Händeschütteln gehört zum Job, und Michael Kießling, der Spitzenkandidat der CSU für den Wahlkreis 223, hat in den vergangenen Wochen verdammt viele Hände geschüttelt. Der ehemalige Bürgermeister von Denklingen ist der Platzhirsch im Rennen um das mögliche Direktmandat im Bundestag, der Titelverteidiger, der sich um seine dritte Legislaturperiode bewirbt. Wenige Tage vor der Entscheidung zur vorgezogenen Wahl des 21. Bundestags am 23. Februar geht die Schlacht um die Gunst der Wählerinnen und Wähler ihrem Höhepunkt entgegen. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Kandidaten buhlen um jede Stimme.
Denn ein gutes Ergebnis im Wahlkreis bedeutet seit der Wahlrechtsreform 2023 zur Verkleinerung des Bundestags auf 630 Sitze nicht zwingend auch einen Sitz im Parlament. Allein die Zweitstimme entscheidet über die Anzahl der Bundestagssitze einer Partei. Die bislang 45 Mitglieder zählende CSU-Landesgruppe in Berlin läuft Gefahr, dass ihre Mannschaft kleiner wird – das weiß auch Kießling. Doch unter welchen Vorzeichen wird eine neue Regierung in diesen bewegten Zeiten nach dem Scheitern der Ampel stehen? Mit wem müsste oder könnte die Union koalieren, wenn es erwartungsgemäß nicht zur absoluten Mehrheit reicht? Welche Auswirkungen haben die Debatten um Asyl, Migration, Nachzugsregelung oder AfD-Verbot auf das Ergebnis der CSU? Und wie verhält es sich mit dem vermeintlich „geöffneten Tor zur Hölle“ oder der Brandmauer zu den Rechten?
Diese und ähnliche Fragen hat Kießling schon mehrfach versucht zu beantworten, und er wird es noch weiterhin tun müssen. Sein Terminkalender ist prallvoll, der bestens vernetzte CSU-Kandidat ist ein begehrter Gast bei Orts- und Kreisverbänden oder Podiumsveranstaltungen. An einem trüben Vormittag beehrt er die Starnberger Seniorenunion im Münchner Yacht-Club: Wahlkampf mit Seeblick. Der Termin war schon im Oktober vereinbart worden, Wochen vor dem Ampel-Aus. Draußen über dem winterlichen See hängt eine nebelige Suppe, drinnen sitzen knapp 40 Seniorinnen und Senioren in erwartungsvoller Vorfreude.
Im Wahlkreis 223 – bestehend aus den Landkreisen Landsberg am Lech, Starnberg und der Stadt Germering – ist Kießling, den einige der Senioren vertraut mit „Michi“ ansprechen, schon seit Juli 2024 gesetzt: In Gilching hatten 134 der 135 Delegierten den 51-Jährigen zum Kandidaten gekürt, ein Traumergebnis. Da war von Ampelbruch noch keine Rede, wenngleich CDU/CSU schon seit Jahresbeginn Neuwahlen gefordert hatten – auch Kießling. Die eindeutige Botschaft aus Gilching: Michael Kießling soll erneut in den Bundestag! Und er gilt – wie schon im September 2021 – auch diesmal wieder als Favorit. Damals ging er in seinem Revier mit einem Feuerwehr-Oldtimer auf Stimmenfang und eroberte am Ende 38,2 Prozent der Erststimmen. SPD-Kollegin Carmen Wegge, mit der er sich kollegial duzt, rutschte dank der Zweitstimmen über die Landesliste ins Parlament.
Dass Kießling insbesondere den Starnbergern seine politische Karriere in Berlin zu verdanken hat, ist kein Geheimnis. Im Oktober 2016 hatte er sich bei der Nominierung des CSU-Direktkandidaten gegen Stephan Ebner aus Gauting durchgesetzt: Die Hälfte der Starnberger Gesandten verweigerte dem damaligen Landesgeschäftsführer der Jungen Union aus eigenen Reihen ihre Zustimmung, ein Eklat. Am Ende votierten 103 der 160 CSU-Delegierten aus dem Wahlkreis für Kießling. Dabei galt der Bürgermeister aus Denklingen, der 1988 im Todesjahr von Franz Josef Strauß in die Junge Union eingetreten war und in Weilheim einst die gleiche Schule besuchte wie Alexander Dobrindt, als politischer Neuling.
Getöse ist nicht seins, er ist der ruhige Typ
Vor der betagten Starnberger Zuhörerschaft orientiert sich Kießling ohne Skript oder Spickzettel am Programm seiner Partei: Migration, Wirtschaft, innere Sicherheit, Energie, sozialer Zusammenhalt, Deutschland wieder in Ordnung bringen und „dass sich Leistung wieder lohnen muss“. Kießling, ein hochgewachsener Kerl, ist ohne Berührungsängste und – im wahrsten Wortsinn – mit Markus Söder (1,94 Meter) oder Friedrich Merz (1,98 m) auf Augenhöhe. Er spricht seniorengerecht mit ruhiger, lauter Stimme. Doch Attacken gegen die Konkurrenz und das sonst übliche Getöse – anders als Söder, Merz oder Dobrindt – erspart er den Zuhörern. „Wir wissen, dass wir die demokratische Mitte suchen müssen“, sagt Kießling. Und auch, dass Deutschland unter Fachkräftemangel leidet und auf Zuzug dringend angewiesen ist.
