Sehkraft:"Nur nicht starr werden"

Sehkraft: "Durch das Starren auf den Bildschirm werden die Augen unbeweglich": Durch das Home-Office hätten viele Menschen ihre Sehkraft teilweise eingebüßt, beobachtet Marianne Wiendl.

"Durch das Starren auf den Bildschirm werden die Augen unbeweglich": Durch das Home-Office hätten viele Menschen ihre Sehkraft teilweise eingebüßt, beobachtet Marianne Wiendl.

(Foto: Nila Thiel)

Sehen wir alle immer schlechter? Ein Gespräch mit der Sehtrainerin Marianne Wiendl über die Volkskrankheit Kurzsichtigkeit - und was dagegen hilft.

Interview von Patrizia Steipe, Starnberg

Marianne Wiendl ist ganzheitliche Sehtrainerin, Kinesiologin und Heilpraktikerin. Seit 25 Jahren bietet die 61-Jährige Sehtrainings an. Vor zehn Jahren gründete sie die Sehakademie Starnberg. Dabei ist es ihr ein Anliegen, dass die Augen ganzheitlich wahrgenommen werden und nicht als einzelnes Organ. In ihrer Augenschule gibt es Sehkurse für Menschen mit Sehstörungen und Augenerkrankungen sowie Ausbildungen zur ganzheitlichen Sehtrainerin. Am Samstag, 9. Juli, veranstaltet Wiendl in der Beringer Akademie in Tutzing von 13 bis 18 Uhr einen "Seh-Erlebnistag" (info@sehakademie.de). Sehtrainer, Optiker und Heilpraktiker zeigen dabei in Vorträgen, Workshops und praktischen Übungen wie fehlsichtige oder erkrankte Augen in einem ganzheitlichen Ansatz angeregt werden können. Außerdem gibt es Infos über Sehtrainings in der Grundschule und Online-Kurse fürs Büro oder das Home-Office.

SZ: Frau Wiendl, wenn ich alte Klassenfotos anschaue, dann hat höchstens ein Kind eine Brille an. Auf den Klassenfotos meiner Kinder sind es schon mehrere und bei den Video-Konferenzen schaut mich kaum ein Kollege ohne Brille an. Sind unsere Augen schlechter geworden?

Marianne Wiendl: Ja, die Kurzsichtigkeit ist auf dem Vormarsch und die Kinder, die eine Brille brauchen, werden immer jünger. Der Grund ist, dass in unserer Gesellschaft der Schwerpunkt auf das fokussierte Sehen - zum Beispiel vor dem Bildschirm - gelegt wird. Durch das Starren auf den Bildschirm werden die Augen unbeweglich. Der Lidschlag geht zurück, die Augen werden trocken, trübe und müde. Es fehlt das natürliche Sehen, bei dem sich das Auge immer wieder auf verschiedene Entfernungen einstellen muss und dadurch beweglich bleibt.

Der Arbeitsalltag bedeutet nun mal bei Vielen, dass sie vor dem Bildschirm sitzen müssen. Bedeutet das dann unweigerlich schlechte Augen?

Das muss nicht sein. Das Auge benötigt Pausen. Das ist wie beim Leistungssport. Da braucht man auch einen Ausgleich, sonst droht die Überlastung. Bei der Bildschirmarbeit sollte man deswegen alle ein bis eineinhalb Stunden eine Augenpause mit Entspannungs- oder Bewegungsübungen einlegen. Durch das Home-Office der vergangenen Jahre bewegen sich viele Menschen jedoch überhaupt nicht mehr. Da muss es jetzt ein Umdenken geben.

Und wie gestaltet man eine Augenpause?

Zum Beispiel mit einer simplen und sehr effektiven Entspannungsübung. Dabei reiben Sie beide Hände und legen sie dann sanft über beide Augen. Schließen Sie die Augen und nehmen Sie für ein paar Minuten die Dunkelheit wahr. Nachher fühlen Sie sich viel wacher. Dann gibt es noch eine einfache Bewegungsübung: Legen Sie sich einen Tennisball neben den Bildschirm. In der Augenpause werfen und fangen Sie den Ball. Durch das Vor und Zurück muss sich das Auge auf unterschiedliche Entfernungen einstellen und bleibt beweglich. Wichtig bei allen Übungen ist eine Leichtigkeit - bloß kein Druck. Deswegen bevorzuge ich auch den Begriff Sehspiele.

Bewegung hilft also für ein besseres Sehen?

Ja. Es gibt sogar Studien, die das belegen. In China wurde Kindern beispielsweise zwei Stunden draußen spielen verordnet mit positiven Folgen für die Sehkraft.

Kann man durch die Augenübungen seine Sehkraft so stärken, dass man keine Brille mehr braucht?

Das hängt von den individuellen Voraussetzungen ab. Die Sehkraft ist schwankend und von der Tagesform beziehungsweise den Tätigkeiten abhängig. Als ich mit Sehtraining begann, erlebte ich, dass ich beim Volleyballtraining die Uhr an der Wand plötzlich lesen konnte. Der Kreislauf war angeregt und das Auge besser durchblutet. Wenn man ohne Druck, sprich ohne den Anspruch, klar sehen zu wollen, die Brille absetzt, kann das durchaus entspannend sein. Spielerisch die Sehkraft schulen, indem man immer wieder zwischen dem Nah- und dem Fernsehen hin und her wechselt, belebt das Auge. Es könnte gut sein, dass die Augen dadurch besser werden. Ob dadurch eine Brille unnötig wird, hängt natürlich von der einzelnen Sehkraft ab. Wichtig ist aber das entspannte Sehen. Wenn man unter Druck steht oder Leistung bringen muss, dann ist die Brille besser, weil die Augen sonst überfordert werden.

Dann kommen Augenübungen auf alle Fälle auf meine To-do-Liste.

Ja, aber sich nur auf die Augen zu beschränken, ist zu wenig. Ein ganzheitlicher Ansatz ist wichtig. Alle menschlichen Organe haben eine Wechselwirkung und sind sozusagen Teamplayer. In der Chinesischen Medizin ist das Auge beispielsweise stark mit der Leber verbunden. Das heißt, dass eine gesunde Leber sich auch auf die Augen auswirkt. Am wichtigsten aber ist Bewegung. Ihnen ist sicher schon einmal ein älterer Mensch mit besonders wachen und strahlenden Augen aufgefallen. Das hat mit Beweglichkeit zu tun. Mein Glaubenssatz lautet: Nur nicht starr werden.

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