine visionäre Planung auf Grundlage des Bahnvertrags mit dem Ziel, die historische Trennwirkung der Eisenbahngleisanlagen zwischen Stadt und Starnberger See - ein städtebaulicher Sündenfall - abzumindern. Angesichts zunehmenden Zeitdrucks des auf 30 Jahre befristeten Bahnvertrags hatte das Vorhaben unter Bürgermeister Ferdinand Pfaffinger (2002 bis 2014) in Zusammenarbeit mit der Bahn höchste Priorität: Es gab Arbeitskreise, Workshops, Infoveranstaltungen und ein Online-Portal. Auf etwa 16 000 bis 18 000 Quadratmetern ehemaligen Bahnareals sollten eine barrierefreie Station, Freizeitflächen, Parks, Gastronomie, Hotel und Wohnungen entstehen. Aus einem Architektenwettbewerb gingen 2013 zwei Siegerentwürfe der Büros Morpho-Logic sowie Allmann, Sattler, Wappner hervor, auf deren Basis ein Gesamtentwurf hätte entstehen sollen. Die Kosten für das Gesamtprojekt mit oberirdischer Gleisverlegung wurden mit zirka 60 Millionen Euro beziffert. Weitere Ideen, darunter ein Bahnhof im See oder ein Bahntunnel, wurden als Utopie verworfen.

Warum geht es nicht weiter? Mit Amtsübernahme von Eva John im Frühjahr 2014 war das Projekt kein Thema mehr - und folgte damit dem Credo des Vereins "Schöner zum See", der behauptete, der Bahnvertrag habe keine Relevanz und das Auslaufen der Frist bleibe ohne Folgen. Die Bahn aber machte Druck: Die Stadt sollte erklären, ob sie den Vertrag erfüllen will oder nicht. Eine Stadtratsmehrheit aus WPS, BMS, FDP und BLS interessierte das nicht: Die John unterstützenden Gruppierungen verweigerten im Sommer 2015 - entgegen der Empfehlung der Verwaltung - die Zustimmung zum Entwurf einer "Verkehrlichen Aufgabenstellung". Damit fehlt seither die verbindliche Grundlage zur Umsetzung der geplanten Infrastruktur.

Was will die Deutsche Bahn? Die Bahn besteht auf Einhaltung der vertraglichen Grundlagen. In einem Schreiben vom September 2015 an die Stadt heißt es: "Das Ergebnis der Sitzung begründet bei der Deutschen Bahn AG die Besorgnis, dass die Stadt Starnberg die mit der DB geschlossenen Verträge, die teilweise schon umgesetzt worden sind, nicht erfüllen will. ( . . . ) Im Vertragsverhältnis zu uns ist dies eine kaum mehr verhüllte Erfüllungsverweigerung und auf jeden Fall jetzt schon ein Verstoß gegen die Leistungstreuepflicht." Unmissverständlich heißt es auch, dass die Bahn "auf gegebene Rechte nicht leistungslos verzichten" werde.

Welche Rolle spielt der Stadtrat? Bereits im Oktober 2015 beantragten die Grünen, die Verwaltung soll herausfinden, welche Kosten auf die Stadt zukommen bei Nichterfüllung des Vertrags. Ein Jahr später bekräftigte das Gremium seine Forderung. Doch erst im Frühjahr 2017 beauftragte John ein Gutachten, das sie den Stadträten allerdings lange vorenthält. Dieser Umstand trug in der Vorwoche maßgeblich zur Verurteilung Johns im Diziplinarverfahren am Verwaltungsgericht bei.

Was kostet die "Seeanbindung"? Ein Gutachter bestätigte 2016 mit 105 Millionen Euro Gesamtkosten weitgehend die Richtigkeit jener Zahlen, die der "Arbeitskreis Seeanbindung" von 2012 bis 2014 erarbeitet hatte. Aufgrund allgemeiner Preissteigerungen dürfte die Summe laut Bahn mittlerweile 120 bis 140 Millionen Euro betragen, wobei die Stadt einen Teil davon durch Verkauf der Grundstücke erlösen könnte. Eine Mehrheit im Stadtrat ist der Ansicht, die Stadt kann sich das nicht leisten - zumal seit 2014 rund 30 Millionen Euro Rücklage ausgegeben wurden und auch das Grundstück neben der Schiffswerft nun ein "Bürgerpark" ist.

Was lief schief bei der Mediation? Kurz vor Ablauf der vertraglich vereinbarten Frist zum Jahresende 2017 und einer im Raum stehenden Klage der Bahn einigten sich die Vertragspartner auf eine Mediation. Ziel: eine einvernehmliche Lösung. Nach 15 Sitzungen, über deren Zwischenergebnisse strengste Vertraulichkeit herrschte, erachtet die Bahn die Verhandlungen nun als beendet. Grund: Die Stadtverwaltung hat einen Entwurf vorgelegt, wonach sie sich an den Gesamtkosten nur minimal mit 15 Millionen Euro beteiligen will.

Wie geht es weiter? Das ist derzeit nicht zu beantworten. Sollte es zur Klage kommen, bleiben die Verhältnisse am Bahnhof See auf absehbare Zeit unverändert. Zudem hat die Bahn angekündigt, die gesetzlichen Vorgaben zum Lärmschutz umzusetzen; quer durch die Stadt könnte ein Lärmschutzwall entstehen. Unstrittig ist, dass sich ein Verfahren über mehrere Jahre hinziehen dürfte.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2019
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