SeeJazz-Festival:Paket Power aus Moabit

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Ihre musikalische Vielseitigkeit stellen Pianist Lionel Haas, E-Bassist Martin Lillich und Drummer Torsten Zwingenberger im ausverkauften Rittersaal des Schlosses Kempfenhausen unter Beweis. (Foto: Georgine Treybal)

Die drei Musiker von „Berlin 21“ begeistern das Publikum im Rittersaal von Schloss Kempfenhausen durch ihr mitreißendes Spiel und ihre Kompositionen.

Von Reinhard Palmer, Kempfenhausen

Es ist weit verbreiterter Usus unter Veranstaltern, in den Sommerferien zu pausieren, weil vermeintlich das Publikum fehle. Dass viele in dieser Zeit gar nicht verreisen und gerade da besonders gerne nach einem Biergartenbesuch oder einem faulen Tag am See entspannt den Abend mit einem Konzert ausklingen lassen wollen, beweist alljährlich das „SeeJazz-Festival“: Schon zum Auftakt einmal mehr ein ausverkaufter Auftritt im Rittersaal des Schlosses Kempfenhausen mit seinem eigentümlichen Charme zwischen Salon- und Club-Atmosphäre. Die besondere Eignung für kammermusikalische Projekte, zumal unter Verwendung des vorhandenen Flügels, bewegt das Veranstalterkollektiv stets zu besonders kreativer Wahl, dabei immer auch mit einem Auge die besondere, sommerlich-beschwingte Festivalatmosphäre fokussierend.

Und auch diesmal traf es mit „Berlin 21“ ins Schwarze – nicht zu verwechseln mit einer etwaigen neuen Dauerbaustelle, wie Torsten Zwingenberger gleich zu Beginn beruhigte. Der Bruder und Duopartner von Boogie-Lok Axel zeigte in seinen Ansagen den nötigen Humor, um eine besonders lockere Verbindung zum Publikum herzustellen. „21“ beziehe sich in der früheren vierstelligen Postleitzahl auf den Berliner Postbezirk Moabit-Tiergarten, die offizielle Adresse der Band.

Wenn hier von „kammermusikalischer Eignung“ die Rede ist, dann bedeutet es allerdings nicht, dass es dabei um leise und zaghafte Töne ging. Ganz im Gegenteil: Besonders Pianist Lionel Haas vermochte hier mit seinem kraftvollen Anschlag ordentlich zu hämmern, selbst in den rasantesten Läufen. Ob am E-Bass oder Kontrabass zeigte sich Martin Lillich als lyrischer Klangbildner, dem bisweilen eher der Part zufiel, melodisch zu singen. Diese besondere Rollenverteilung hängt wohl mit der Vorgeschichte des Ensembles zusammen. Der Ursprung liegt in einem Quartett mit dem Gitarristen Patrick Farrant beziehungsweise dessen Nachfolger Timothy Seier.

Die Reduktion auf ein Trio unter Erhalt des Eigencharakters der Band gelang mit dem kleinen Trick der besonderen Ausprägung einzelner Stimmen. Drummer und Percussionist Zwingenberger fällt weiterhin die Basis zu: einerseits mit charakterrelevanter Klangdifferenzierung, andererseits mit der Schlagdichte. Die Eigenkompositionen von Haas und Lillich erwiesen sich auch als maßgeschneidert für Berlin 21 und seine kammermusikalisch durchdachte Spezifizierung, die sich auch stilbildend auswirkt.

Das ist wohl auch das Erfolgsrezept der Formation, die damit tief in den Fundus diverser musikalischer Richtungen greifen kann, und dennoch unverkennbar und sich selbst treu bleibt. Mit dem kernigen Blues „Ruffle Shuffle“ zu Beginn war in Ansätzen im Grunde schon alles vorweggenommen, was im ausverkauften Rittersaal euphorisieren sollte. Inzwischen hat sich im Jazz eine gewisse Tradition entwickelt, die Intros zu den Stücken einzelnen Bandmitgliedern zur freien Gestaltung zu überlassen, was die Musiker immer gern auch dazu nutzen, sich mit enormer Bandbreite der virtuosen Fähigkeiten zu präsentieren.

Akustische Imitation einer schnaubenden Dampflok

Die drei Instrumentalisten von Berlin 21 setzen dabei auf spitzfindige Originalität im engen Bezug zum nachfolgenden Titel. Insbesondere Zwingenberger, der mit seinem reichhaltigen Schlagwerk-Set schon mal ganze Inszenierungen wagte. Etwa als Intro zu „Express Brain“, in dem sich akustisch eine Dampflok langsam schnaufend in Bewegung setzt, allmählich Fahrt aufnimmt, um schließlich mit rasendem Getöse zum Stück überzuleiten. Überaus sinnenfreudig beschrieb er die südöstlich-afrikanische Savanne als Intro zu „Sitaki Shari“ mit exotischen Tierstimmen und glühender Atmosphäre. Die anschließende afrikanische Heiterkeit und Ausgelassenheit eignete sich glänzend als mitreißender Kehraus vor der Zugabe.

Bassist Lillich demonstrierte indes mit Flageoletts in seinem Intro zu „Wedding Waltz“ seine besonders kreative Ader, exponierte zudem den luftig-leichten Hochzeitsgesang. „Clues“ – Blues mit dem Latin-Drive des kubanischen Clave – lag ihm am E-Bass besonders gut in der Hand, was er für einen überaus virtuosen Part nutzte. Ein mitreißendes Latin-Stück mit ausgeprägter Rhythmik war auch „Natasha’s Dance“ von Haas. Es überraschte, dass gerade ihm für sein Intro die Ballade „The Room“ zufiel. Aber Haas nutzte die nostalgische Melodie auf seine Weise und zierte sie brillant mit rasant perlenden Melismen aus, umschnörkelte sie mit virtuosen Laufkaskaden und wirbelte wild zwischen den Passagen der Balladenmelodie.

Umso wirkungsvoller erklang dann die Ballade selbst, ruhig und einfühlsam ausgesungen. Das breite Spektrum sorgte für reichhaltige Abwechslung, zumal es auch schon mal funky zuging, ein Stück Bebop-artig dahin hastete oder schwere Bassfiguren groovten. Dennoch blieb alles in sich konsistent und stilistisch stimmig. Und mit „Breaking free“ gaben die drei Musiker von Berlin 21 dem Publikum als Zugabe noch ein Paket Power für die Heimfahrt mit.

Die „SeeJazz“-Reise geht am Mittwoch auf dem Museumsschiff Tutzing mit „The Cat’s Table“ weiter.

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