Ende einer Ära:"Ich scheide ohne Wehmut aus dem Amt"

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Nach 30 Jahren hört Wolfram Gum (CSU) im April als Bürgermeister in Seefeld auf. Wie es ihm gelang, sich seinen größten Feind zum Freund zu machen - und was er rückblickend anders machen würde.

Interview von Christine Setzwein, Seefeld

Nach 30 Jahren endet im April 2020 eine Ära in Seefeld. So lange war Wolfram Gum (CSU) Bürgermeister in der Gemeinde. Mit 35 Jahren war er 1990 einer der jüngsten Gemeindechefs. Zehn Jahre und ein paar Tage wollte er im Amt bleiben und dann wieder als Jurist arbeiten. Daraus wurde nichts. Die Seefelder wählten ihn immer wieder. Seit 1998 ist Gum mit der Lehrerin Petra verheiratet. Das Paar hat eine 20-jährige Tochter und einen 18 Jahre alten Sohn. Seefeld schuldenfrei zu machen, zählt Gum, 64, zu seinen größten Verdiensten. Doch die finanzielle Lage der Gemeinde hat sich verschlechtert. Ein Gespräch über den Job, die Bürger und die Zukunft.

SZ: Können Sie sich an ihren ersten Arbeitstag erinnern, den 1. Mai 1990?

Wolfram Gum: Da kann ich mich gut erinnern, da war ich bei den Maifeiern in den Ortsteilen dabei.

Sind Sie da schon als neuer Bürgermeister wahrgenommen worden?

Ja, aber als die älteren Herrschaften vor mir jungen Hupfer den Hut zogen, war mir das sehr peinlich.

Als völliger Neuling und nicht integriert in Seefeld haben Sie die Bürgermeisterwahl trotz zweier Gegenkandidaten auf Anhieb gewonnen. Haben Sie wirklich damit gerechnet?

Nein, überhaupt nicht, ich habe im Wahlkampf ja nur Moosröschen verteilt und mich bemüht, einen netten Eindruck zu machen. Ja gut, ich bin auch noch von Haus zu Haus gezogen. Mir war aber auch ein bisschen bange davor, zu gewinnen.

Warum?

Ich wohnte in München, war Jurist bei einer Versicherungsgesellschaft. Ich war nie im Gemeinderat, hatte keine politische Erfahrung, wusste aber, dass es in Seefeld schwierig zugeht. Mein erster Weg im Wahlkampf führte mich deshalb zu Alfred Noller vom Bürgerverein Seefeld, ein echter Scharfmacher und Intimgegner der CSU. Wir haben lange geredet, und ich habe ihm zugesagt, dass er alle Akten einsehen darf. Die CSU konnte ich überzeugen, dass sie ihn zum Zweiten Bürgermeister wählt. Ich wollte ihn einbinden, der wusste alles. Und er konnte uns so nicht vorwerfen, es würde gemauschelt im Rathaus.

Ganz schön clever.

Naja. Die ersten zwei Jahre im Amt habe ich nur Prozesse beendet und so für Ruhe und Frieden gesorgt. Man konnte zum Beispiel den Weg zur Griesbergalm nicht nutzen. Dagegen hatte die Gemeinde geklagt und verloren. Also bin ich zum Grundstückseigentümer geradelt, musste mir zunächst einiges anhören, konnte aber schließlich sein Vertrauen gewinnen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Gemeinde den Weg kaufen darf. Ähnlich war es beim Weg in die Beermahd. Auch den Streit mit dem Grafen Toerring habe ich beendet.

Wolfram Gum, 64, an seinem Schreibtisch im Seefelder Rathaus. Der Jurist liebt es, Gitarre zu spielen. Zusammen mit den Bürgermeistern aus Gilching und Herrsching gründete er die Band "Das Doktor-Schiwago-Projekt". (Foto: Nila Thiel)

Was war denn ihr schönstes Erlebnis in ihrer Amtszeit?

Die Schließung der Umladestation in Unering, damals mit Landrat Heinrich Frey. Die Anlage war eine extreme Belastung für den Ort, es bestand ja auch die Gefahr, dass die Bauschuttdeponie und Zerkleinerungsanlage für immer bestehen bleibt. Das wäre nicht schön gewesen.

Und das schlimmste Erlebnis?

Die Ablehnung des neuen Rathauses. Wobei ich sie sogar verstehe, denn das Gebäude, das uns beim Architektenwettbewerb aufgezwungen wurde, war auch nicht meins. Ganz schlimm wäre es für mich, wenn es nicht gelänge, die Klinik am Ort zu halten.

Was hätten Sie gern früher gewusst, was Sie heute wissen?

Das mit dem Rathaus hätte ich anders gemacht, da hätte ich mich durchgesetzt gegenüber dem Architekten. Und wenn ich früher gewusst hätte, wie aggressiv der Umgang miteinander wird, hätte ich vielleicht früher aufgehört. Ansonsten bin ich mit der Zeit mitgeschwommen, bin auf einer Wohlwollenswelle getragen worden. Es gibt nichts, was ich bereue.

Aber ein bisschen amtsmüde scheinen Sie schon geworden zu sein.

Ich mag auch nicht mehr. Ich mag das Eingefahrene nicht mehr. Ich weiß genau, wer was sagt und was kommt, warum wir über diese und jene Hürde nicht kommen und scheitern, warum wir nicht verstanden werden und alles in so fest gefahrenen Schienen verläuft. Das macht müde. Eine neue Aufgabe würde ich sofort übernehmen, zum Beispiel als Bürgermeister von Augsburg.

Was hat sich am meisten verändert in den 30 Jahren?

