Süddeutsche Zeitung

Seefeld:Das soziale Herz der Gemeinde

Lesezeit: 2 min

Das Familienzentrum der Nachbarschaftshilfe Seefeld ist auch in Corona-Zeiten ein wichtiger Ort der Begegnung. Nun hat es eine neue Leiterin

Von Christine Setzwein, Seefeld

Familienzentren sind wichtige Anlaufstellen für Kinder, Jugendliche, Eltern und Familien. Es sind Einrichtungen, die familienbezogen und bedarfsorientiert sicherstellen, dass Kinder und ihre Familien ganzheitlich in all ihren Lebenslagen wahrgenommen, begleitet und gestärkt werden. Es sind Begegnungs-, Bildungs-, Gesundheits-, Unterstützungs- und Erfahrungsorte, die an nachbarschaftliche Lebenszusammenhänge anknüpfen, und sie sind offen für alle Familien. So steht es im Positionspapier des Bundesverbands der Familienzentren.

In der Praxis sieht das zum Beispiel so aus: Im ersten Stock der Nachbarschaftshilfe Seefeld (NBH) sitzen an diesem Donnerstagvormittag zehn Knirpse um den Tisch und mampfen Muffins, zwei der Zweijährigen hatten Geburtstag, und das muss schließlich gefeiert werden. In den Spielgruppen für Kinder ab 15 Monaten lernen die Kleinsten zum ersten Mal, sich abzunabeln, sich ohne Eltern an Gleichaltrige zu gewöhnen, bevor sie in die Krippe oder den Kindergarten wechseln. Im Programm hat das Familienzentrum der Nachbarschaftshilfe Seefeld außer den Spielgruppen auch Eltern-Kind-Turnen und Spaß mit Bewegung für Drei- bis Sechsjährige ohne Eltern. Es gibt Eltern-Kind-Kreise für junge Eltern und betreute und offene Treffs, bei denen sich Kinder, Mamas, Papas, Omas und Opas bei einer Tasse Kaffee über Fragen des Familienalltags austauschen können. Ferienprogramm, Kurse in Babymassage oder Rückbildungsgymnastik, Vermittlung von Babysittern oder Tagesmüttern gehören auch zum Angebot des Familienzentrums - wenn nicht gerade ein fieses Coronavirus Veranstaltungen unmöglich macht.

Damit muss sich gerade auch Sylvia Fischer herumschlagen. Die Turngruppen und Eltern-Kind-Kreise wurden auf Anfang Dezember verschoben, geplant werden muss trotzdem, denn "wir müssen vorbereitet sein, wenn es wieder losgeht", sagt sie. Sylvia Fischer ist die neue Leiterin des Familienzentrums, unbekannt ist sie nicht. Die 58-Jährige ist in Seefeld geboren und aufgewachsen, wohnt aber seit zehn Jahren in München-Fürstenried. Bis 2015 war sie bereits bei der NBH Seefeld tätig, hat eine Spielgruppe und auch schon das Familienzentrum geleitet, beim Aufbau des "Mehrgenerationenhauses" mitgeholfen. Dann wurde sie Einsatzleiterin der "Station München Stadt und Land" des Familienpflegewerks beim Landesverband Bayern des Katholischen Deutschen Frauenbunds. Gelernt hat Fischer den Beruf Industriekauffrau, aber die soziale Arbeit "hat mir immer viel Spaß gemacht". Zuletzt hat sie vor allem Home-Office gemacht, doch "irgendwann hat mir das Leben gefehlt", sagt sie - und kehrte zurück nach Seefeld.

Als Familienzentrum ist die Nachbarschaftshilfe anerkannt seit 1985. Das heißt, es wird staatlich gefördert. Ebenso das Mehrgenerationenhaus, das es seit 2008 gibt, das einzige im Landkreis ist und überhaupt nichts mit Wohnen zu tun hat. Es ist eine Einrichtung, in der Ältere und Jüngere zusammenkommen. Menschen jeden Alters bekommen hier nachbarschaftliche Hilfe, Dienstleistungen, Beratungs- und Freizeitangebote. Herzstück eines Mehrgenerationenhauses ist der offene Treff, zu dem jeder kommen kann: Junge, Alte, Einheimische, Neubürger, Familien, Singles.

Etwa 450 Mitglieder hat die Nachbarschaftshilfe Seefeld, berichtet Geschäftsführerin Patricia Kalchschmidt. Die NBH betreibt einen ambulanten Pflegedienst, den Second-Hand-Laden im alten Rathaus, kümmert sich um die Mittagsbetreuung in der Grundschule und um Menschen mit Demenz. "Wir sind das soziale Herz der Gemeinde", sagt Sylvia Fischer. Das dringend Unterstützung bräuchte. Es sei schwierig, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden, etwa für den Verkauf im Laden oder bei der Mittagsbetreuung. Die Mütter kämen, wenn die Kinder noch klein sind und dann erst wieder, wenn Oma oder Opa Pflege bräuchten. Fischer: "Uns fehlen Helfer im mittleren Alter."

Weil es am Ort nur eine Grundschule gibt, seien auch Jugendliche, die sich engagieren wollten, Mangelware. Sie hätten ihre sozialen Kontakte dort, wo sich Realschule oder Gymnasium befinden. Aber Trübsal blasen ist keine Option. Sylvia Fischer, die in ihrer Freizeit gerne wandert, radelt, schwimmt oder liest, hat schon Pläne für die Zeit nach Corona. Sie möchte den Elterngesprächskreis wieder aufleben lassen, Erste-Hilfe- und Babysitterkurse, die Swap-Party, auf der Kleidung getauscht werden kann, das Computer- und Handytraining für Senioren und die gemeinsamen Feste. "Bis dahin versuchen wir, aufrecht zu erhalten, was möglich ist."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5104550
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.