Wolfgang Amadé Mozart bleibt wohl ein ewiges Rätsel. Das hat „Mozart heiter und frech“ im Sudhaus des Schlosses Seefeld mit Bariton Thomas Gropper und der indischstämmigen Pianistin Maharani Chakrabarti am Klavier am Sonntag einmal mehr deutlich vor Ohren geführt. Die von Gropper vorgetragenen Briefe Mozarts ans „Bäsle“ Maria Anna Thekla Mozart, seine Cousine väterlicherseits in Augsburg, sind mit ihren absurden Wortspielereien, Obszönitäten und ihrer vulgären Wortwahl das extreme Gegenteil nicht nur zur ernsten, respektablen Korrespondenz etwa mit seinem Vater. Es fällt vielmehr schwer, den sich dort offenbarenden Kindskopf und bisweilen geistig entgleisenden Spinner mit dem kongenialen Komponisten in Verbindung zu bringen. Mozart soll in der Lage gewesen sein, auf Reisen schon nach wenigen Tagen sich in der jeweiligen Sprache zu verständigen – ohne jemals eine Schule besucht zu haben.
Sogar die leichten, humorvollen Arien und Lieder, die in Seefeld vordringlich zum Vortrag gelangten, zeugten immer noch von seinem musikalischen Genius und seiner unerschöpflichen Erfindungsgabe. Selbst ein Tastenvirtuose, bewies er Letzteres am deutlichsten in seinen Klavierwerken, wie Chakrabarti hier mit der Sonate F-Dur KV 332 eindringlich unter Beweis stellte: Die überbordende Fülle an Ausdrucksmitteln im Kopfsatz, der Tiefgang des langsamen Mittelsatzes und das bravourös-virtuose Feuerwerk im Finale verweisen schon auf die reife Wiener Klassik, aber auch auf die Nutzung der Möglichkeiten eines Hammerflügels, die Chakrabartis dynamischer Differenzierung ihre Berechtigung gab.
Die Opern Mozarts zeigen aber noch ein anderes Gesicht des Komponisten und Freimaurers. Allerdings sind die frechen Arien, die etwa den Adel auf die Schippe nehmen, natürlich in Zusammenarbeit mit den Librettisten entstanden, die offenbar seine Haltung teilten. Den einfach geschnitzten Vogelfänger in der Zauberflöte, den Gropper mit heiterer Leichtigkeit zur Einstimmung gab, zum Protagonisten zu machen, war schon ein Affront. Der Librettist Emanuel Schikaneder brillierte in dieser Rolle in der Uraufführung nicht zuletzt dank der pfiffigen musikalischen Charakterisierung Mozarts mit dem frechen Elapetsch-Effekt. Geradezu spöttisch kam die Arie des wenig Respekt zollenden Figaro „Se vuol ballare signor contino“ rüber, getextet von Lorenzo da Ponte.
Gropper konnte sich auf die aufmerksame Begleitung Chakrabartis absolut verlassen und einer gesten- und mimikreichen Gestaltung freien Lauf lassen. Ganz im Sinne Mozarts, dessen musikalischer Ausdruck einen solchen Vortrag geradezu provoziert. Der Querkopf schien sich den Ärger mit dem Adel so von der Seele komponiert zu haben, obgleich er selbst vierzehnjährig mit der Verleihung des „Ordens des Goldenen Sporns“ zum Päpstlichen Hofpfalzgrafen avanciert war. Er blieb aber konsequent und lebte bürgerlich.
Der Umgang mit Frauen ist in Mozarts Opern natürlich aus seiner Zeit heraus zu betrachten, appellierte Gropper vorab. In der Arie des Osmin „Wer ein Liebchen hat gefunden“ war das Einschließen zur Treuesicherung noch harmlos gegenüber Don Giovannis tausenden Liebschaften in der Registerarie des Leporello „Madamina il catalogo“ mit detaillierten Beschreibungen, die Gropper zwischen Neid und Bewunderung skizzierte. Auf der anderen Seite stand da die Verführungsmasche des Don Giovanni in „Deh vieni alla finestra“ voller Süße und Leidenschaft, die man glatt für bare Münze halten könnte.
Zwischen mehrdeutiger, feuriger Schwärmerei und starker Empfindung mit poetischem Tiefgang
Mozart sei kein ausgesprochener Liederkomponist gewesen, betonte Gropper, doch seine Auswahl an Liedern bewies, dass die wenigen reichten, um auch mit diesem Genre zu überzeugen. Das zart beschwingte „Sehnsucht nach dem Frühlinge“ KV 596 wurde als „Komm lieber Mai“ gar zum Volkslied. In „Zufriedenheit“ KV 367a alles, was Gott zu seiner Lust gemacht, den materiellen Werten voranzustellen, offenbarte den Lebemann Mozart. Die „Warnung“ KV 416c, junge Mädchen wie Zuckerplätzchen einzusperren, und dass sie vor dem Essen den Appetit verderben, genauso die feurige Schwärmerei in „Zauberer“ erinnerten an Mozarts Sprachspiele mit Mehrdeutigkeiten, wie sie zuhauf in den Bäsle-Briefen vorkommen.
Dann war da in den Liedern aber auch der tiefernste Mozart, den Gropper und Chakrabarti mit den Liedern „An Chloë“ KV 524 voller starker Empfindungen, „Abendempfindung“ KV 523 mit philosophisch-poetischem Tiefgang oder in der Zugabe mit der wehmütigen Goethe-Vertonung „Das Veilchen“ KV 476. Welten entfernt von „dreck! – o dreck! – o süsses wort! – dreck! – schmeck! – auch schön! – dreck, schmeck! – dreck! – leck – o charmante! – dreck, leck! – das freüet mich! – dreck, schmeck und leck! – schmeck dreck, und leck dreck!“. Das Rätsel bleibt ungelöst – und lässt das Publikum meist ratlos zurück. „Nun weiß ich nichts mehr Neues, als daß eine alte Kuh einen neuen Dreck geschißen hat“…