Bevölkerungsentwicklung:Alt, älter, Starnberg

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Ein aktueller Demografiebericht sieht voraus, dass bis 2030 die Überalterung im Fünfseenland trotz Zuzugs drastisch zunimmt. In Herrsching und Dießen wird dann fast jeder dritte Bürger 65 Jahre oder älter sein. Nur Gilching rechnet noch mit mehr jungen Familien

Von Armin Greune, Starnberg

Selbst wenn die jährlichen Geburtenzahlen immer weiter hinter den Sterbefällen zurückfallen, wird die Bevölkerung des Fünfseenlands noch wachsen - der starke Zuzug macht das negative Saldo der natürlichen Bevölkerungsentwicklung mehr als wett. Für den Landkreis Starnberg, der Ende 2013 130 900 Einwohner zählte, wird den neuesten Schätzungen des Statistischen Landesamts zufolge bis zum Jahr 2030 eine Zunahme auf 141 800 prognostiziert. Dabei wird sich die Altersstruktur dramatisch nach hinten verschieben. Einem jüngst veröffentlichen, detaillierten Demografiebericht der Bertelsmann Stiftung zufolge wird das mittlere Alter der Bürger im Landkreis Starnberg von 46,5 Jahren im Jahr 2013 bis 2030 auf 49,2 Jahre steigen. Bezugsgröße ist das Medianalter, das von jeweils exakt 50 Prozent der Bevölkerung über- und unterschritten wird - es ist nicht identisch mit dem rechnerischen Durchschnitt. (Eine Familie mit zwei 35-jährigen Eltern und einem fünfjährigen Kind hat ein Durchschnittsalter von 25, das Medianalter aber liegt bei 35.) Im Landkreis Starnberg leben schon jetzt mehr alte Menschen als in den Nachbarlandkreisen: In Landsberg beträgt das mittlere Alter 44,9 Jahre, in Weilheim-Schongau 45,7 Jahre. Das ist auch das Medianalter aller Bundesbürger, im weltweiten Vergleich von 235 Ländern der dritthöchste Wert.

Die Bertelsmann-Prognose umfasst alle Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern. Ihr zufolge wird in Weßling, Gilching und Gauting die Überalterung bis 2030 relativ langsam voranschreiten (siehe Grafik). Besonders alarmierend sind die Zahlen hingegen für Krailling und die größeren Ammerseekommunen: Der Anteil der über 64-Jährigen soll bis 2030 in Herrsching auf 32,3 Prozent anwachsen, es folgen Dießen (32,0%) und Krailling (30,5%). Für Herrsching erwartet die Prognose, dass innerhalb der 17 Jahre das Medianalter um ganze fünf Jahre auf 52,6 Jahre steigen wird. Die Gemeinde ist sich dieses Problems bewusst: "Es ist ja jetzt schon jeder dritte Bürger über 60", sagt Bürgermeister Christian Schiller. Deshalb habe der Gemeinderat "die Grundsatzentscheidung getroffen, den Straßenausbau und alle Zugänge barrierefrei zu gestalten". Die Zusammenarbeit mit dem Senioren- und Behindertenbeirat habe auch dazu geführt, dass im Buslinienverkehr nach Breitbrunn der Einstundentakt eingeführt wurde. Außerdem erhoffe sich Herrsching vom künftigen Gymnasium im Ort den Zuzug junger Familien, der sich positiv auf die Altersstruktur der Gemeinde auswirken würde. Um auch Wohnraum anbieten zu können, entstehen auf der Breitbrunner Klosterwiese 70 Wohnungen, von denen die Gemeinde 30 relativ kostengünstig an Familien vermitteln will. Und Schiller ist stolz darauf, für jedes Kind einen Betreuungsplatz anbieten zu können, wenn nötig schon vor dem zweiten Geburtstag.

In Herrsching sind die großen Alten-Betreuungseinrichtungen für den hohen Seniorenanteil mitverantwortlich: So bieten das Herrschinger Johanniter Haus und die Alternative Altenhilfe Breitbrunn bis zu 138 Plätze für Pflegebedürftige an und im "Andechser Hof" leben 52 Personen im Betreuten Wohnen. Noch mehr gilt dieser "Heim-Effekt" für Dießen, wo allein das Augustinum 380 alte Bewohner zählt und zudem 70 Pflegeplätze bei der Arbeiterwohlfahrt und in Riederau angeboten werden. Im krassen Gegensatz dazu steht Gauting, wo derzeit gar keine stationäre Betreuung für Senioren existiert. Allerdings planen das Rote Kreuz und die Caritas, in den nächsten zwei Jahren insgesamt 200 Plätze für Altenpflege und Betreutes Wohnen in Gauting zu bauen.

