Sport:Mit Einrädern aufs Treppchen

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Die Gilchinger Schwestern Katalin und Melanie Reich fahren bei Rennen regelmäßig auf die ersten Plätze vor

Von Kilian Pinl, Gilching

"Vorsicht! Gut möglich, dass uns gleich etwas entgegengefahren kommt." Melanie Reich macht einen Scherz, als sie das Garagentor mit beherztem Stoß zur Seite schiebt und den Blick auf ein Meer aus Katzenaugen freigibt, die aus den schattigen Winkeln des Raumes hervorblinken. Sobald sich di Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkennt man auch den Rest desDurcheinanders aus Speichen, Felgen und Sätteln. Kann es sein, dass die Reichs etwas mehr radeln als gewöhnliche Familien? Klar.

Die 22-jährige Melanie und ihre 19 Jahre alte Schwester Katalin verbringen von allen Familienmitgliedern mit Abstand die meiste Zeit im Sattel. Aber anders als ihre Eltern tun sie das nicht nur auf zwei Rädern, sondern auch regelmäßig auf einem. Und die einzelnen Räder, die da von der Decke hängen, sind gar keine Ersatzteile, sondern die Einräder der Geschwister. Von der "Rennhexe" mit 24-Zoll-Reifen über ihre kleineren Freestyleräder, auf denen sie Tricks vollführen, bis hin zum Muni - der Offroadvariante mit grobem Profil und Scheibenbremse - haben sie so ziemlich für jeden Fahrstil und Verwendungszweck das richtige Gerät. Um längere Strecken zu bewältigen, satteln die Schwestern auf ihre Touringräder um, die mit 29-Zoll-Reifen eine laufruhigere Fahrt ermöglichen.

Im Wettbewerb kamen diese zuletzt über die Marathondistanz bei der deutschen Meisterschaft in Görlitz zum Einsatz, wo Katalin den ersten Platz belegte und Melanie kurz darauf als Zweite ins Ziel kam. Auf dem etwa zehneinhalb Kilometer langen Rundkurs, der über die deutsch-polnische Grenze mäanderte, konnten sie in vier Runden mehr als 20 Minuten Vorsprung auf den dritten Platz herausfahren. Der Erfolg kommt nicht von ungefähr, denn die beiden Schwestern feilen schon seit 13 Jahren an ihrer Fahrtechnik.

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(Foto: privat)

Zum Höhepunkt ihrer Paarkür "Fire and Ice" teilten sich die Reich Schwestern zeitweise sogar ein Rad,...

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(Foto: privat)

aber bei Disziplinen, wie etwa Downhill sind sie für gewöhnlich solo unterwegs.

Damals hatte alles mit einem Einrad begonnen, das ihnen ihre Großeltern zu Ostern schenkten. Nach ersten Fahrversuchen und Tricks, die ihnen in Auffahrt und Garten ihres Elternhauses glückten, traten die beiden 2007 der neugegründeten Einradabteilung des TSV Gilching-Argelsried bei. Seither hat sich viel getan im Leben der jungen Frauen: Der Fuhrpark wurde von einem auf neun Räder aufgestockt, beide haben ihr Abitur und seit kurzem auch ihre Berufsausbildung abgeschlossen - Melanie zur Physiotherapeutin und Katalin zur biologisch-technischen Assistentin. Und als Vertreter der deutschen Einradfahrer waren sie schon bei Weltmeisterschaften in Spanien, Italien und Südkorea. Ihren größten gemeinsamen Erfolg feierten die Schwestern im vergangen Jahr, als sie bei der Weltmeisterschaft in Seoul den Vizeweltmeistertitel in der 100-Kilometer-Staffel gewannen. Sie mussten sich nur einer Jungenstaffel geschlagen geben, die wegen der geringen Teilnehmerzahl in den Staffelwettbewerben momentan noch in der selben Wertung startet.

"Es ist vielleicht ein hoch gestecktes Ziel, aber nächstes Jahr bei der Weltmeisterschaft in Grenoble wollen wir die Jungs schlagen", formuliert Melanie ihre sportlichen Ziele. Dazu trainieren die Zwei bei jeder Gelegenheit, fahren im Alltag fast nur mit dem Fahrrad, um ihre Grundkondition zu steigern, und machen gelegentlich auch längere Touren mit dem Einrad, "die auch schon mal 30 Kilometer lang sein können", erzählt Katalin. Da Melanie seit Anfang Juli als Physiotherapeutin in einer Gilchinger Praxis und in der Wolfart-Klinik in Gräfelfing arbeitet und Katalin bald nach Weihenstephan ziehen wird, um Biotechnik zu studieren, werden sich die Schwestern künftig wohl hauptsächlich auf ihr Training in den Renndisziplinen konzentrieren. "Da kann man auch einfach mal trainieren, wenn es zeitlich gerade passt", sagt Katalin. Aber wenn es sich einrichten lässt, möchten die Reichs weiter bei ihrem Heimatverein in Gilching aktiv bleiben, wo Melanie momentan als sportliche Leiterin fürs Artistiktraining der Erwachsenen zuständig ist.

Mit etwa 100 aktiven Fahrern ist ihr Verein einer der größten in ganz Bayern und hat in der Vergangenheit auch schon mehrere Landesmeisterschaften ausgerichtet. Auch die jüngste Bayerische Meisterschaft fand Anfang Mai in Gilching statt, wobei die Hausherren sowohl die Gold- als auch die Silbermedaille in der Großgruppenwertung gewannen. Das rege Interesse am Einradfahren im Landkreis erklärt sich Melanie mit der Vielseitigkeit ihres Sports, denn "anders als bei Sportarten wie Handball, bei denen es ausschließlich darum geht, ein Tor zu erzielen, kann man auf dem Einrad immer wieder etwas Neues ausprobieren." Bevor man sich jedoch daran wagt, Berge auf dem Einrad zu erklimmen oder so skurrile Kombinationen wie etwa Einradhockey oder -basketball ausprobiert, müsse man als Neuling "drei bis vier Wochen einplanen, bis man frei fahren kann."

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(Foto: privat)

Egal ob in der Halle, auf der Tartanbahn,...

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(Foto: privat)

... oder auf Holzböden - die Schwestern geben auf ihren Einrädern in jedem Terrain eine gute Figur ab.

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(Foto: privat)

Melanie (links) und Katalin (Mitte) Reich nach ihrem Erfolg beim Görlitz-Marathon.

Zuerst wird zwischen zwei Kästen geübt, an denen man sich festhalten kann, sobald das gut klappt, müsse man einfach mutig sein und den einen oder anderen Sturz in Kauf nehmen, denn ähnlich wie beim Fahrradfahren seien Stürze am Anfang unvermeidbar. Wer sich so selbstverständlich wie Katalin und Melanie auf einem Rad fortbewegen will, braucht aber eine Menge Geduld. Ein Bild von deren Artistik kann man sich Anfang Dezember bei der Christmas-Show in der Rathausturnhalle in Gilching machen. Dort führen dann alle Gruppen des Vereins noch einmal ihre Küren vor, die sie im vergangenen Jahr auf Wettbewerben gezeigt haben. Außerdem freue man sich über "jeden der zu uns ins Training kommt um das Einradfahren zu lernen", so Reich.

Weitere Infos unter www.einrad.tsv-ga.de.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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