Angelika Killi ist schon seit mehr als 45 Jahre als Hebamme tätig. Bevor sie mit ihrer Familie nach Dießen zog, betreute sie Schwangere in Frankreich, der Schweiz, Brasilien und Berlin, wo sie das erste Geburtshaus Europas mitbegründet hat. Als Familienhebamme des SOS-Kinderdorfes Ammersee-Lech arbeitet Killi nun schon seit zehneinhalb Jahren.
Familienhebammen kümmern sich im Allgemeinen um die medizinische, aber auch psycho-soziale Betreuung von Mutter und Kind in der Zeit der Schwangerschaft und im Wochenbett. Ihre Arbeit geht jedoch über die normale Hebammentätigkeit hinaus: In der Regel begleitet Angelika Killi die Familien ein Jahr lang. In Ausnahmefällen können die Neugeborenen sogar bis zum Alter von drei Jahren begleitet werden. Insgesamt hat die 63-Jährige schon 56 Familien begleitet und steht mit vielen von ihnen weiterhin in Kontakt. Das sei ihr sehr wichtig, betont sie: "Einer meiner ersten Fälle war eine sehr junge Mutter, mit deren Tochter ich bis heute Kontakt habe", berichtet Killi. "Ich werde immer zum Geburtstag eingeladen, das Mädchen ist heute 16 Jahre alt."

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Das Besondere an Angelika Killis Tätigkeit: Sie richtet den Fokus auf das gesamte Familienkonstrukt, nicht nur auf Mutter und Neugeborenes. Ihr Klientel sind insbesondere Familien, die sich in belastenden Lebenssituationen befinden und eine intensivere Betreuung benötigen. In den letzten fünf Jahren betreute sie hauptsächlich geflüchtete Familien. Die Familienhebamme hat aber auch sehr junge, psychisch erkrankte oder drogenabhängige Mütter durch die ersten Monate der Mutterschaft begleitet.
"Ich habe immer schon Familien über meine Hebammentätigkeit unterstützt", sagt Killi. Ein einjähriger Aufenthalt in Brasilien habe sie gut vorbereitet auf die Arbeit als Familienhebamme, ihre Tätigkeit war inhaltlich ähnlich: Entwicklungshilfe. "Es hat keinen Sinn, den Leuten alles abzunehmen: Hilfe zur Selbsthilfe ist das Stichwort", erklärt Killi. Hierzulande begreift sie sich vor allem als Verbindungsperson zwischen Mutter und dem deutschen Gesundheitssystem - das ist den meisten Familien nämlich nicht bekannt.

"Meine zu betreuenden Familien kennen ein staatliches Sozial- und Gesundheitssystem wie das deutsche nicht," erläutert Killi. "Sie kommen aus Ländern, in denen entweder gar kein Sozialstaat existiert oder in denen der Staat seine Bürgerinnen und Bürger sogar unterdrückt und ausbeutet." Der Beruf der Hebamme würde bei einigen der geflüchteten Familien außerdem mit der Beschneidung von Mädchen assoziiert werden, so Killi. Deshalb falle es vielen anfangs schwer, sich der Familienhebamme anzuvertrauen: Es brauche Zeit, um zu verstehen, dass man in Sicherheit ist und Killi wirklich helfen will.
Die Familienhebamme hilft bei der Organisation der Vorsorgeuntersuchungen, Früherkennungsuntersuchungen und Impfungen der Kinder nach der Geburt und erklärt den Familien anhand des Mutterpasses und des U-Untersuchungsheftes, welche Termine wann und aus welchem Grund erfolgen. "Ich bin sehr gut verknüpft, ich kenne die Verantwortlichen in Kindergärten, beim Frauen-, und Kinderarzt", erzählt sie. Gerade die Anbindung an die SOS-Frühförderstelle in Landsberg sei für sie wichtig. So kann die Familienhebamme unkompliziert und auf direktem Wege Kinder, die etwa Bedarf an Logopädie oder Ergotherapie haben, an die Frühförderstelle übermitteln.
"Familien, die niemanden haben, fällt die Integration einfach schwer."
Eine wichtige Erkenntnis, die die Familienhebamme über die Jahre gewann: Integration kann meist nur gelingen, wenn Flüchtlingskinder möglichst früh in die Krippe oder den Kindergarten gehen. Teilweise würden Kinder für ihre Eltern, die sich schwer mit der Sprache tun, dolmetschen. Am besten funktioniere die Integration, wenn Ehrenamtliche vor Ort sind, die die Familien unterstützen, sagt Killi. "Familien, die niemanden haben, fällt die Integration einfach schwer", berichtet sie.
Dass Killi im Rahmen des SOS-Kinderdorfes arbeiten kann, sieht sie als großen Vorteil. "Ein niederschwelliges Angebot ist meiner Meinung nach sehr wichtig, um schwangere Frauen zu unterstützen", erklärt sie. Zugleich steht sie in engem Kontakt zum Jugendamt und hat stets ein Auge auf das Kindeswohl. "Bei schweren Fällen ist es sehr wichtig, dass das Jugendamt involviert ist", berichtet Killi, "das kann ich als Familienhebamme nicht stemmen". In den rund zehn Jahren ihrer Berufstätigkeit als Familienhebamme sei es jedoch nur zweimal so weit gekommen, dass Kinder aus ihren Familien herausgenommen werden mussten. Meistens aber hat die Familienhebamme ein Lächeln im Gesicht, wenn sie über ihre Arbeit spricht: "Ich würde es immer wieder so machen", sagt Killi.