Süddeutsche Zeitung

Smalltalk-Reihe `Bergspektiven`:Mit Zeppelin zum Broadway

Musikproduzent Ralph Siegel spricht ìn Berg über alte Zeiten und neue Projekte

Von Peter Haacke, Berg

"Huhh, ha, huhh, ha". Zwei Silben nur, die sich festgebrannt haben im kollektiven deutschen Schlagergedächtnis: Sie ritten um die Wette mit dem Steppenwind, tausend Mann. He Reiter, ho Reiter, he Reiter, immer weiter. Und dann der Refrain: Dsching, Dsching, Dschingis Khan. Der Song gilt als einer der größten Erfolge einer deutschsprachigen Retorten-Band. Im verwegen anmutenden Mongolen-Outfit hopsten seinerzeit die sechs Mitglieder über die Bühne und begeisterten 1979 die Massen - zumindest diejenigen, für die auch die samstägliche Deutsche Hitparade mit Moderator Dieter Thomas Heck ultimatives Pflichtprogramm war.

Hinter dem Erfolg des Songs, der beim Eurovision Song Contest immerhin auf Rang 4 landete und heute noch gute Laune auf langweiligen Partys garantiert, steckte ein Mann, der als der ungekrönte König der Schlagerbranche galt: Ralph Siegel. Der 73-jährige Komponist und Produzent ist bei der Gema mit mehr als 2000 Titeln registriert. Nun gastierte er bei den "Bergspektiven" im Hotel Schloss Berg.

Moderator Christian Kalinke hat die "Bergspektiven" seit 2002 als Power-Smalltalk-Serie etabliert. Für die nunmehr 105. Auflage hatte er mit Goar Bieskamp, der unter anderem "Mambo Nr. 5" (Lou Bega) produzierte, und Altmeister Siegel einen "Koffer voller Lieder" versprochen. Der Koffer blieb zum Glück zu. Stattdessen gab es für die rund 100 Gäste in der Bauernstube diverse Schmankerl und Weisheiten.

Siegel, seit wenigen Monaten mittlerweile zum vierten Mal verheiratet, genoss seinen Auftritt vor kleinem Publikum sichtlich. Geboren 1945 "in der Scheiß-Zeit", prägten die Stars der 50er Jahre seinen Musikgeschmack. Früh schon beherrschte Siegel Gitarre, Klavier und Akkordeon, der behüteten Kindheit am Chiemsee folgten diverse Auslandsaufenthalte unter anderem in der Schweiz, England, Frankreich, Italien und den USA. "Musik ist mein Leben", bekannte Siegel. Auch wenn es in den letzten zehn Jahren nicht mehr ganz so gut lief wie in der Zeit, als es noch kein Internet, Downloads, Streaming und Spotify gab.

Siegel produzierte alles und nahezu alle mit Rang und Namen: Rex Gildo, Peter Alexander, Udo Jürgens, Roy Black, Chris Roberts, Mary Roos, Katja Ebstein, Michael Holm, Lena Valaitis, Nana Mouskouri. Karel Gott, die "goldene Stimme aus Prag", hätte viel lieber Rock'n Roll gemacht, doch Siegel überredete ihn zu einem Song namens "Babicka". Und mit Nicole ("Ein bisschen Frieden") gewann er 1982 den Eurovision Song Contest - ein Lied, das angesichts von Falklandkrieg und Nachrüstungsdebatte durchaus dem damaligen Zeitgeist entsprach. Für die Band "A&P" mit Philipp und Florian Pröttel aus Berg, die Söhne eines Freundes, produzierte Siegel gar ein Punk-Album. Und auch an Musicals versuchte er sich, die jedoch allesamt aus unerklärlichen Gründen floppten. Er räumte denn auch ein: "Ich hab' auch Texte gemacht, die nicht so doll waren".

Ohnehin war früher vieles besser. "Leute, die heute anfangen, haben es richtig schwer", sagt Siegel. "Es wird alles verramscht." Dabei gilt weiterhin der Grundsatz: "Erfolgreich ist der, der am meisten verdient." Doch "verdient der Künstler nichts, hat er nichts zu fressen". Allerdings habe sich die Branche grauenhaft verändert: "Alles Englisch", sagt Siegel. Gleichwohl bleibt Siegel auf dem Laufenden: Jede Folge von "The Voice of Germany" - egal ob Junior oder Senior - schaut er an.

Die Dauerpräsenz von Siegel beim Eurovision Song Contest, der auch Songs für Luxemburg, Malta, Montenegro oder San Marino produzierte, rief aber auch Konkurrenz auf den Plan - etwa in Form von Stefan Raab, der sich unter dem Pseudonym "Alf Igel" öffentlich im TV über Siegel lustig machte. Derzeit arbeitet Siegel an einem Musical: Die Geschichte von Graf Zeppelin soll im Idealfall schon bald am Broadway aufgeführt werden. Unterstützung wäre vorhanden: Ein Mädchen des MTV Berg würde tanzen - vielleicht sogar schöner als einst Dschingis Khan.

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SZ vom 05.02.2019
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