Flüchtlingspolitik:Kontroverse um Traglufthalle für hundert Asylsuchende

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In einer Traglufthalle wie dieser im Penzberger Ortsteil Nonnenwald sollen 80 bis 100 Asylsuchende in Seeshaupt einen Platz finden. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In Seeshaupt rufen die Pläne für eine Notunterkunft Unmut hervor. Bürger und Behörden diskutieren über Standort, Bürgerbeteiligung und potenzielle Auswirkungen.

Von Kia Ahrndsen, Seeshaupt

Das Interesse der Bürger ist groß. Das zumindest hat das Landratsamt Weilheim mit dem Vorhaben erreicht, im 3000 Einwohner zählenden Dorf Seeshaupt eine Traglufthalle zur Unterbringung von 100 Asylbewerbern zu errichten. Zur Gemeinderatssitzung, die eigens in die Turnhalle verlegt worden war, kamen etwa 350 Bürger, eine Online-Petition sammelte seit Samstag fast 1300 Unterschriften gegen das Vorhaben. Ein Seeshaupter, der in der Nähe der Wiese hinter der Tankstelle wohnt, wo die Halle errichtet werden soll, hatte sie angestoßen.

Der Mann macht darauf aufmerksam, dass im Kernort Seeshaupt nur 1800 Menschen wohnen. Durch die Zuweisung von 100 Flüchtlingen würde ihr Anteil an der Bevölkerung unverhältnismäßig hoch, argumentiert er und kritisiert die Lage der Halle mitten in einem Wohngebiet. Er warnt vor Überlastung der Infrastruktur des Ortes und bemängelt die fehlende Bürgerbeteiligung. Viele Unterzeichner kritisieren in den Kommentarspalten ebenfalls, das Vorhaben sei zu groß für Seeshaupt. Es wird auch vor angeblich gewaltbereiten Flüchtlingen gewarnt und die Angst um die eigenen Kinder angeführt. Bei der Online-Plattform kann sich indes jeder anmelden, weder Namen noch Wohnort werden geprüft.

Der Seeshaupter Bürgermeister Fritz Egold (CSU) ist besorgt über die momentane Entwicklung: „Es geht ein tiefer Riss durch den Ort, das ist das Schlimme“, sagt er. Er würde sich vom Landratsamt Weilheim-Schongau mehr Respekt im Umgang mit den Bürgern wünschen. Das Amt hatte ihn und den stellvertretenden Bürgermeister Armin Mell (FDP) Ende Januar in einem kurzfristig anberaumten Termin darüber informiert, dass eine Notunterkunft errichtet werde. Baubeginn solle der 1. März sein. Zur darauffolgenden Gemeinderatssitzung kamen dann Helmut Hartl und Bernhard Pössinger vom Sachgebiet Asyl und Integration am Landratsamt Weilheim-Schongau, um die Pläne vorzustellen.

Die Halle soll auf einer Fläche von 15 auf 40 Metern Platz für 100 Personen bieten, sie werde mit Kabinen ausgestattet. In einem separaten Küchenzelt sollen sich die Menschen selbst versorgen. Ein Sicherheitsdienst werde vor Ort sein. Untergebracht werden sollen Einzelpersonen ebenso wie Familien, teils auch mit Haustieren und, so Pössinger, „vulnerable Personen“, das heißt, Menschen, die unter Krisen besonders leiden. Es gehe um Asylbewerber ebenso wie um Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, hieß es. Laut einer Skizze soll die Zufahrt über den Pfarrer-Behr-Weg erfolgen.

Im Durchschnitt würden die Menschen etwa acht Wochen in der Notunterkunft bleiben, bis sie in andere Unterkünfte vermittelt würden. Aus diesem Grund, so Pössinger, seien Integrationsmaßnahmen ohnehin kaum erforderlich  – die Schulpflicht beispielsweise gelte erst nach 90 Tagen. Um die Menschen kümmern würden sich die beiden Integrationshelfer des Landkreises; das Amt beschäftige zwei Betreuerinnen für ukrainische Geflüchtete, überdies gebe es auch den Bezirkssozialbetreuer. Es habe sich andernorts zudem gezeigt, dass die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes „unterstützende Aufgaben“ übernähmen. „Wir sind der Meinung, das kann Seeshaupt ertragen“, sagte Sachgebietsleiter Hartl.

