Zu den herausragenden Werken Beethovens zählen die zwölf Variationen über das Menuett "a la Viganò" nicht unbedingt. Der junge Mann befand sich gerade in Wien für seine musikalische Ausbildung bei Albrechtsberger und Haydn und schrieb im verspielten Stil der Wiener Klassik Klavierbearbeitungen über ein Thema aus einem Ballett des eher unbekannten Johann Haibel. Der ukrainische Pianist Denys Proshayev wählte bei seinem Auftritt im Schloss Seefeld diesen Zyklus als Einspielübung für Bachs e-Moll-Partita.
Wenig ist mit den Variationen zu gewinnen, weil sie tonsprachlich zu beliebig klingen, aber viel zu verlieren, denn die kurzen Einheiten sind in ihrer Satzstruktur durchsichtig genug, dass jede Blöße hörbar geworden wäre. Allein, Proshayev entledigt sich der Aufgabe souverän: Er beweist erstmals technische Finesse beim mühelosen Übergreifen der Hände, sucht und findet jede Differenziertheit in den C-Dur-Liedchen, die kaum einmal einen harmonischen Ausflug abseits von Tonika und Dominante wagen, und bringt sogar noch den für den später dramatischer gewordenen Beethoven untypischen Humor in die Hinführung zum Schlussakkord hinein. Harmonisch tiefgründiger und in seiner Klangarchitektur mit geschmackvollerem Interieur eingerichtet ist eindeutig das Bachstück. Proshayev arbeitet die Durchführung der Motive heraus, schafft, angelehnt an die Vokalmusik, klare Hierarchien in den Stimmen - spätestens hier erwies sich Beethoven als kluge Fingerübung - und genießt das Spiel mit der Spannung: stringent führt der Pianist in den Vorhalt vor die Kadenz, hält die Spannung, löst sie schlicht auf, ehe er neu aufbaut.
Die Möglichkeiten des modernen Konzertflügels lotet er sensibel aus: Dynamische Bandbreite wird genutzt, das Pedal zunächst kaum, und so entsteht eine zwingende Interpretation, die sich aus dem barocken Secco und einer stringenten Rhythmik nährt. Wie ein Boogie-Woogie-Spieler, die Schultern gekrümmt und ein Lächeln im Gesicht, zelebriert Proshayev den Bachschen Offbeat, hier und da schenkt er den Echostellen ein zartes Pianissimo, um sich später im Allegro in halsbrecherische Läufe zu stürzen.
Unvermittelt romantisch wird seine Lesart im Molto Sostenuto; man mag über fehlende Werktreue klagen, aber der sphärischen Wirkung von liegenden Vorhaltsakkorden, die in fast spontan anmutenden Tempoänderungen mal scheinbar ziellos in die Auflösung schwanken, mal hastig nach vorne stolpern, kann man sich nicht entziehen. Er schnauft schwer, die düsteren Akkorde scheinen ihm emotional zuzusetzen, erst in den abschließenden Gavotte und Gigue findet er die eingangs gezeigte preußische Strenge wieder. Im zweiten Teil folgt der romantische Block, wieder schaltet der Tastenkünstler dem Hauptwerk ein Aufwärmstück vor. Schumanns "Arabeske" verrät nun auch, warum Veranstalter Proshayev gern als "Klangwunder" preisen. Die Arpeggien entfalten den Charme anmutig angeschlagener Harfensaiten, und wenn er im Pianissimo die Tasten streichelt, wähnt man sich im Traumland. Buchstäblich mit einem Hammer beendet er sein Programm: Liszts Sonate in h-Moll, die Schumann gewidmet ist. Das Stück ist nicht nur technisch sehr anspruchsvoll, es gibt auch das berühmte Hammerschlagmotiv in der linken Hand. Proshayev meißelt Akkordrepetitionen in die Tastatur, spannt Oktavläufe, verlangt dem Instrument größtmögliche Lautstärke ab. Das kostet Kraft, die Notenlampe wackelt. Im schlichten Anzug mit weißem Hemd und Mokassins zeigt er, dass er auch den ehrlichen Arbeiter geben kann, verbissen schaut er drein. Und wenn Liszt dann eine heitere Kantilene einstreut, lächelt der Ukrainer ungläubig - als wäre er erstaunt über so viel plötzliche Unbeschwertheit.