Süddeutsche Zeitung

Seefeld:Alles andere als eintönig

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Henning Sieverts beweist, dass Symmetrien am interessantesten wirken, wenn sie zerstört werden

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Seit Jahren schon treibt ihn die Symmetrie um. Das Spiel mit diesem Phänomen ist auch unerschöpflich, sofern man sich, wie der Kontrabassist und Cellist Henning Sieverts es tut, experimentell, neugierig und mit Lust am Spielerischen dem Thema nähert. Symmetrie läuft im Prinzip auf eine gewisse Gleichförmigkeit hinaus, zumindest wenn es sich um sichtbare Symmetrien handelt, oder wie in "Morsechoral" um Zeichensymmetrien im monotonen Morse-Alphabet, das auch akustisch umsetzbar ist. Interessanterweise zeigt sich in der Musik, dass Spiegelungen von Tonabfolgen in vertikaler wie horizontaler Richtung alles andere als eintönig wirken, sofern diese nicht simple Tonleitern sind. Bachs Fugen enthielten schon eine Menge gespiegelter Elemente. Für Sieverts wohl Grund dafür, mit dem chromatischen B-A-C-H-Motiv intensiv musikalisch an den barocken Meister zu erinnern. Wie ein Geist spukte es denn auch durch fast alle Stücke, die Sieverts zusammen mit Nils Wogram (Posaune) und Ronny Graupe (siebensaitige halbakustische Gitarre) im Sudhaus des Seefelder Schlosses dem Publikum schmackhaft machte.

Ob in rhythmischer, harmonischer oder thematischer Hinsicht: Symmetrien wirken dann am interessantesten, wenn sie gestört werden. Das mag nach einer simplen Aufgabe klingen, doch ist es das mitnichten, denn ist die Abweichung allzu radikal, geht die Verbindung zur zentralen Ordnung verloren und der ästhetische Kontext bricht auf. So galt es denn auch für das Trio des Abends, die Abweichungen zunächst minimalistisch zu halten.

Beginnend mit geringfügigen Reibungen, mikrotonalem Abgleiten in Cluster bis zum chromatischen Verschleiern. Eine derart sensible Systematik lässt sich kaum improvisieren. Deshalb sind die Titel Sieverts weitgehend auskomponiert, was wiederum den Vorteil hat, die Instrumente raffiniert arrangieren und Effekte präzis platzieren zu können. Das war denn auch unbedingt notwendig, wagt sich das Trio nun schon sehr weit in Bereiche vor, die mehr mit der Neuen Musik zu tun haben als mit dem Jazz. Und Mut zur Avantgarde fehlt keinem der drei renommierten Musiker.

Einmal mehr stand also die Aufgabe im Raum, das Publikum auf diesen nicht leicht zu verstehenden Eskapaden mitzunehmen. Euphorie war hier nicht zu erwarten, aber auf die mitreißende Spontaneität oder packende Eingängigkeit zielten die Musiker auch nicht ab. Die Spielart blieb gänzlich den kammermusikalischen Parametern vorbehalten, die elektronische Verstärkung bewegte sich daher auf dem untersten Level. Derart durchdachte Kompositionen wollen eher intellektuell gehört werden, wobei ein feinsinniges Hören im Detailbereich genauso wichtig war, wie das Erfassen der Gesamtwirkung.

Das Trio legte denn auch großen Wert darauf, Klarheit und Transparenz zu pflegen, was allerdings nicht heißen soll, dass es hier nur verkopft und asketisch zuging. Die zunehmende Störung der symmetrischen Konstruktion suchte sich allmählich neue Wege, die wiederum in einer Gestaltbildung münden konnten. Der Titel der neuesten CD, "Aerea" - der Name ein spiegelsymmetrisches Palindrom -, ist ein Konstrukt aus "Luft" (Aer) und "Raum" (Area). Auch Titel der vorangegangenen CD "Symmethree" waren zu hören. Das Seefelder Publikum kam aber darüber hinaus zum Genuss, mehreren Uraufführungen beizuwohnen, sozusagen im Testlauf, teils noch ohne Titel. Naturgemäß wirken sie noch etwas ungelenk. Aber gerade das Unfertige daran, die Suche nach dem optimalen Zugriff, gewiss auch das Sich-Annähern der Musiker an die noch nicht vertraute Materie verlieh diesen Titeln einen stärker experimentellen Charakter eines Abenteuers. Das hatte seinen Reiz und fesselte. Das Titelstück "Aerea" gab es dann in der Zugabe mit einem gespiegelten Dreitonmotiv und einem einzige Ton an der Gitarre - dem Schlusston.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2018
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