„Katastrophal“, „Luxus-Villa für Migranten“, „99 neue Nachbarn für Peter Maffay und Jens Lehmann“: Die Pläne für eine Asylunterkunft in Seeshaupt am Starnberger See machten bundesweit Schlagzeilen. Nun hat der Freistaat die Notbremse gezogen: Die 70 Meter vom See entfernte, angedachte Unterkunft in der Villengegend soll doch nicht gebaut werden, wie kürzlich in der Bürgerversammlung mitgeteilt wurde. Mit 1,7 Millionen sei eine Sanierung und Aufschüttung einer ehemaligen Kiesgrube schlicht zu teuer, so der Befund.
Es ist das Ende eines Politikums, das so manchen fürchten ließ, im Ort würde noch eine AfD-Sektion entstehen. So groß war die Aufregung, nachdem die Unterkunftspläne für den 3200-Einwohner-Ort bekannt geworden waren. Asylbewerber auf einem etwa sechs Millionen Euro teuren Filetgrundstück? Das hielten längst nicht nur rechte Kräfte für ein schlechtes Signal. Bürgermeister Fritz Egold (CSU) bekam Protestschreiben aus der ganzen Republik. Nun ist das Thema vom Tisch.
Konkret angedacht war auf dem Grundstück des Freistaats entlang der St.-Heinricher-Straße eine sogenannte „Mischunterkunft“ für 152 Personen. Bis zu 99 Asylsuchende sollten mit 53 Einheimischen auf dem 4000 Quadratmeter großen Grundstück im Villenortsteil zusammenleben. Modern sollte die Unterkunft sein, mit Vollholzbauweise, Wärmepumpe und Photovoltaik. Früher badeten hier die Einwohner noch in einem See, später wurde die Grube zugeschüttet – und sollte dann zur neuen Heimat für Asylsuchende werden. Ein Thema, das Wellen schlug.
Entsprechend gut besucht war die Bürgerversammlung in der Seeshaupter Mehrzweckhalle am vergangenen Donnerstag. Rund 150 Bewohnerinnen und Bewohner wollten die Gelegenheit nutzen, sich zu den Plänen des Landratsamtes zu äußern. Egold nahm ihnen den Wind aus den Segeln: Die Landrätin des Landkreis Weilheim-Schongau, Andrea Jochner-Weiß (CSU) habe ihn in einem Telefonat über das „Aus“ des Vorhabens informiert. Auf Nachfrage präzisiert das Landratsamt, dem Freistaat seien die auf 1,7 Millionen Euro anvisierten Kosten zu hoch. Die Sanierung könne nicht aus dem Asyl-Haushalt gezahlt werden, so die Begründung. Darüber hinaus würde der Grundstücksbesitzer, die ImmobilienBayern, für eine Altlastensanierung mehrere Jahre brauchen. Das Vorhaben sei also weder wirtschaftlich noch lasse es sich schnell umsetzen.
Ob das nun vorgeschoben war, das Projekt eher aus politischen Gründen gestoppt wurde, ist unklar. Fest steht: Der Freistaat versucht seit Langem, das Grundstück an der St.-Heinricher-Straße zu verwerten. Mit einem Antrag auf Vorbescheid hatte die Regierung von Oberbayern vor 15 Jahren eine Bebauungsplanänderung ausgelöst: 30 Wohnungen und 47 Tiefgaragenplätze sollten errichtet werden. Heftige Proteste der Nachbarn gab es schon seinerzeit, gegen den damaligen Bürgermeister Michael Bernwieser (PfB) wurden sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde und eine Klage eingereicht. Beides wurde allerdings abgewiesen.

Den bereits beschlossenen Bebauungsplan hob der Gemeinderat wieder auf. 2014 wurde ein neuer Plan verabschiedet – jetzt waren vier Wohneinheiten in zwei bis vier Häusern vorgesehen. Das entspricht der „lockeren Villenbebauung“, die entlang der ganzen St.-Heinricher-Straße vorherrscht. 2016 unternahm das staatliche Bauamt einen neuen Anlauf, das Grundstück zu nutzen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle entstand die Idee, eine Unterkunft für Asylbewerber in günstiger Modulbauweise zu errichten, 36 Menschen sollten in zwei zweigeschossigen Gebäuden mit Gemeinschaftsbädern und Küche unterkommen.
Die Anwohner protestierten wieder heftig. Im Februar 2016 legte der Gemeinderat sein Veto ein, eine solche Unterbringung sei „menschenunwürdig“. Der damalige Bauamtsleiter drohte im Gegenzug mit einem Zustimmungsantrag bei der Regierung von Oberbayern. Der Gemeinderat verhandelte mit dem Bauamt über den Zuschnitt der Zimmer und Wohnungen, konnte schließlich einen Kompromiss erreichen und stimmte im Mai dem Bau von sechs Wohnungen für 24 Menschen zu.
Nun beginnt die Grundstücksuche von vorn
Indessen war aber zum einen die Zahl der ankommenden Flüchtlinge gesunken, zum anderen wurden nach der Rodung des Grundstücks in Bodenproben Schadstoffe entdeckt. Der damalige Bürgermeister Michael Bernwieser sprach von Teer und Asphaltresten vom Straßenbau. Auch seinerzeit wurde eine Sanierung als zu teuer befunden, der Bau im Herbst 2016 gestoppt.
Doch in der Zwischenzeit ist der Bedarf für neue Unterkunftsplätze wieder angewachsen. Nur werden diese immer rarer. Ein Problem für Bürgermeister wie Fritz Egold, die den Schlamassel ausbaden müssen. Er habe den Plänen von vorneherein skeptisch gegenübergestanden, sagt er. Immerhin sei das Gelände „topografisch herausfordernd“ – wenn man zuerst die Altlasten ausheben, dann das starke Gefälle ausgleichen und die Senke verfüllen wolle, habe das möglicherweise massive Auswirkungen auf das Grundwasser und die benachbarten Grundstücke.
Die Gesamtkosten für Aushub, Wiederverfüllung und Bau sowie den Grundstückswert würde er auf 20 Millionen schätzen. „Dafür kann man die Menschen ja im Hotel mit Frühstück einquartieren.“ Auch der Gemeinderat hatte sich wenig begeistert gezeigt. Um den Plänen einen Riegel vorzuschieben, erließ dieser eine Veränderungssperre für den Bebauungsplan. Der Bereich ist künftig kein „allgemeines Wohngebiet“ mehr, sondern ein „reines Wohngebiet“. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte erst kürzlich die Baugenehmigung für eine Asylbewerberunterkunft in Bad Tölz in einem solchen Wohngebiet außer Kraft gesetzt.
Das Landratsamt will nun eine andere Fläche in Seeshaupt finden. Laut Egold gehören dem Freistaat mehrere Grundstücke im Ort, eines davon, an der Weilheimer Straße, hätte sogar Baurecht, ist allerdings deutlich kleiner. Zeitdruck sieht das Amt nicht, es seien ja bereits Geflüchtete in Seeshaupt untergebracht. Die Rahmenbedingungen würden derzeit abgeklärt.
Was aus dem umstrittenen Grundstück in Seenähe werden soll, bleibt offen. Das Landratsamt verweist darauf, dass derzeit sogenannte „Sanierungsuntersuchungen“ mit regelmäßigen Proben stattfänden. Ziel sei, das Grundstück umfassend zu sanieren, um es aus dem Altlastenverdacht entlassen zu können – und doch noch als Wohnraumfläche zu nutzen.