Die Demografen rechnen laut Bertelsmann-Stiftung damit, dass im Landkreis Starnberg die Geburtenrate von 7,9 pro 1000 Einwohner (2013) bis zum Jahr 2030 auf 7,5 zurückgeht. Gleichzeitig werden die Sterbefälle von 9,5 auf 11,6 Promille steigen. Dieser sogenannte natürliche Saldo verändert sich von -1,6 auf -4,1 Promille - doch der Wanderungssaldo von +5,9 Promille im Jahr 2030 kehrt die Entwicklung um. 2013 wurden 80 Zuzüge und 70,7 Fortzüge pro 1000 Einwohner registriert, das Wanderungssaldo betrug also +9,3 Promille. Die Grafik bestätigt diesen Trend: Ihr ist zu entnehmen, dass sich das Bevölkerungswachstum im Vergleich zum Zeitraum 1987 bis 2013 verlangsamen wird. Wenngleich alle Kommunen Zunahmen verzeichneten und wohl auch verzeichnen werden, sind die Entwicklungen in den einzelnen Gemeinden sehr unterschiedlich. Das rasanteste Wachstum hat Gilching sowohl hinter wie auch vor sich. "Es verwundert uns auch, dass so viele Familie kommen und wir einen Kinderbetreuungsstandort nach dem anderen bauen müssen", sagt Bürgermeister Manfred Walter. Drei S-Bahn-Halts, zwei Autobahnanschlüsse: Die guten Verbindungen nach München und - für das Fünfseenland und den Speckgürtel - niedrigen Mieten begründen Gilchings Attraktivität.

Und es "gab in der Waldkolonie Gilchings viele geräumige Grundstücke", erläutert Walter. Nach und nach wurden sie von Erben erst verwertet und dann verdichtet oder umgekehrt. Nach Paragraf 34 der Bauordnung, der einen potenziellen Neubau am Bestand auf den Nachbargrundstücken misst, verschwanden so fast alle "Baulücken". Die größte freilich steht noch offen: Die Gilchinger Glatze ist die letzte Verdichtungszone im Ort, sie wird ihm noch einmal 1500 Neubürger bescheren. Dann soll sich das Bevölkerungswachstum normalisieren: "Der Gemeinde ist seit längerem extrem zurückhaltend, wenn es um die Ausweisung von neuem Bauland geht", sagt Walter: "Wir haben ja jetzt schon große infrastrukturelle Probleme". Aber immerhin bleibe Gilching erst einmal von der Überalterung verschont: "Es ist ja auch schön, wenn man auf der Straße soviel junge Familien und buntes Leben sieht", meint der Bürgermeister.

Die wenigstens Neubürger gab es hingegen bislang in Pöcking. "Das liegt daran, dass wir in den vergangenen 20 Jahren kein wirklich großes Baugebiet entwickelt haben", sagt Bürgermeister Rainer Schnitzler, "die Nachverdichtungen fingen nur den gestiegenen Wohnraumbedarf pro Person auf." Inzwischen sind freilich neue Domizile entstanden, die in den Statistiken noch nicht erfasst sind: Im Mai wurden in der Ortsmitte 39 altengerechten Wohnungen und zehn Wohneinheiten im Mehrgenerationenhaus eingeweiht, deren moderater Mietzins am Einkommen der Bewohner orientiert ist. Nebenan sollen 20 Parzellen im Einheimischenmodell vergeben werden, es liegen bereits 202 Bewerbungen vor. "Wir tun, was wir können, um junge Familien gezielt zu fördern", sagt Schnitzler. Für die Zukunft seien im Flächennutzungsplan mehrere Hektar zwischen Birkensiedlung und Lindenberg als Bauerwartungsland ausgewiesen - auch dies hat die Prognose der Bertelsmann-Stiftung nicht berücksichtigt.

Die Studie beruht auf einer rein statistischen Hochrechnung der zurückliegenden Bevölkerungsbewegungen wie Zu- und Fortzug, Geburten und Sterbefälle. Einflussfaktoren wie verfügbares Bauland in den Kommunen wurden nicht erhoben. Zumindest denkbar wäre auch eine Art Selbstregulation: Mit dem parallel zum Bevölkerungswachstum weiter steigenden Flächenverbrauch verliert das Fünfseenland nicht nur wertvolle Landschafts- und Artenvielfalt, sondern auch an Attraktivität. Neben der Nähe zu München ist allen Umfragen zufolge aber gerade der Naturreichtum ein Hauptmotiv für den Zuzug in den Landkreisen Starnberg, Landsberg am Lech und Weilheim-Schongau. Ist aber erst mal alles zugebaut, lässt dieser Reiz rasch nach.

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