Seeshaupt:Ein Klassiker in Hochform

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Die gute alte "Allotria Jazzband" überzeugt in Seeshaupt als Power-Combo und mit Bigband-Sound

Von Reinhard Palmer, Seeshaupt

Allotria? Für die jüngeren Generationen ist das wohl kein Begriff mehr. Doch die Allotria Jazzband, die das Seejazz-Festival in die Seeresidenz Alte Post nach Seeshaupt eingeladen hatte, schrieb einst ein nicht unbedeutendes Kapitel der Münchner Kulturgeschichte. Der Name der Formation bezieht sich nicht etwa direkt auf die Künstlergesellschaft Allotria, die Franz von Lenbach und Lorenz Gedon 1873 gegründet hatten. Vielmehr geht er auf die knapp 100 Jahre später gegründete Jazzkneipe zurück, die sich bis zur Aufgabe in den 1990er Jahren weltweit einen Namen machen konnte, seit sie 1983 der Schlagzeuger, Vibraphonist, Pianist und Sänger Gerry Hayes leitete.

Damals gab es sie schon: die Hausband des Jazzclubs, die Allotria Jazzband, die zunächst vorwiegend aus Amateuren bestand. Dass man im Jazz ohne Studium über die Praxis zum herausragenden Musiker werden kann, beweist der Bandleader, der Klarinettist und Saxophonist Rainer Sander, der noch aus der Gründerzeit übrigblieb und die Gruppe über mehr als vierzig Jahre zusammenhielt. Mit vier Bläsern an der Front - zwei Trompeten, Saxophon/Klarinette und Posaune -, dazu der Rhythmusgruppe mit Klavier, Kontrabass und Schlagzeug hat das Septett den Vorzug, sowohl als Power-Combo als auch als Bigband en miniature agieren zu können. Eine Ensembleform, die aus der goldenen Swing-Ära stammt und bis heute nichts an Reiz verloren hat. Den Standards von Duke Ellington, Benny Goodman, Count Basie und Louis Armstrong wird eine solche Besetzung zweifelsohne gerecht. Die voll besetzten Ränge im Saal der Seeresidenz erlebten so einen Klassiker - und ein Echo aus den Glanzzeiten der Münchner Jazzszene, als sie noch Weltstars in die Clubs der Stadt lockte.

Nostalgisch ging es aber keinesfalls zu, sind doch die heutigen Mitglieder der Band vielseitige Profis und in diversen Stilrichtungen und Musikgattungen zu Hause. Zugleich sind sie aber auch allesamt Spezialisten des traditionellen Dixieland und Swing im Stile von New Orleans sowie des Blues- und Folkgenres, die von der Allotria Jazzband gewandt zu einer packenden Synthese zusammengeführt werden.

Die Bigband-Atmosphäre mit ihrer Klangwärme und Klangrundung kam am besten in den Balladen zur Geltung, etwa in "I fit isn't love", mit dem wunderbar lyrischen Posaune von Mathias Götz in "Stars fell on Alabama", umso mehr noch mit gedämpften Bläsern in Ellingtons "Mood Indigo". Im langsamen Swing waren die Übergänge zur kammermusikalischen Combo bisweilen fließend. Der "Bluebird Blues" mit einem einfühlsamen Klarinettensolo von Sander profitierte deutlich von dieser Fokussierung. Endgültig bei der Combo-kam die Allotria Jazzband bei den schnellen Nummern an, etwa in Goodmans "Air Mail Special" mit fetzigem Bläsersatz. Ein fesselndes Duell lieferten sich in Armstrongs "Cornet Chop Suey" die beiden Trompeter Andrey Lobanov und Peter Rudeforth (der für Colin T. Dawson einsprang.

Fürs mitreißende Finale ließen sich die Musiker Count Basies rasch dahin hastendes "Jumpin' at the woodside" mit schmetternden Bläsersätzen übrig. Und einen schönen Effekt erreichte die Band mit dem Aussetzen der Rhythmusgruppe in Armstrongs "Struttin with some barbecue", um dem dichten Dialoggeflecht des Bläserquartetts das Feld zu überlassen.

Auch wenn Thilo Wagner am Klavier, Peter Cischeck am Kontrabass und Gregor Beck am Schlagzeug sich im traditionellen Sinne zuverlässig und prägnant als reine Rhythmusgruppe beschieden, waren sie immer wieder als Solisten großartige Virtuosen, die nicht nur ihre Instrumente beherrschten, sondern auch konsequent stilistisch pur agierten. Das Publikum zeigte sich durchweg begeistert, insbesondere von den so leichten, beschwingten und dixie-umflorten Nummern wie "By the river Sainte Marie". Schlussovationen und eine Zugabe.

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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