In der großen Thermohalle, die als Asyl-Notunterkunft in Penzberg dient, gibt es 24 abgeschlossene Wohneinheiten.  (Foto: Harry Wolfsbauer)
Dies ist der Waschbereich der Notunterkunft für die  Asylbewerber in Nonnenwald-Penzberg. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Im gesamten Landkreis mit 34 Gemeinden würden 3400 Geflüchtete versorgt, hieß es. Pössinger bekräftigte: „Wir haben jetzt den Druck, nicht in zwei Wochen.“ Im Januar seien 100 Menschen aus der Ukraine gekommen, im Februar bisher noch niemand – aber das Fluchtgeschehen gehe nicht zurück, niemand wisse, wie sich die Lage entwickle. Vergangenes Jahr kamen 970 Menschen in den Landkreis Weilheim-Schongau. Auf Rückfrage schreibt das Amt, dass auch für 2025 mit ähnlichen Zahlen gerechnet werde. Es gibt bereits Hallen in Wildsteig, Penzberg, Antdorf, Eglfing und Wessobrunn, weitere sollen folgen – jedoch seien zuerst entsprechende Pachtverhandlungen und Machbarkeiten auszuloten, heißt es.

Parallel zur Traglufthalle sollen auch feste Unterkünfte errichtet werden. In Modulbauten oder umgebauten Seecontainern sollen etwa 50 Menschen dauerhaft untergebracht werden. Auf Nachfrage hieß es aus dem Amt, die Thermohalle werde nur so lange betrieben, bis diese Gebäude bezugsfertig seien. Mit den Planungen dafür würde jetzt begonnen. Für die Traglufthalle als „fliegendem Bau“ sei kein Bauantrag erforderlich. Wenn diese länger benötigt würde, könne man den Antrag nachreichen, hieß es. Bautätigkeiten könnten demnach schon vorher beginnen.

Seeshaupts Bürgermeister Egold sieht durchaus noch Hindernisse auf dem Weg zur Traglufthalle: Schließlich müssten auch fliegende Bauten behördlicherseits abgenommen werden, denn sie benötigen Anschlüsse für Strom, Wasser und Abwasser. Auch die Feuerwehrzufahrt müsse geklärt werden. „Das werden sie nicht durchbringen“, prognostiziert Egold. Aus Gesprächen mit Anwohnern wisse er, dass diese juristische Mittel prüfen. Er zeigte Verständnis für die Sorgen potenzieller Nachbarn. Bei einem nur achtwöchigen Aufenthalt würden pro Jahr nach und nach etwa 600 Menschen untergebracht. „Das hat unweigerlich Auswirkungen“, sagt er. Eine Unterbringung mitten im Wohngebiet sei ausschließlich in Seeshaupt geplant, alle anderen Hallen lägen in Gewerbegebieten – beispielsweise auch die Modulbauten, die vergangene Woche in Habach vorgestellt wurden.

Die Gemeinde sah ein Grundstück in Bahnhofsnähe vor

Seeshaupt sei durchaus bereit, solidarisch zu sein, sagt Egold. Im Ort wohnen bereits 39 geflüchtete Menschen. Für einen größeren Beitrag habe die Gemeinde ein Grundstück zwischen der Von-Simolin-Straße und dem Friedhof vorgeschlagen. Das sei etwa so groß wie die Fläche in Habach und bereits voll erschlossen. Das Gelände liege näher am Bahnhof und biete Platz für bis zu 35 Menschen – eine Lösung, die auch von den Seeshaupter Bürgern akzeptiert werden könnte. Dieser Vorschlag sei jedoch vom Landratsamt ohne nähere Begründung als ungeeignet verworfen worden, hieß es. Stattdessen habe die Behörde die Fläche an der Weilheimer Straße ins Spiel gebracht.

Die Wiese gehört dem Freistaat Bayern und wurde gelegentlich zum Aufbau von Festzelten genutzt. Eine Unterkunft für Geflüchtete muss grundsätzlich vom Innenministerium sowie von der Regierung von Oberbayern genehmigt werden. Bisher hat das Landratsamt aber noch keine Planungen eingereicht. Die übergeordneten Stellen prüfen zunächst Bedarf, Kosten, mögliche Alternativen und die Dauer der Nutzungsmöglichkeit. Ob für eine Unterkunft in Seeshaupt tatsächlich Bedarf besteht, könne man erst nach Vorlage der Planungen prüfen, teilt das Ministerium mit. Wie sich der Unterkunftsbedarf nach der Bundestagswahl und einem möglichen Regierungswechsel entwickle, bleibe allerdings abzuwarten: Das von Ministerpräsident Markus Söder propagierte „Anker-Konzept“ sieht vor, dass Asylsuchende zentral untergebracht werden, bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über ihren Status entschieden hat.

Im vergangenen Herbst hatte die Regierung von Oberbayern das Vorhaben des Landratsamtes, an der St.-Heinricher-Straße eine Asylbewerberunterkunft zu errichten, wegen zu hoher Kosten gestoppt. Die Sanierung der ehemaligen Mülldeponie hätte Jahre gedauert und könne nicht aus dem Asyl-Haushalt gezahlt werden, heißt es.

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