Starnberg:Alpträume

Walter Tafelmaier und Bodo Rott haben die Schalterhalle des historischen Starnberger Bahnhofs in eine Geisterbahn verwandelt. Im Rahmen der Reihe "nah-fern" zeigen sie düstere Werke

Von Katja Sebald, Starnberg

Eine ganzkörpertätowierte, kindsgroße Puppe oder eine scheinbar völlig aus dem Ruder gelaufene Kindergartenbastelgruppe, Szenen wie aus dem Horrorfilm und Spiele, in denen Blut fließt. Düstere schwarze Bilder, gesichtslose oder gleich völlig kopflose Figuren, verlorene Seelchen und kleine Handschuhmonster. Die ehemalige Schalterhalle des historischen Bahnhofs in Starnberg hat sich pünktlich zur Wiesn sozusagen in die Vorhölle einer Geisterbahn verwandelt: Unter dem Titel "Verdichtete Zeit" stellen Walter Tafelmaier und Bodo Rott derzeit im Rahmen der Ausstellungsreihe "Nah - Fern" aus.

Starnberg Seebahnhof, Ausstellung nah & fern

Die ehemaligen Schalterhalle des Bahnhofs in Starnberg wirkt durch die Bilder der Ausstellung "Verdichtete Zeit" wie die Vorhölle einer Geisterbahn.

(Foto: Georgine Treybal)

Der Münchner Künstler Walter Tafelmaier, Jahrgang 1935, hat sich überreden lassen, gleich eine ganze Wand aus seinem Atelier mitzubringen: Bilder und Objekte aus fünfzig Jahren und verschiedene künstlerische Phasen "verdichten" sich in einer für ihn persönlich wichtigen Anordnung direkt über seinem Arbeitstisch. Nur widerwillig hat er sie in den Ausstellungskontext verpflanzt, jetzt aber gestatten sie - ganz anders als seine höchst sorgfältig gestalteten Überblickskataloge - einen besonders eindringlichen, beinahe voyeuristischen Blick in seinen schöpferischen Kosmos. Tafelmaier arbeitet nicht für einen möglichen Betrachter und schon gar nicht für den Kunstmarkt. Seine oftmals winzigen, aber höchst sensiblen Zeichnungen sind frei von jeglicher Pose und zeugen von der Intensität und Konzentration, in der sie entstehen. Die bevorzugte "Farbe" des Künstlers ist Asphaltlack, den er beim Radieren auch fürs Malen entdeckt hat. Mit dieser bräunlich-dunklen, fettglänzenden oder auch zu einer staubig matten Konsistenz bearbeiteten Nicht-Farbe überdeckt er seinen Malgrund, aber auch fremde Bilder, bevor er ihnen dann seine Zeichnungen zufügt. Lässt man sich auf seine zunächst düster und befremdlich anmutenden Bildwelten ein, erst dann offenbaren sie die unendlich zarte Poesie, mit der sie die existenziellen Themen des Lebens behandeln.

Starnberg Seebahnhof, Ausstellung nah & fern

Stellen in Starnberg aus (v. re.): Walter Tafelmaier und Bodo Rott.

(Foto: Georgine Treybal)

Ganz anders die Arbeiten des 1971 geborenen Malers Bodo Rott, der seit seinem Studium an der Hochschule der Künste in Berlin lebt. Der schwarze Bildgrund ist das einzige, was die beiden hier nebeneinander gestellten künstlerischen Positionen verbindet. Rott setzt sein virtuoses malerisches Können ein, um mit Realitäten und scheinbaren Realitäten zu jonglieren. Alles in diesen Bildern ist auf seine späteren Betrachter ausgerichtet, die - je nachdem, wie zart besaitet sie sind - verwirrt oder bespaßt, verstört oder verängstigt werden. Den Betrachtern seiner Bilder verdankt Rott auch den Namen für ihre Protagonisten: Weil die einen sie für Kinder halten und die anderen nicht, hat er sie "Nichtkinderkinder" genannt. Ausgehend von seinen eigenen Erinnerungen und Erlebnissen, aber auch von alten Fotografien und vor allem von einer scheinbar schier überbordenden Fantasie lässt er sie alleine oder in Gruppen auf schwarzen Bildflächen agieren, die trotz des Verzichts auf jegliche Tiefe nicht zufällig an die von Schiefertafeln dominierten Räume denken lassen, in denen sich Kindheiten abspielen. Vielleicht sind es aber auch die Alpträume, in denen sich Kinderängste manifestieren. Jedenfalls tauchen hinter diesen "Nichtkinderkindern", die gar nicht fröhlich mit ihren Spielsachen agieren und sich gegenseitig massakrieren, als bedrohliche riesenhafte graubraune Schatten die Erwachsenen auf. Diese furchtbare und Furcht einflößende Welt dürfen sich die "Nichtkinderkinder" wenigstens mit bunten Kreidestrichen, imaginären Spielgefährten oder ausgedachten Blumenwiesen, schön malen.

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