Süddeutsche Zeitung

Strandbäder im Fünfseenland:Wegen Risiko geschlossen

Weil der Bundesgerichtshof die Aufsichtspflicht verschärft hat, müssen Bürgermeister bei Unfällen den Staatsanwalt fürchten. Nun werden an den Seen Sprungtürme verrammelt und Badeinseln entfernt.

Von Astrid Becker, Armin Greune,Otto Fritscher und Kilian Pinl

Die Luft flirrt bei 26 Grad, der Ammersee flimmert. Auf bis zu 19 Grad hat sich das Wasser in diesen Tagen erwärmt. Jetzt ein Sprung vom Turm in die Fluten. Doch in Herrsching versperren zwei angeschraubte Balken die Treppe, "Sprungturm gesperrt" hat die Gemeinde per Schild angeordnet und "Wir bitten um Ihr Verständnis!"

Badeinseln weg, Wasserrutschen weg, schwimmende Baumstämme weg, Türme verrammelt oder derzeit geschlossen: Die Seegemeinden haben ernst gemacht und alles, was in den Wellen besonders viel Spaß macht, entfernt oder unter Aufsicht gestellt. Sie können oder wollen das Risiko von Unglücken nicht mehr tragen. Denn der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil von 2017 die Aufsichtspflicht verschärft. Bürgermeister müssen bei Unfällen sogar den Staatsanwalt fürchten. Auch wenn sich die Jugendlichen in Herrsching nicht von der Absperrung bremsen lassen und über die beiden Balken kraxeln, um weiter ihre Salti zu vollführen - das bedeutet das Ende vieler Strandbäder.

Dießen

Erst am Donnerstag ist das in St. Alban am Steg vertäute Badefloß demontiert worden, die einzelnen, fünf Meter langen Eichenstämme warten auf den Abtransport. Die Wasserrutsche hat die Gemeinde nach der Winterpause gar nicht mehr zurück in den See gebracht. Dießen hat als erste Gemeinde auf das strafrechtliche Haftungsrisiko reagiert und die beiden Strandbäder in St. Alban und Riederau in Erholungsgelände mit Badestellen umgewandelt. Seitdem müssen die Gäste immerhin keinen Eintritt mehr zahlen.

Zunächst war das Floß als Brutgelegenheit für Wasservögel anvisiert worden, sagt Karl Heinz Springer, Verwaltungsleiter im Rathaus: "Der Landesbund für Vogelschutz war zwar von der Idee angetan, aber der Transport ließ sich nicht realisieren." Für das Flößen über den See gab es keine Genehmigung. Für eine Fahrt über Land sei die vier mal fünf Meter große Badeplattform aus massivem, vollgesogenem Eichenholz zu schwer und zu sperrig. Deshalb haben Bauhof und Feuerwehr das Floß zerlegt und abgefahren, sobald es die noch halb überschwemmten Wiesen zuließen. Eine neue Attraktion an Land kann die Gemeinde bieten: Auf dem erneuerten Spielplatz können sich die Kinder neben der Seilbahn jetzt auch an Klettergerüst und Korbschaukel austoben.

Utting

Das nunmehr letzte Strandbad am Ammersee in Utting kann zumindest vorerst den Betrieb aufrecht erhalten. Allerdings muss der mehr als zehn Meter hohe Sprungturm ständig überwacht werden. Außerhalb der Öffnungszeiten - im Juni bei gutem Wetter von 10 bis 20 Uhr, im Juli bis 21 Uhr - wird er abgesperrt. Die Gemeinde hat dafür Anfang Mai eigens ein mannshohes Tor aus Holzlatten zimmern lassen.

Pächter Rupert Riedel hat nicht nur selbst sein Rettungsschwimmabzeichen in Silber aufgefrischt, sondern auch drei Bademeister in Teilzeit eingestellt. Ob sich das rechne, müsse sich herausstellen, sagt Riedel. "Ich bin jedenfalls hoch motiviert." Schließlich führt der 52-Jährige das Uttinger Strandbad trotz "massiver Personalprobleme" seit 29 Jahren, er war schon als Säugling dort. "Meine Tochter wird acht Jahre alt, die springt da auch runter. Auch die anderen Kinder wollen weiter springen. Deshalb gibt es einfach den Wunsch, das zu erhalten, was hier seit Generationen ist."

