Eigentlich hätte es auch das neue Seeshaupter Wahrzeichen sein können, das blau-weiße Tretboot Lenz, das kürzlich den Kreisverkehr nahe der Bahnunterführung am westlichen Ortseingang zierte. Schließlich haben Badegäste aus nah und fern das ehemalige Fischerdorf am Starnberger See entscheidend geprägt – und vor allem verändert.
So hat die Gemeinde über Jahrhunderte von Fischerei und Landwirtschaft gelebt, der Anschluss ans Bahnnetz 1865 brachte dann allerdings die große Veränderung. Mit der Verbindung von München über Starnberg nach Tutzing hielt die Sommerfrische Einzug in Seeshaupt. Die Großstädter auf Suche nach Erholung kamen per Bahn oder Dampfschiff ans Ufer des Würmsees, wie er bis 1962 noch hieß. Und mit ihnen kam auch das Geld. Schnell entwickelte sich Seeshaupt zum attraktiven Urlaubs- und Wohnort. Durch den Tourismus boten sich den alteingesessenen Seeshaupter Familien ganz neue Einnahmequellen, zahlreiche Übernachtungsmöglichkeiten und Freizeitangebote entstanden. Heute zählt der Ort mehr Herbergen als Fischereibetriebe. Ein armes Bauerndorf ist Seeshaupt schon lange nicht mehr.
Insofern hatte das blau-weiße Tretboot Lenz durchaus etwas Symbolisches, als es am vorletzten Juliwochenende wie aus dem Nichts auf dem Hügel im Kreisverkehr unweit des Seeshaupter Ortsschilds auftauchte. Von einem neuen Wahrzeichen wusste man im Seeshaupter Rathaus allerdings nichts. Auch nicht von einer Kunstinstallation. Wohl eher ein Streich, wie Bürgermeister Fritz Egold vermutete. Wer dahintersteckte und wie das Boot überhaupt vom Strandbad Lidl bis zum Kreisverkehr außerhalb des Ortes gelangt war, war auch dem Rathauschef zunächst ein Rätsel. Aus Verkehrssicherungsgründen ließ er das Boot umgehend entfernen.
Dabei stellte sich heraus, dass die Aktion nicht ganz so lustig war, wie sie anfangs vielleicht noch ausgesehen haben mag. Zwar machte der Anblick des Tretbootes mit den zwei gelben Sonnenstühlen und einem Besen an Deck auf der Spitze des Hügels im Kreisel durchaus etwas her. Doch wer auch immer das Tretboot dorthin gebracht hatte: Beim war Transport einiges kaputtgegangen. Der Kiel wurde schwerbeschädigt, wahrscheinlich hatte man das Boot über den Asphalt gezogen. Sehr zum Ärger von Andi „Pille“ Lidl, dem das Tretboot gehört.
Die ersten Bilder von seinem Boot an exponierter Stelle im Kreisverkehr erreichten Lidl via Whatsapp. Bis dahin hatte der Fischer und Bootsverleiher noch nicht den Hauch einer Ahnung, dass ihm überhaupt eines seiner vier Tretboote abging. Am Tag zuvor hatte das 32. Seeshaupter Fischerstechen stattgefunden und der 58-Jährige hatte als Organisator alle Hände voll zu tun. 1990 hatte er das Traditionsspektakel ins Leben gerufen, das seitdem jährlich am vorletzten Samstag im Juli stattfindet. Das Boot muss ihm in der Nacht auf Sonntag abhandengekommen sein.
„Anfangs fand ich’s ja auch noch zum Schmunzeln“, sagt Lidl. Als er dann aber die Schäden entdeckte, verging ihm das Lachen. Für Lidl ist es ein Stich ins Herz, das gerade dieses Boot ramponiert wurde. Es sei das letzte Boot, das sein Vater Lorenz ihm gekauft hatte, kurz bevor er im Oktober 2017 starb. Deshalb trage es auch seinen Namen. Lenz ist in weißen, schwungvollen Lettern auf den blauen Grund gepinselt.
„Ich habe Gäste, die nur mit dem Lenz fahren“, so Lidl
„Es ist das einzige Tretboot, das bei uns auch einen Namen hat“, sagt Lidl. „Und es ist unser ältestes.“ Sein Vater habe es gebraucht erworben, das Boot stamme aus dem Jahr 1992. „Ich habe Gäste, die nur mit dem Lenz fahren“, so Lidl, der den Bootsverleih mittlerweile in dritter Generation betreibt. Das „Strandbad Lidl“ hatte sein Großvater Lorenz sen. angelegt, als noch die Sommerfrischler nach Seeshaupt strömten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam dann der Verleih von Ruderbooten hinzu, ab den 1960er-Jahren konnte man bei den Lidls auch Tret- und Elektroboote ausleihen. Als ehemalige Fischer und Bauern, die seit Jahrhunderten in Seeshaupt leben, steht die Familie exemplarisch für den Wandel Seeshaupts in den vergangenen 150 Jahren. Ob die „Diebe“ das im Hinterkopf hatten, als sie das Boot auf den Kreisel stellten? Wohl kaum.
Wann Lenz wieder fahrtüchtig sein wird, weiß Andi Lidl noch nicht. Das Tretboot muss repariert werden – und das wird was kosten. Der Bootsbesitzer erwartet, dass sich die Verantwortlichen bei ihm melden. „So was kommt doch immer raus“, sagt er. Mit der Polizei Penzberg hat er sich diesbezüglich bereits kurzgeschlossen.
Und tatsächlich tut sich was: Denn vor wenigen Tag erhielt Andi Lidl eine Whatsapp-Nachricht von einem jungen Mann aus dem Nachbarort. Er sei einer der „Idioten“, die das Boot entwendet hatten und er möchte auch für den Schaden aufkommen. Auf eine Anzeige hat Andi Lidl deshalb verzichtet. Mittlerweile hat ihm der Mann seine Anschrift für die Rechnung zukommen lassen. Das kaputte Tretboot ist seit Montagnachmittag in der Werft – damit man mit Lenz auch bald wieder über den Starnberger See gleiten kann.