Die Mitwirkung der Bürger. Finde ich generell gut, aber nur mit vorheriger Aufklärung. Man muss Vor- und Nachteile abwägen. Projekte können heute sofort verhindert werden, ohne dass man darüber diskutiert. Da reicht es, wenn das Vorhaben auf der Straße ausgeredet wird, und es reichen Gerüchte. Das macht viel kaputt.

Meinen Sie das Bürgerbegehren gegen einen Klinikneubau im Aubachtal und die aktuelle Diskussion über ein Gewerbegebiet auf Gut Delling?

Ja. Wir sind ein Hightech-Land, wir haben wenig Landwirtschaft, keine Bodenschätze, keine Kolonien, von denen wir leben können, sonder nur unser Hirn. Wir leben nur davon, dass wir permanent neu erfinden. Wenn wir uns da zu sehr ins Mittelalter zurückdimmen, indem wir nur noch gegen alles sind, wird das bald spürbar werden.

Im Urlaub auf Mallorca hebt Wolfram Gum in einem Naturpark ein Bärenjunges hoch. (Foto: privat/Repro Nila Thiel)

Und was ist mit Klimaschutz?

Auch das Klima macht mir Sorgen. Ich kann die Hände in den Schoß legen und nichts tun, wie bei uns, oder ich kann unseren irren Erfindungsgeist nutzen. Warum suchen wir uns nicht Startups, die Lösungen erarbeiten wie die Bindung von Co2, oder die abbaubare Kunststoffe aus Raps oder Holz entwickeln, oder Bakterien züchten, die Plastik fressen? Das muss ich doch fördern. Nur Angst zu haben, ist zu wenig. Wer nicht nach vorne schaut und nur das sichern will, was er hat, wird auch das verlieren, hat ein kluger Mensch gesagt.

Und das gilt auch für Kommunen?

Ja natürlich, die Kommune ist die Keimzelle. Aber es geht alles nur mit Augenmaß, nicht mit Fanatismus.

Was ist zu kurz gekommen in den 30 Jahren?

Alles. Ich hätte noch viel mehr bewegen können.

Was zum Beispiel?

Die Straßen sind immer noch zu schlecht, wir haben keine Radwege, die Finanzen sind mies. . .

Aber erst jetzt. Viele Jahre lang hatte Seefeld keine Schulden und hohe Gewerbesteuereinnahmen. Da hätte man das doch alles machen können.

Ja, aber das habe ich nicht geschafft. Wir hätten dafür auch eine größere Verwaltung gebraucht. Vielleicht hätte ich auch mehr arbeiten können. Aber wir haben den schönsten Kindergarten, bestens ausgestattete Schulen, eine schöne Sporthalle und ein neues Feuerwehrhaus in Hechendorf.

Kam das Privatleben zu kurz?

Nein, überhaupt nicht. Ich war ja immer am Ort, hatte einen kurzen Arbeitsweg. Das Doktor-Schiwago-Projekt (Gum spielte in einer Band mit den Bürgermeistern von Gilching und Herrsching, Anmerkung der Redaktion) hätte man weiter ausbauen können, aber die zwei Kollegen hatten zu wenig Zeit.

Was können Sie ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg geben?

Dass er oder sie niemanden das Gesicht verlieren lassen sollte. Es gibt immer einen Kompromiss, auf den man sich einigen kann. Auf die Leute zugehen, herausfinden, wo man übereinstimmt und wo nicht und nach einer Lösung suchen. Gegen Lob kann man sich nicht wehren, heißt es so schön. Ich gebe Seminare für Bürgermeister in der Bayerischen Verwaltungsschule. Beim letzten Mal war eine Bürgermeisterin aus dem Oberland dabei. Sie hat große Probleme mit aggressiven Gemeinderatsbesuchern. Ich habe ihr geraten, jeden einzelnen beim Hereingehen mit Namen zu begrüßen und zu sagen, schön, dass sie da sind, schön, dass sie Zeit haben, versuchen wir das Ganze fair anzugehen. Am nächsten Tag hat sie sich bedankt, weil alles super gelaufen sei.

(Foto: oh)

In ihren Gemeinderatssitzungen darf ja jeder mitreden.

In der Gemeindeordnung steht nur, dass Besucher kein Rederecht haben. Aber sie dürfen was sagen, wenn ich es ihnen gebe. Oft sind es ja sachdienliche Angaben, die uns weiterhelfen. Nur unverschämt darf keiner werden, dann darf ich Leute auch hinausschmeißen. Der Umgang mit Leuten hat mir immer am meisten Spaß gemacht.

Wie schauen ihre Pläne für die Zukunft aus?

Ich würde gerne noch ein bisschen bei der AWA-Ammersee mithelfen, ein bisschen Jura machen oder einer Firma beratend zu Seite stehen. Mein teils verwilderter Garten muss gemacht werden. Und dann ist da ja noch die Musik. In einem SOS-Kinderdorf würde ich mich gerne um die schwereren Schicksale kümmern. Und Leuten, denen es nicht so gut geht und die rechtlich wenig Ahnung haben, würde ich gerne kostenfrei zur Seite stehen.

Und was machen Sie am 1. Mai 2020?

Das weiß ich noch nicht. Entweder meine Frau wird neue Bürgermeisterin von Seefeld und ich muss sie begleiten zu den Maifeiern, oder ich sitze zuhause auf der Couch und sage "Gott sei dank"! Ich scheide ohne Wehmut aus dem Amt.

Um die Nachfolge von Wolfram Gum bewerben sich Klaus Kögel (CSU), Thomas Zimmermann (Grüne/Bürgerinitiative Eichenallee), Petra Gum (FWG) und Johanna Senft (BVS)

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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