Süddeutsche Zeitung

Seefeld:Klimaschutz mit Holzresten

Nach vielen Rückschlägen geht in der Gemeinde ein Nahwärmenetz in Betrieb, das im Jahr 500 Tonnen Kohlendioxid einsparen soll

Von Christine Setzwein, Seefeld

720 Kilowatt Leistung, 2,2 Millionen Kilowattstunden Nahwärme, eine Million Euro für 1500 Meter Rohrleitungen, 850 000 Euro für ein Heizwerk, 3000 Kubikmeter Hackschnitzel, 500 000 Euro kommunale Investitionskosten - das sind die nackten Zahlen des nagelneuen Nahwärmenetzes Seefeld. Wie viel Herzblut, Rechnerei, Überzeugungsarbeit, Rückschläge und Geduld nötig waren, erzählen sie nicht. Jedenfalls waren Holzhändler Peter Schlecht, Doris Kömmling und Gerd Mulert von der Energie-Genossenschaft Fünfseenland (EGF), der Seefelder Bürgermeister Klaus Kögel und Ernst Deiringer, Vorstandsmitglied des Energiewende-Vereins Starnberg, heilfroh anlässlich der Inbetriebnahme der Anlage. Auch Ulf Walliczek freute sich: Mit seinem Seniorenquartier war er einer der ersten Abnehmer.

Noch eine Zahl: Mit der Nahwärmeversorgung werden pro Jahr 500 Tonnen Kohlendioxid eingespart, sagte Projektleiterin Kömmling. Das Rundholz für die Hackschnitzel kommt laut Schlecht aus den umliegenden Wäldern. Im eigenen Sägewerk fallen pro Jahr 4000 bis 5000 Kubikmeter Hackschnitzel an, aktuell werden für das Nahwärmenetz etwa 1500 Kubikmeter - im Holzjargon Schüttraummeter - verheizt, die Volllast ist auf 3000 Kubikmeter ausgelegt. Sollte der Hackschnitzelkessel ausfallen oder gewartet werden, springt ein 950 Kilowatt-Gaskessel an. Schlecht: "Es muss also niemand frieren."

40 Kubikmeter entsalztes Wasser befinden sich im Kreislauf. In der Anlage wird es auf 90 Grad erhitzt, macht dann die Runde zu den Abnehmern und kommt abgekühlt zurück. An dem 1,5 Kilometer langen Leitungsnetz gibt es 16 Übergabestationen. Ausgelegt ist das Netz auf das Seniorenstift Pilsensee, das neue Seniorenzentrum, die Genossenschaftswohnungen der Maro, auf Schule, Jugendhaus, Bauhof, Feuerwehr Oberalting-Seefeld, Sportler- und Tennisheim sowie auf sieben Privatanschlüsse.

Das Netz, das die Energie-Genossenschaft mit Darlehen ihrer Mitglieder gebaut hat, ist fertig, "jetzt geht nichts mehr", sagte Kömmling. Was nicht heißt, dass es nicht irgendwann verlängert werden könnte. Wer Interesse an einem Nahwärme-Anschluss habe, könne sich jederzeit bei der Energie-Genossenschaft melden.

EGF-Vorstandsvorsitzender Gerd Mulert erinnerte an die lange Geschichte des Nahwärmenetzes. Die Energiewende ist Thema im Fünfseenland, seit der Kreistag 2005 beschlossen hat, dass sich der Landkreis Starnberg bis 2035 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgt. 2013 hieß es in Seefeld, "macht's doch mal ein Nahwärmenetz", erzählte Mulert. Die damals noch junge Genossenschaft erklärte, "wir können das stemmen". Sie konnte es, aber in der Zwischenzeit stand das Projekt mehrmals vor dem Aus. Weil die Klinik Seefeld als größter potenzieller Wärmeabnehmer ausfiel, weil die Gemeinde plötzlich sparen musste, weil der Ölpreis so stark sank, dass die klimafreundliche Energie damit nicht konkurrieren konnte. Mulert: "Es fiel alles wie ein Kartenhaus zusammen." Doch 2019, nach einem flammenden Plädoyer von Oswald Gasser (FDP) zugunsten des "Leuchtturmprojekts" im Gemeinderat, nahm die Sache wieder Fahrt auf. Im Juli 2020 beschloss der Gemeinderat, gut 500 000 Euro für Anschlüsse und Technik in den kommunalen Einrichtungen zu investieren und sich am Nahwärmenetz zu beteiligen. "Die Kosten hätten uns fast in die Knie gezwungen", sagte Bürgermeister Kögel. Dafür nannte Mulert die Gemeinde Seefeld "einzigartig". Um die Energiewende zu erreichen, "müssen wir Kommunen und Bürger zum Umsteigen bringen".

"Der große Ökofreak bin ich nicht", räumte Peter Schlecht ein. Mit dem Heizwerk habe er sich vor allem langfristig ein zusätzliches Standbein für seinen Betrieb schaffen wollen. Verkauft wird die Nahwärme von der Energiegenossenschaft.

Eine letzte Zahl: Der Arbeitspreis für eine Kilowattstunde beträgt 6,8 Cent.

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SZ vom 04.05.2021
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