Drohendes Aus für Sprachkitas:"Wir wollen Kinder auffangen, die noch kein Fall für die Logopädie sind"

Drohendes Aus für Sprachkitas: Bianca Hofmann betreut als Fachkraft mehrere Sprachkitas.

Bianca Hofmann betreut als Fachkraft mehrere Sprachkitas.

(Foto: Praxis-Kita)

Sprache und Kommunikation sind für die frühkindliche Erziehung enorm wichtig. In sogenannten Sprachkitas ergänzt eine Fachkraft das Team. Doch das Förderprogramm soll nun auslaufen.

Interview von Tim Graser, Gauting

In der frühkindlichen Erziehung sind Sprache und Kommunikation enorm wichtig. Vor elf Jahren hat die Bundesregierung deswegen ein Förderprogramm ins Leben gerufen, mit dem Fachkräfte bezahlt wurden, um sprachlichen Defiziten schon in der Kita zu begegnen. Bianca Hofmann aus Grünwald ist eine dieser Fachkräfte und betreut unter anderem Kitas in Gauting und Planegg.

SZ: Frau Hofmann, was ist eigentlich eine Sprachkita?

Bianca Hofmann: Damit ist eine Kita gemeint, die sich zum Ziel gesetzt hat, mit Unterstützung des Bundesprogramms "Sprachkitas" die pädagogische Qualität stetig zu verbessern und sich pädagogisch weiter zu entwickeln, vor allem in den Bereichen sprachliche Bildung, Inklusion und Zusammenarbeit mit den Familien.

Es geht also nicht darum, Kleinkindern eine Fremdsprache beizubringen?

Nein, darum geht es nicht. Wir wissen, dass jedes vierte Kind einen sprachlichen Förderbedarf hat - ganz egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Diese Zahl wird sich aufgrund der Pandemie-Kollateralschäden in den kommenden Jahren noch erhöhen. Es geht deshalb darum, das gesamte Kitateam durch eine zusätzliche Sprachfachkraft zu qualifizieren, die das Team immer wieder schult und mit neuesten wissenschaftlichen Inputs versorgt. Das ist der Unterschied zur herkömmlichen Kita.

Warum ist das so wichtig für die frühkindliche Erziehung?

Gerade im Bereich der Frühpädagogik hat sich sehr viel verändert in den vergangenen Jahren. Dinge, die früher als richtig galten, gelten heute als falsch. Zum Beispiel, Kinder zum Nachsprechen aufzufordern. Das war früher gang und gäbe. Heute wissen wir, dass es gegenteilig wirkt, weil sich die Kinder vorgeführt fühlen. Wir wollen die Kinder auffangen, die noch kein Fall für die Logopädie sind. Auch der Wortschatz ist in den vergangenen Jahren immer kleiner und undifferenzierter geworden. Ein Drittel aller Eltern liest ihren Kindern nicht mehr vor, weil sie vielleicht keine Zeit mehr haben. Da haben wir als Kitas eine wichtige Ergänzungsfunktion.

Warum läuft nun die Finanzierung dieser Fachkräfte aus?

Ja, unsere Bundesregierung möchte das Projekt nicht weiter fortführen. Gerade jetzt wäre es nötiger denn je. Der Zustrom von Kindern aus der Ukraine und die Versäumnisse in der Pandemie verdeutlichen das. Im Koalitionsvertrag steht, dass das Projekt verstetigt werden und weiter entwickelt werden soll. Dann kam plötzlich das Aus. Nach den Gründen müssen Sie unseren Finanzminister fragen.

Was ist geplant, um die Finanzierung zu retten?

Da lief ja bereits die große Petition "Sprachkitas retten!". Das war mit 275 000 Unterschriften die erfolgreichste Petition Deutschlands im Sozialbereich. Am 19. Oktober gibt es einen bundesweiten Aktionstag in allen großen Städten wie Berlin, Stuttgart oder Hamburg. In München gibt es eine Kundgebung vor dem Sozialministerium. Da werden alle Fachkräfte nochmal aufstehen und sagen: "So geht es nicht, wir brauchen die Sprachkitas!" Es läuft also auf verschiedenen Ebenen etwas, um die Sprachkitas zu retten.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusGewalt gegen Frauen
:"Die meisten Täter stammen aus dem engeren Umfeld"

Wie kann man Frauen besser vor sexuellen Übergriffen schützen? Ein Gespräch mit Ursel Wrede und Eva Bensmann vom Verein "Frauen helfen Frauen Starnberg" über fehlende Straßenbeleuchtung und die Frage, wo Prävention anfängt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: