Süddeutsche Zeitung

Serie: Lustwandeln (17):Prachtvoller Ausblick

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Die Seeburg und das Schloss Allmannshausen beherbergen das christliche Jugendwerk Wort des Lebens. Das Ambiente ist traumhaft

Von Christiane Bracht

Viel Fantasie braucht man nicht: Wer die mächtigen Mauern, Türme, Zinnen und Wehranlagen der Seeburg emporschaut, dem kann schon mulmig werden. Stellt man sich noch Dämmerlicht vor oder einen silbrigen Vollmond und eine Schar Fledermäuse, ist man mitten in einer perfekten Hitchcock-Kulisse, bei der jederzeit ein Schatten vorbeihuschen kann, der einem den kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Erst wenn man durch das wuchtige Eingangstor tritt, verlässt einen das Unbehagen, das man unwillkürlich empfindet, auch wenn man sicher weiß, dass hinter den dicken Mauern kein Mörder lauert. Ganz unerwartet, hört man plötzlich Kinderlachen. Im kleinen Innenhof der gigantischen Burganlage spielen die Kleinen ganz unbeschwert. "Für sie ist es eine Abenteuerburg", weiß Marco Seeba. Er ist der Leiter der Einrichtung, die das christliche Kinder- und Jugendwerk Wort des Lebens seit 1971 innehat.

In den Ferien ist die Burg voller Leben. Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland, manchmal auch aus dem benachbarten Ausland, kommen an den Starnberger See, um hier in einem Camp ihre Freizeit zu verbringen. Bis zu elf Tage sind sie hier, musizieren, treiben Sport, basteln, reden miteinander, spielen und beten zusammen. Denn bei Wort des Lebens geht es nicht nur um Erholung, Abenteuer und Gemeinschaft, es geht auch um die Vermittlung christlicher Werte. Der Name der Organisation kommt aus dem Brief an die Philipper. Dort heißt es: "Haltet fest am Wort des Lebens". Das begreifen Seeba und seine Mitarbeiter als Auftrag. "Es ist uns ein Anliegen den christlichen Glauben und damit Gott mit Spaß zu verknüpfen", erklärt der Leiter der Einrichtung. "Der Glaube soll alltagstauglich gemacht werden, deshalb gehört Beten zur Tagesstruktur dazu." Jeden morgen treffen sich die Gruppen in der kleinen Kapelle der Seeburg zum Gottesdienst. Dort wird gesungen und gebetet und zwar mit Feuereifer. Auch Kinder, die gar keinen christlichen Hintergrund haben, machen mit.

Eine Sekte, wie viele aufgrund des Namens vermuten, ist Wort des Lebens aber nicht. "Wir haben mal über eine Namensänderung nachgedacht, aber dann würden wir unsere Identität verlieren", erklärt Seeba. Seit 50 Jahren heiße die Organisation so und das in 70 Ländern. Deshalb habe man sich dagegen entschieden. Um dem Vorwurf zu entgehen, eine Sekte zu sein, versucht Wort des Lebens einfach, sich so transparent wie möglich zugeben.

Nicht selten lockt die imposante Festung Passanten den Hügel hinauf, die wissen wollen, was sich hinter den Mauern verbirgt. Statt sie wegzuschicken, nimmt sich Seeba Zeit, ihnen das Haus zu zeigen - zumindest soweit der Jugendschutz es zulässt. Einmal im Jahr veranstaltetet die Organisation auch ein Burgfest mit Weihnachtsmarkt. Zu diesem Anlass dürfen die Besucher alles inspizieren. Seeba und seine etwa 50 Mitarbeiter geleiten sie sogar die historische Holztreppe hinauf in den höchsten Turm. Von dort hat man einen atemberaubenden Blick über den Starnberger See. Man sieht aber auch wie verwinkelt und spektakulär groß die Burg ist.

Bei den Einheimischen genießt Wort des Lebens übrigens einen sehr guten Ruf. Als der Freistaat Bayern, der seit 1948 Eigentümer ist, vor einigen Jahren ankündigte, den Pachtvertrag mit der Jugendorganisation nicht verlängern zu wollen und die Immobilie zum Verkauf anbot, ebenso das benachbarte Schloss Allmannshausen, das die Jugendorganisation auch innehat, setzten sich die Berger und Münsinger sehr dafür ein, dass Wort des Lebens bleiben konnte. Fünf Jahre lang schwebte der Verein im Ungewissen, sagt Seeba. Viele Mitarbeiter kehrten in dieser Zeit dem Kinder- und Jugendwerk den Rücken, aus Angst irgendwann vielleicht auf der Straße zu stehen. Grund für den geplanten Verkauf war wohl, dass die Seeburg in den vergangenen Jahrzehnten vor allem eine Herberge für Wanderer war. Dies sei keine Aufgabe des Staates, ließ Heimatminister Markus Söder die Geschäftsleitung seinerzeit wissen. Nach langen, zähen Verhandlungen einigte man sich vor zwei Jahren darauf, den Hotelbetrieb aufzugeben und statt dessen den Fokus allein auf Kinder- und Jugendarbeit zu legen - einer sehr zentralen Aufgabe des Staates.

Seeba spricht noch heute vom "Wunder von Höhenrain", so groß war die Erleichterung bei Wort des Lebens über den neuen Pachtvertrag, der nun bis 2032 gilt. "Heute sind wir dankbar für den Schock, den der Freistaat uns versetzt hat", sagt Seeba. Er habe Wort des Lebens dazu gebracht, sich wieder mehr auf seine eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. "Es war ein Reifeprozess", sagt er. Mit neuem Schwung und Enthusiasmus wagte der 41-Jährige mit Jüngeren einen Neuanfang, den es ohne die Krise vermutlich nie gegeben hätte. Alles wurde saniert, die Betten für Erwachsene hinausgeschmissen und die Zimmer für Kindergruppen hergerichtet. Mehrere Millionen Euro hat Wort des Lebens in den Umbau der Seeburg investiert. Auch der Freistaat, als Eigentümer der beiden denkmalgeschützten Immobilien, half finanziell. Und so sind die Betten jetzt als Burgen gestaltet - passend zum Gebäude. Die Kinder bis 13 Jahre, die hierher kommen, lieben es. Denn hinter den dicken Mauern der Seeburg fühlen sie sich geborgen. "Hier finden sie schnell zur Ruhe", weiß Seeba. Gleichzeitig aber haben sie das Gefühl, mitten in einem Abenteuer zu sein. Das weiß die Organisation zu nutzen: So müssen die Kinder, die momentan da sind unter dem Motto "Scotch & Yard" einen Kriminalfall lösen. Jeden Tag bekommen sie einen neuen Hinweis auf Mister X.

Im Schloss Allmannshausen, das ein paar 100 Meter weiter nördlich liegt, residieren indes die Jugendlichen. Wer den Uferweg entlangläuft, sieht lediglich die herrschaftliche Fassade des Renaissance-Schlosses. Nicht wenige vermuten dahinter die immensen Reichtümer eines Privatmanns, doch die Fassade täuscht. Von innen ist das Schloss eine ganz normale Jugendherberge - ein "Bettenschloss", wie Seeba sagt. Die Räume sind schmucklos: Statt wertvoller Antiquitäten stehen lediglich ein paar einfache hölzerne Stockbetten darin. Auf dem Sportplatz daneben tragen die Jugendlichen ihre Wettkämpfe aus: Indiaca, Hockey, Selbstverteidigungskurse. "Die Camps leben von Action", weiß Seeba. Jedes Jahr müssen sich die Mitarbeiter etwas Neues ausdenken, um die Jugendlichen locken zu können. Lagerfeuerromantik allein reicht nicht. Aber auf dem riesigen Gelände um die Schlösser herum gibt es auch viele Möglichkeiten. So haben beide einen eigenen Seezugang. "Hier können wir einen fünf Meter hohen Sprungturm aufbauen", erklärt der Chef. Mit extra dafür ausgebildeten Sportlehrern dürfen die Jugendlichen dort ihre Grenzen austesten - zum Beispiel beim Blobbing oder Waterbiking. Im früheren Stall des Schlosses ist sogar eine große Bühne mit Zuschauerraum. Hier können Musikgruppen ihre Auftritte proben. Denn bei Wort des Lebens gibt es nicht nur Feriencamps, die Organisation bietet auch Familienfreizeiten an, beherbergt Klassen, die einen Ausflug machen oder Konfirmationsgruppen. Außerdem veranstaltet sie MusicalCamps. Die Jugendlichen sollen ihre Talente entdecken können und dabei Spaß haben. Alkohol und Rauchen ist auf dem Gelände aber nicht gestattet.

Auch wenn der Spaß im Vordergrund steht, so gibt es auch ernste Stunden für die Jugendlichen im Camp. Einmal am Tag sprechen sie über schwierige Lebensthemen, etwa unter dem Motto "Free to live" oder auch "free to choose". Zusammen mit den Pädagogen von Wort des Lebens machen sie sich dann Gedanken über sich und die Gesellschaft - natürlich auch in Bezug auf den christlichen Glauben. So sprechen sie etwa über biblische Geschichten und deren Bedeutung im Hier und Jetzt. "Bei den Jugendlichen kommt das gut an", sagt Seeba. Und das ist gut so, denn die Teenager sollen stark gemacht werden für die Zukunft - für Krisen, die sie vielleicht bewältigen müssen.

Seeba kam übrigens vor Jahren ebenfalls als Jugendlicher zum Schloss Allmannshausen - zwar nicht mit einer Gruppe, sondern als Zivildienstleistender. Der Ostfriese war so begeistert, dass er später als Gruppenleiter wiederkam. Jetzt wohnt der Chef sogar mit seiner Familie dort. Der Grund sei aber nicht die malerische Landschaft mit den Schlössern und der traumhaften Lage direkt am See, sagt er. "Das ist beeindruckend, eine attraktive Hülle, aber es ist nicht das echte Leben. Mir hat viel mehr imponiert, dass hier die christlichen Werte wirklich gelebt werden." Von den 50 Angestellten, aber auch von den zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeitern. So nimmt Wort des Lebens jetzt auch minderjährige Flüchtlinge auf.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2015
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