Das klingt unaufgeregt moderat. Und dennoch hat auch der loyale Kießling im Bundestag für den umstrittenen Fünf-Punkte-Plan der CDU gestimmt, als es um Grenzkontrollen, Einreiseverbote und Abschiebungen ging. Gegen eines aber verwahrt er sich mit aller Entschiedenheit: Dass man nun versuche, die Union nach den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg sowie den Debatten um Migration und Zuzug in die rechtsextreme Ecke zu schieben, hält er schlicht für „Irrsinn“ und beteuert die strikte Abgrenzung zur AfD: keine Absprachen, keine Verhandlungen.

Eine Mitarbeiterin aus Kießlings Team hat Werbematerial, Notizblöcke und Kugelschreiber verteilt. Einer der Flyer wirbt mit seinem Konterfei, „Michael Kießling - Ihre Stimme im Deutschen Bundestag“ steht darunter. Mit ganzer Kraft, so heißt es, möchte Kießling sich „für unsere Region und Ihre Anliegen“ einsetzen. Weiter hinten im Prospekt findet sich ein paar schöne Fotos: Kießling mit Merz, Kießling auf dem Bau, Kießling mit Waldkönigin, Bauern oder Senioren, Kießling mit Zicklein.
Michael Hannes Kießling, geboren am 29. Mai 1973 in Rüti (Schweiz), ist aufgewachsen in Marnbach bei Weilheim. Wohnhaft in Landsberg am Lech und in Berlin, zwei erwachsene Töchter. Nach dem Abitur Zeitsoldat, Ausbildung zum Krankenpflegehelfer, Studium des Bauingenieurwesens, leitende Position bei einem Software-Unternehmen. Verheiratet in zweiter Ehe mit der russischen Berufsmusikerin Anna Wierer. Ehrenamtliche Engagements bei der Bergwacht und im Kreistag, Vorsitzender des CSU-Kreisverbands Landsberg und des BLSV-Sportkreises, Oberstleutnant der Reserve, Vorstandsmitglied im BRK-Kreisverband Starnberg – da kommt einiges zusammen.

In Berlin ist er Mitglied der Ausschüsse „Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen“ sowie „Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit“. Er arbeitet mit im Arbeitskreis Kommunalpolitik und im Parlamentskreis Mittelstand, zuweilen kickt er fraktionsübergreifend mit im FC Bundestag. Kießling hat einen Eintrag in Wikipedia, betreibt eine Website in eigener Sache und ist präsent bei Facebook, Instagram und LinkedIn. Die PR macht viel Arbeit, vier Mitarbeitende unterstützen ihn dabei. Nur die Sache mit „Kießling on Air“, eine Art digitale Diskussionsveranstaltung, hat er eingestellt. Und bei „Abgeordnetenwatch“ – eine Internetplattform, die beobachtet, welcher Abgeordnete wie abstimmt und wie viele Anfragen er beantwortet – ist er durch den Wahlkampf seit Jahresbeginn etwas ins Hintertreffen geraten. Bislang erzielte er hier nur Bestnoten. Offen sind derzeit Fragen wie „Würden Sie dem Bau eines Atomkraftwerks und einem atomaren Endlager in Denklingen zustimmen?“ oder „Warum haben Sie einem Antrag zusammen mit der AfD zugestimmt?“. Eine Carmen W. will wissen: „Unterstützen Sie den Kurs von Friedrich Merz?“
In Starnberg hat Kießling auf alle Fragen der Senioren irgendeine Antwort, auch wenn er eigentlich Spezialist für Bauen und Wohnen ist. Wenn er etwas begründet, sagt er oft „von dem her“ – er kommt halt aus Bayern. Der Fragenkatalog der älteren Damen und Herren indes ist weit gefächert: Renten- und Pflegeversicherung, die Krankenhausstrukturreform, der Länderfinanzausgleich – und Migration. Verhaltenen Applaus erntet Kießling für die ebenso viel- wie nichtssagende Aussage: „Die CDU ist nicht mehr die Partei wie unter Merkel“.
Als die Sonne gegen Mittag den Nebel über dem Starnberger See verdrängt hat, muss auch Kießling weiter. Er ist optimistisch, sagt er – im Hinblick auf seine Wiederwahl und dass sich in Deutschland „etwas ändert“. Allein an diesem Tag hat er noch zwei weitere Veranstaltungen in Germering und Pöcking, in diversen Podiumsdiskussionen und Wahltalks trifft er auch auf seine Konkurrenten im Wahlkreis. Bis Sonntag, 23. Februar, wird Kießling noch sehr viele Hände schütteln.