Herrsching

Anders als Riedel ist es der Gemeinde Herrsching zumindest bis jetzt nicht gelungen, einen Bademeister für den neuen Sprungturm im Seewinkel zu finden - der deshalb demnächst mit einem Tor so abgesperrt werden soll, dass die Jugendlichen nicht mehr über die Absperrung klettern können. Das Podest war erst im vergangenen Jahr aufgebaut worden, das damals ebenfalls fertiggestellte Badefloß hat die Gemeinde nach der Winterpause gar nicht erst zu Wasser gelassen.

Eine einzige Bewerbung als Bademeister sei eingegangen, sagt Bürgermeister Christian Schiller. Die kam aus Malaysia und war mit der Bitte gekoppelt, eine Wohnung gestellt zu bekommen - "bisserl realitätsfremd", findet Schiller. In der nächsten Sitzung werde der Gemeinderat über den neuen Pächter beraten - doch die Bewerber hätten bereits deutlich gemacht, dass "sie es kritisch sehen, wenn sie die Badeaufsicht übernehmen müssten". Zudem hat Schiller erfahren, dass Augsburg schon länger mehr als 20 Bademeister sucht - für einen stundenweise und saisonal begrenzten Job wie in Herrsching sei es noch schwieriger, Bewerber zu finden.

Feldafing

Ein Bademeister muss auch in Feldafing her, der die Aufsicht führt - nicht nur über den Sprungturm und die Rutsche, sondern über das ganze traditionsreiche Strandbad, das 1927 eingeweiht wurde und teilweise unter Denkmalschutz steht. Momentan zeugt allerdings nur eine Plattform im Wasser vom Sprungturm. Die Gemeinde lässt ihn erneuern, er sollte vor allem Kindern und Jugendlichen eigentlich schon zu Beginn der Badesaison den kühnen Sprung ins Wasser ermöglichen. Noch ist aber nichts davon zu sehen, weil die Diskussion um die Sicherheit in Frei- und Strandbädern die Angelegenheit verzögerte - Bürgermeister Sontheim hatte zwischenzeitlich gar einen Baustopp verhängt.

Jetzt sagt er: "Wenn alles gut geht, und davon gehe ich aus, können wir den Sprungturm noch in diesem Sommer neu aufbauen." Auch beim Bademeister zeichnet sich eine Lösung ab: "Wir geben jetzt Vollgas. Einen Bademeister, der nebenher Pizza bäckt, können wir nicht gebrauchen." Der Vize-Chef des Strandbads, Dario Gruber, sagt, dass mehrere Bewerbungen eingegangen seien. Zum Glück: "Wir hatten viele Nachfragen, was denn nun mit dem Sprungturm passiert. Die meisten Badegäste waren traurig, dass nicht nur wir, sondern alle Strandbäder mit der Aufsichtspflicht zu kämpfen haben."

In Starnberg stellt sich die Frage übrigens nicht: Dort wachen laut Stadt immer drei Mitarbeiter über die Schwimmer.

Wörthsee und Pilsensee

Auch in diesen beiden Seen gab es bislang Badeinseln - mittlerweile jedoch hätten sie ihre Eigentümer, am Campingplatz etwa Graf Toerring, entfernen lassen, wie Seefelds Bürgermeister Wolfram Gum mit hörbarem Ärger in der Stimme sagt: "Da wird nun Tausenden Kindern der Badespaß genommen." Schuld daran sei eine "völlig überzogene Rechtssprechung", für die er keinerlei Verständnis habe. "Wir können doch ohnehin keine absolute Sicherheit erreichen, da müsste man ja auch Autos verbieten, weil es zu Unfällen kommen kann." Er appelliert daher an den Gesetzgeber, hier nachzubessern und nicht so "überhöhte Anforderungen" zu stellen: "Wir finden doch weder Bademeister, noch können wir uns das leisten."

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SZ vom 08.06.2019/baso
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