Süddeutsche Zeitung

Kochen und Corona:"Den Menschen ist bewusst geworden ist, wie wichtig gutes Essen ist"

Die Gewürzhändlerin Andrea Rolshausen gehört mit ihrer Firma in Hechendorf zu den Gewinnern der Krise. Dabei birgt die Erkrankung auch eine Gefahr für den Betrieb.

Von Jessica Schober

Andrea Rolshausen kommt gerade aus dem Lager, in dem sie die Gewürze der Welt versammelt hat. Sie hat die Zutaten zusammengesucht für eine Bio-Goldene-Milch-Mischung, ein gelbliches Getränk mit Kurkuma. Dass ihre Firma Baobab mit Sitz im Seefelder Ortsteil Hechendorf den Namen "Gewürze der Welt" trägt, empfindet sie nicht als Übertreibung. "Mein Team wächst noch, aber meine Produktpalette kann nicht mehr wachsen", sagt die 52-Jährige aus Weßling. Von A wie Amchur bis Z wie Zimtblüte bietet Rolshausen sämtliche Geschmacksnuancen an. Wobei Amchur, ein säuerliches Pulver, das aus grünen, noch unreifen, getrockneten Mangos gemahlen wird, eher ein Nischenprodukt ist. "Davon verkaufen wir vielleicht 50 Kilo im Jahr, also nicht sonderlich viel", sagt Rolshausen.

Dass Rolshausen die Gewürzsäcke mit 25 Kilo Gewicht im Lager selber wuchtet, ist für die Geschäftsführerin Ehrensache. Unter ihren rund 30 Mitarbeiterinnen gibt es nur einen einzigen Mann, ansonsten sind es Frauen, die den Kunden erklären, was der Unterschied zwischen den 30 verschiedenen Pfeffersorten im Angebot ist. Gerade in der Corona-Krise hätten die Deutschen das Kochen und ihr Interesse an hochwertigen Lebensmitteln ganz neu entdeckt, meint Rolshausen. Die Bio- und Fairtradeprodukte in ihrem Onlineshop treffen auf eine rasant gewachsene Nachfrage, einen hundertprozentigen Umsatzzuwachs auf 1,5 Millionen Euro kann Baobab verbuchen. Auch deshalb ist das Unternehmen für den Wirtschaftspreis des Landkreises Starnberg nominiert. "Mit gutem Gespür für ihre Kunden und deren Bedürfnisse hat Andrea Rolshausen von der Corona-Krise profitiert", begründet Annette von Nordeck von der Regionalagentur GWT die Entscheidung der Jury.

Angefangen hat alles im Jahr 2005 mit einer Madagaskarreise, auf der Rolshausen die Vielfalt der Gewürze entdeckte. 2011 begann sie aus ihrer kleinen Weßlinger Garage heraus, Gewürze zu vertreiben. Jedes Produkt, das die anbietet, hat die vierfache Mutter, Hundebesitzerin und Reiterin schon selbst getestet. Zu jedem Produkt kann sie eine Geschichte seiner Herkunft erzählen. Den Bio-Koriander beispielsweise bezog sie lange von einem Bauern in Franken, dem nun jedoch die Felder vertrocknet sind. Auch die Muskatmühle, handgedrechselt von einem bayerischen Muskatliebhaber, ist eine Besonderheit. Und das Basilikum ordert sie lieber regional in Thüringen, als beim ägyptischen Bio-Basilikum-Bauern, weil die Kräuter möglichst flugfrei zu ihr gelangen sollen. Nachhaltigkeit ist Rolshausen wichtig. Der Versand erfolgt plastikfrei, auch ins sieben Kilometer entfernte Hechendorf radelt die Chefin jeden Morgen selbst. Für ihre Aromadosen bietet sie Nachfüllpackungen an; die rund 50 Prozent Stammkunden sparten sich so weiteren Müll. Früher gehörten mehr Reisen zu ihrem Arbeitsleben, jetzt hält Rolshausen mit Bauern aus Uganda oder Äthiopien online Teams-Sitzungen ab, um die Gewürzernte zu besprechen.

Anders als andere Mitbewerber hat Baobab keine Abteilungen für Vertrieb oder Marketing. "Ich bin ein ganz kleiner Mittelständler, wenn ich nicht da bin, dann findet hier keiner so schnell den tasmanischen Bergpfeffer", sagt Rolshausen. Gleichzeitig ist sie froh, dass sie während der Pandemie neue Mitarbeiter einstellen konnte, als die Telefon-Hotline nicht mehr stillstand. Bald wird auch eine neue Lebensmitteltechnikerin, die über Gewürze promoviert hat, bei ihr anfangen. Alles, was sie bisher erwirtschaftet habe, habe sie wieder investiert, so Rolshausen. Auch wenn das für die Chefin bedeutet, regelmäßig 14-Stunden-Arbeitstage zu haben und kaum Gewinne einzufahren. Lange schon sucht Rolshausen nach neuen Räumlichkeiten, doch das ist nicht so leicht. "Der Zahnarzt im Obergeschoss sagt schon, dass es hier nach Thymian riecht", erzählt sie lachend.

Das kommt auch daher, dass die Gewürze vor Ort geröstet, vermahlen und in eigenen Mischungen kombiniert werden. "Ich will den Gewürzen gerecht werden", sagt Rolshausen. Man glaubt ihr, dass eine Corona-Erkrankung, die womöglich den Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn mit sich bringen könnte, eine Katastrophe für Rolshausen wäre. Sie vertraut in der Arbeit ganz auf ihre Nase, ihren Geschmackssinn und ihr Bauchgefühl. Qualität ist ihr heilig, deshalb käme Rolshausen auch nicht auf die Idee, ihre Gewürzmischungen mit Salz oder Zucker zu strecken, wie andere es tun. Mischungen aus Chili und Paprika bietet sie gar nicht erst an, weil ihr das zu banal ist. Dafür werden vor allem Fans der Kochbücher des israelischen Kult-Kochs Yotam Ottolenghi in ihrem Sortiment fündig. "Unser großes Glück war es, dass den Menschen in der Corona-Krise wieder bewusst geworden ist, wie wichtig gutes Essen ist." Ach ja, und Zimtblüte, die gerade nicht geliefert werden kann, ist übrigens ein sehr vielseitiges Gewürz. Es schmeckt angeblich wunderbar im Milchkaffee - genauso wie im Schmorbraten.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2020
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