Austritt:"Die ÖDP hat ihre Chance vertan"

Christiane Lüst auf dem Wochenmarkt; Christiane Lüst auf dem Wochenmarkt in Söcking

Auf dem Wochenmarkt in Söcking verkauft Christiane Lüst Dritte-Welt-Waren. Sie sieht den Verkauf als ihren Beitrag, die Verhältnisse zu verbessern.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Christiane Lüst aus Gauting erklärt ihren Austritt aus der Partei und glaubt, dass ihrem Beispiel noch weitere enttäuschte Mitglieder folgen werden

Interview von Michael Berzl, Söcking

Es nieselt, nur eine Handvoll Kunden schaut sich gerade auf dem Wochenmarkt in Söcking um. Da ist ein heißer Kaffee aus der Maschine von Christiane Lüst gefragt. Wie an jedem Freitag hat sie Tee und fair gehandelte Schokolade, Tüten mit Reis und Linsen unter einem Pavillondach aufgeschlichtet. Zum Einkaufen kommt gerade niemand an ihren Dritte-Welt-Stand. Zeit, um über ihren Austritt aus der ÖDP nach 25 Jahren Mitgliedschaft zu sprechen.

SZ: Ist ja nicht gerade viel los hier. Das braucht man schon eine gewisse Ausdauer oder Sendungsbewusstsein.

Christiane Lüst: Auf jeden Fall. Das ist halt auch sehr wetterabhängig. Wenn es schön ist, ist auch viel mehr los.

Zu verdienen ist hier wohl nicht viel. Warum machen Sie das dann?

Weil ich als Sozialarbeiterin immer Entwicklungshelferin werden wollte. Das ist eben mein Beitrag hier. Außerdem arbeite ich mit den Bauern hier, damit sie faire Preise für ihre Milch bekommen. Ich finde es einfach wichtig, dass die Leute faire Preise für ihre Arbeit bekommen.

Sie investieren insgesamt sehr viel Zeit im Kampf gegen Ungerechtigkeiten und für eine bessere Welt.

Ich sehe mich in der Verantwortung, das zu machen und habe die Möglichkeit dazu. Ich finde es schön, dass man wirklich auch etwas bewegen kann.

25 Jahre haben sie das auch in der ÖDP getan. Jetzt geht das nicht mehr?

Im Moment sehe ich keine Perspektive. Zur Zeit wird eher alles total eingefroren und zurückgefahren, was wir aufgebaut haben. Da möchte ich keine Zeit mehr investieren.

Was läuft da falsch?

Es wird viel zu wenig nach außen gearbeitet, es ist viel zu wenig das Ziel, in politische Gremien zu kommen. Jeder konzentriert sich auf seinen Ortsverband. Das ist einfach viel zu wenig. Das ist das, was die ÖDP seit 30 Jahren macht. In den vergangenen Jahren konnten wir das verbessern, vor allem auch mit dem früheren Bundesvorsitzenden Sebastian Frankenberger, der eine Ausstrahlung und Sendungsbewusstsein hatte, der Ziele hatte, der Leute hinter sich scharen konnte, der mit den Medien gut konnte, der mit dem Fernsehen gut konnte. Das ist jetzt alles nicht mehr.

Frankenberger wurde als Bundesvorsitzender abgewählt und arbeitet jetzt als Fremdenführer in Österreich. Trauern Sie ihm immer noch nach?

Es ist ein wahnsinniger Verlust. Die ÖDP hat die Chance ihres Lebens vertan, weil das jemand gewesen wäre, mit dem hätten wir es in alle Parlamente geschafft. Da bin ich mir sicher. Das ist jemand, der kommt ganz nach oben, der Tag und Nacht arbeitet und hat wirklich auch etwas bewegt.

Am Donnerstag haben Sie Ihren Parteiaustritt publik gemacht. Haben schon Mitglieder reagiert?

Ich drohe schon seit einem Jahr mit dem Austritt, wenn sich nicht massiv etwas bessert. Das wussten die schon. Reaktionen sind aus ganz Deutschland gekommen, auch aus Berlin und Hamburg. die hätten mich gerne noch gehalten. Das wird auch noch weitere Austritt nach sich ziehen. Da bin ich mir ganz sicher. Das weiß ich auch schon von einigen Leuten. Die sehen einfach keine Perspektive mehr in dieser Partei.

Auch in höheren Positionen?

Ich denke mal, schon.

Ist Ihr Lebensgefährte Karl Heinz Jobst auch mit ausgetreten. Der war immerhin stellvertretender Bundesvorsitzender.

Schon lange, schon seit einem Jahr. Er ist gleich mit dem Frankenberger gegangen. Die beiden haben sehr viel versucht, zu revolutionieren, zu machen, etwas zu verändern und haben sehr viel Gegenwind bekommen. Man hängt halt an alten Strukturen. Dabei wäre es so wichtig, auch einmal etwas neues zu probieren, etwas zu verändern.

Und jetzt? Wie schaut es aus mit einem Wechsel zu den Grünen ?

Haha. Nein. Die Grünen sind überhaupt nicht die Partei, mit der ich mich identifizieren kann, im Gegenteil. Die EU-Abgeordnete Renate Künast hat die Gentechnik nach Europa reingelassen. Unter Frau Künast wurden die meisten Pestizide zugelassen. Dem Ukraine-Abkommen haben die Grünen zugestimmt, dadurch wurde Monsanto die Tür geöffnet. Dort kann jetzt Gen-Weizen ausgesät werden, der dort noch erlaubt ist.

Ändert sich durch den Parteiaustritt etwas für Ihre Arbeit als Gautinger Gemeinderätin.

Nein, bestimmt nicht. Dort mache ich erst mal als Parteifreie weiter.

Der ÖDP-Kreisverband ist jetzt führungslos. Bei insgesamt nur etwa 40 Mitgliedern wird es nicht leicht, einen Nachfolger zu finden. Wer käme denn in Frage. Der Tutzinger Bürgermeister Rudolf Krug?

Das weiß ich noch nicht, wer neuer Vorsitzender wird. Ob Rudolf Krug das macht, weiß ich auch nicht, weil der mit seinem Amt als Bürgermeister eigentlich ausgelastet ist. Das muss eine außerordentliche Mitgliederversammlung entscheiden, die wohl im November noch einberufen wird. Das muss ja geklärt werden.

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