Bereits im Februar habe man eine gute Erfahrung mit Jazz und Lyrik gemacht, berichtete Sebastian Schmidinger, der hier gleich in vierfacher Funktion aufs Podium trat: als Mitorganisator und Vertreter des Vereins Räsonanz Seefeld, als Kontrabassist der musikalisch unterhaltsam umrahmenden Amateurcombo "Real Book Heroes", als Moderator und als Lyrikleser. Tatsächlich fühlte sich der Saal Peter & Paul in Seefeld-Oberalting für eine Lyriklesung, um die es hier in erster Linie ging, am Samstagabend erfreulich gut.
Die Gründe dafür waren aber auch offensichtlich. Zum einen das lokale Thema der namhaften Lyriker, die es aus diversen Gründen an den Ammersee verschlagen hatte und die auch dort gearbeitet haben. Zum anderen die Besetzung am Podium, allen Voran mit dem in Hechendorf lebenden Schriftsteller, Lyriker, Journalisten wie begnadeten Leser und Sprecher Gert Heidenreich, der vor wenigen Wochen seinen 80sten Geburtstag feierte. Eine großartige Stimme und nicht geringere Sprechkultur brachte auch die gebürtige Dublinerin und Koloratursopranistin Christiane Vetter, die heute nach einer beachtlichen Opernkarriere als Stimmencoach in Hechendorf ein Studio betreibt. Mit der 21-jährigen Weßlingerin Anna Münkel war zudem auch eine vielversprechende Nachwuchspoetin dabei. Dass sich unter die gelesene Lyrik auch eine Szene aus Orffs Bernauerin mischte, hatte schon seine Berechtigung, war doch das vom Komponisten selbst bairisch verfasste Libretto mit der nötigen Sprachmelodik und für ihn so wichtigen Rhythmik ausgestattet, die ja ureigene Charakteristika des lyrischen Fachs sind.
Allerdings gingen die Vortragenden Vetter (Herzog Albrecht) und Schmidinger (Volk) nicht auf die musikalisch-skandierte Umsetzung der Szene ein und deklamierten dramaturgisch im Sinne des reinen Sprechtheaters. Vielleicht hätte an der Stelle die in Seefeld lebende Cordula Kaub, die das inhaltliche Konzept der Veranstaltung erarbeitet hatte, Regie führen sollen, hatte sie sich doch als Andechser Choristin in den Matiasek-Inszenierungen im gigantischen Badezuber des Baders zu Augsburg, Kaspar Bernauer, lang genug lasziv räkeln dürfen, um die sprachliche Diktion Orffs zu verinnerlichen. Die Kunstform des Gedichtvortrags kam hier gleich aus verschiedenen Blickwinkeln zum Zuge. Münkels ortsbezogene Miniaturen epischer Lyrik trugen ihre Aussagen im Vordergrund, sodass ihr erzählender Vortrag von "Badesteg", "Urlaubsmorgenstimmung" und "Oh schmatzende See" in erster Linie stimmfarblich Atmosphäre zu erzeugen hatte.
Vetter, im dramatischen Fach zu Hause, suchte den weit übergreifenden Bogen, bisweilen - etwa in "Skizzen vom Ammersee" von Hans Traxler - mit lautmalerischer Differenzierung. Ihrer Musikalität ist vor allem die sinnierende Lyrik zuträglich, daher auch "Tanz auf der Promenade" von Karin Schreiber, die viele Jahre in Herrsching gelebt hat, von wohlgeformter und klangschöner Diktion.
Aber ein Lyrikvortrag kann noch viel mehr. Etwa den Geist hinter den Worten hervorkehren, die Seele von Lauten und Klängen erspüren, oder das Bauchgefühl des Dichters hörbar machen. Das können nur wenige. Zu denen gehört zweifelsohne Gert Heidenreich, zumal seine wohlig sonore Stimme über die nötigen Register verfügt. Das jeweilige zu ziehen, ist dann aber eine Sache langjähriger Übung und Erfahrung, denn die Differenzierung bleibt auf feinste Nuancen reduziert. Heidenreich nahm sich weit zurück, ließ die Gedichte aus sich sprechen. Geradezu magisch, wie sich das gereimte "Vom Schwimmen in Seen und Flüssen" oder epische "Zeit meines Reichtums" von Bertold Brecht, der in Utting an seiner Dreigroschenoper gearbeitet hatte, in Heidenreichs Stimme in Bilder und Visionen verwandelte.
Wenn dann noch eigene Werke zum Vortrag gelangten, war die Stimmigkeit perfekt, obgleich "Am Weßlinger See" rätselhaft und tiefgründig sein Geheimnis dennoch nicht preisgab. Ein Hochgenuss dann die lange Passage aus "Das Meer. Atlantischer Gesang", ein prosalyrisches Langgedicht von der zweiten Heimat Heidenreichs, der Normandie, deren Licht es in der ausgewählten Passage zu beschreiben galt, mit der finalen Erkenntnis: "Weder Teilchen noch Welle, es ist seit Anfang ein Klang".